In der Stahl-, Glas- oder Zementindustrie sind Temperaturen über 1000 Grad die Regel. Selbst Materialien, die besonders hitzebeständig sind, nützen sich ab, müssen ersetzt, können aber auch recycelt werden.

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RHI Magnesita verstärkt inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seinen Recyclingarm. Der österreichisch-brasilianische Weltmarktführer bei feuerfesten Materialien zur Auskleidung von Industrieöfen übernimmt 51 Prozent der Wiederaufbereitungssparte der Horn & Co Group aus Nordrhein-Westfalen. Geplant ist die Gründung eines Joint Ventures, wobei sich RHI Magnesita der langjährigen Recycling-Erfahrung des Horn-Führungsteams bedienen will. Zum Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.

STANDARD: Was hat Sie zur Akquisition bewogen?

Borgas: Grund ist, dass wir durch Wiederaufbereitung verbrauchten Materials erwiesenermaßen bei der Eindämmung von CO2 die größte Hebelwirkung erzielen. Wir haben vor vier Jahren mit ersten Recyclingaktivitäten begonnen und gehen jetzt mit der Akquisition von Horn einen entscheidenden Schritt weiter.

STANDARD: Wie lange hält ein Feuerfestprodukt der Belastung stand?

Borgas: Das hängt stark von Hitze, Chemie und der individuellen Anwendung ab. In Glasöfen sind es im Schnitt zehn Jahre, in Zementöfen ein Jahr, in Stahlöfen zwei Wochen. Es gibt aber auch Aggregate, da wird jeden Tag gewechselt. Die Kunden werfen die abgenutzten Produkte normalerweise auf die Deponie.

STANDARD: Sind die nicht giftig?

Borgas: Nein. Sie enthalten viele Wertstoffe, um die sich bisher niemand wirklich gekümmert hat, auch weil es ganz schön herausfordernd ist. Das Ausbruchmaterial muss gesammelt, sortiert und gereinigt werden, damit es wieder in Produkten Eingang finden kann. Das ist logistisch kompliziert. Wir haben ein Recyclingwerk in Mitterdorf in der Steiermark gebaut, das demnächst in Betrieb geht. In Brasilien oder Indien sind wir beim Recycling schon weiter. Unser Ziel muss auch in Europa sein, langfristig 100 Prozent aller Feuerfest-Abfälle einzusammeln und wiederzuverwerten.

STANDARD: Um wie viel geht es?

Borgas: 300.000 bis 500.000 Tonnen.

Stefan Borgas, Vorstandschef der auf hoch hitzeresistente Materialien spezialisierten RHI Magnesita.
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STANDARD: Wie viel Prozent an recyceltem Material lässt sich ohne Qualitätsverlust beimischen?

Borgas: Die gängige Meinung war bisher ein bis zwei Prozent. Wir bei RHI Magnesita sind inzwischen bei sieben Prozent angekommen und haben uns das Ziel von zehn Prozent bis 2025 gesetzt. Ich denke, wir schaffen das deutlich früher. Und es geht noch mehr. Wir werden den Nachweis erbringen, dass Produkte mit hohem Recyclinganteil mindestens genauso gut sind wie solche aus 100 Prozent frischem Rohstoff.

STANDARD: Gas ist im Moment ein sensibles Thema. Sie brauchen viel davon im Produktionsprozess. Was, wenn Russland den Hahn zudreht?

Borgas: Dann werden wir versuchen, alternative Brennstoffe einzusetzen. In Hochfilzen (Tirol, Anm.) könnten wir auf Kohle umstellen, das bereiten wir gerade vor. In Breitenau (Steiermark, Anm.) ginge das theoretisch auch. Dort müssten wir aber erst in die Infrastruktur investieren, den Brenner entsprechend ändern, Kohlebunker bauen, die ganze Logistik aufziehen, das dauert eineinhalb Jahre. In Radenthein (Kärnten, Anm.) könnten wir auf andere Brennstoffe wie Öl oder Flüssiggas umstellen, müssten dort aber auch erst investieren.

STANDARD: Kurzfristig würden Sie relativ große Probleme bekommen?

Borgas: Wir müssten die Produktion entsprechend zurückfahren. Das wiederum hätte Auswirkungen auf alle anderen Standorte, wo die Rohstoffe weiterverarbeitet werden, etwa Veitsch in der Steiermark oder auch in Deutschland. Und es hätte Auswirkungen auf unsere Kunden, die dann ebenfalls eingeschränkt wären in der Produktion, wenn sie unsere Produkte nicht bekommen.

STANDARD: Was tun Sie, damit es nicht dazu kommt?

Borgas: Wir versuchen, das auch der Politik klarzumachen, dass im Fall des Falles auf die individuelle Situation der Unternehmen Rücksicht genommen werden muss und nicht allen gleich die Gaszufuhr rationiert werden darf.

STANDARD: Wie groß ist der Anteil der Energie an den Produktionskosten von RHI Magnesita?

Borgas: Mehr als zehn Prozent, doppelt so hoch wie noch vor einem Jahr. Energie ist nach Rohstoff der zweitgrößte Kostenfaktor.

STANDARD: Wie sehr schmerzt Sie der Wegfall des Russland- und Ukraine-Geschäfts?

Borgas: Priorität hat jetzt erst einmal, dass wir unsere ukrainischen Mitarbeiter und deren Familien in Sicherheit bringen und uns um sie kümmern. Was das Geschäft angeht: Wir haben dort zuletzt rund 90 Millionen Euro Umsatz gemacht, 75 Prozent in Russland, 25 Prozent in der Ukraine. In der Ukraine fällt das Geschäft weg, weil die Kunden nicht mehr produzieren können. In Russland haben wir Lagervorräte bei Kunden, dürfen sanktionsbedingt aber keine Zahlungen annehmen.

STANDARD: Also stehen Wertberichtigungen an?

Borgas: Ja, das müssen wir wohl abschreiben. Die Frage ist, wie man generell mit Zahlungsverpflichtungen umgeht. Schenken wir den Russen das einfach? Das ist auch eine Frage an die Politik. Anders als im Fall des Iran sind die Russland-Sanktionen von einem Tag auf den anderen verhängt worden – ohne Möglichkeit für uns, rechtzeitig Außenstände einzutreiben.

STANDARD: Was sind Ihre Erwartungen in diesem Jahr?

Borgas: Vor der Russland-Krise waren wir sehr optimistisch. Die Mengennachfrage war in allen Regionen sehr stabil, im vierten Quartal 2021 haben wir auch wieder ein gutes Margenniveau erreicht, nachdem wir zuvor die stark gestiegenen Kosten hatten weitergeben können. Ich bin immer noch vorsichtig optimistisch, was das laufende Jahr betrifft. Voraussetzung ist aber, dass sich der Krieg nicht dramatisch ausweitet und es zu keinen Nachfragerückgängen bei unseren Kunden kommt. Wenn das passiert, ist das Jahr natürlich auch bei uns schlecht. (Günther Strobl, 28.3.2022)