Verstappen vor Leclerc. Es kann auch anders kommen.

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Jeddah – Am Ende haben die wenigsten noch vom Raketen-Anschlag auf ein Öl-Lager am Freitag geredet. Das sonntägige Spektakel hat die Vorgeschichte verdrängt, und die Formel 1 hat einen neuen epischen Zweikampf. Ferrari und Red Bull sind derzeit das Maß der Dinge, Charles Leclerc und Max Verstappen die neuen Titelfavoriten. Diesmal in Saudi-Arabien hatte der amtierende Champion das bessere Ende für sich. "Es war nicht einfach, aber hat viel Spaß gemacht", sagte Verstappen.

Wie schon in der Vorwoche jagte der Champion aus den Niederlanden über mehrere Umläufe den Herausforderer aus Monaco. Nachdem Verstappen über angebliche Regelverstöße seines Konkurrenten zeitweise wie ein Rohrspatz geschimpft hatte, schnappte er sich den Ferrari-Pilot am Ende doch noch. "Wie bei einem Radrennen war der Ausgang bis auf die letzten Meter offen", erkannte die italienische Zeitung "Corriere della Sera" richtig. "An der Spitze gab es eine Sondervorstellung", kommentierte "The Guardian" die Show in Jeddah.

Wie eine Frischzellenkur wirkt das neue Aerodynamik-Reglement für die Formel 1 – dem Überholvorgang kommt dadurch viel größere Bedeutung zu. Bei jedem Schritt muss der wahrscheinliche Konter des Gegners immer schon antizipiert werden, sonst ist die eben gewonnene Position flugs wieder verloren. In der neuen Ära sind die Wahl des Zeitpunkts des Manövers und die Streckenposition entscheidend, wie Verstappen und Leclerc eindrucksvoll vorzeigten.

Duell als Vergnügen

"Der Kampf war ein Vergnügen", betonte Leclerc, der 20 Punkte Vorsprung auf Verstappen zum dritten Rennen nach Australien nimmt. Die beiden 24-Jährigen müssen zum aktuellen Zeitpunkt als klare Titel-Protagonisten angesehen werden, da Mercedes und Lewis Hamilton mit sich selbst beschäftigt sind. Und Carlos Sainz bei Ferrari respektive Red Bulls Sergio Perez scheinen nicht ganz auf dem Level ihrer Teamkollegen. "Ein neuer Dualismus, der die kommenden 21 Rennen prägen dürfte", prognostizierte die "Süddeutsche Zeitung" bereits.

Red-Bull-Berater und Rennsport-Urgestein Helmut Marko sieht es ähnlich. "Auf alle Fälle. Der Ferrari ist unter allen Umständen – Temperatur, Reifen – immer schnell, unser Auto ist sicher diffiziler abzustimmen", meinte der Steirer. "Ich glaube, wir sind gut gerüstet, aber wir haben einen ebenbürtigen Gegner. Und Leclerc fährt im heurigen Jahr absolut fehlerfrei. Also es wird ein spannendes, super Rennen ein Jahr lang." Nach der Vorsaison mit dem Drama-Finale in Abu Dhabi habe Marko "nicht geglaubt, dass es eine Steigerung gibt – und das haben wir jetzt".

Aber kann die Scuderia das Tempo von Red Bull und Verstappen mitgehen? 2017 und 2018 hatten die Italiener mit Sebastian Vettel lange das stärkste Auto, ehe im Wettlauf der Ingenieure Mercedes die Oberhand gewann. "Wir haben seitdem unsere Werkzeuge verbessert und sind viel besser vorbereitet", versicherte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto zumindest.

Lange Vorgeschichte

Angekündigt hat sich eine möglicherweise große Formel-1-Rivalität bereits beim Österreich-Grand-Prix 2019 in Spielberg, als die beiden damals 21-Jährigen auf Biegen und Brechen um den Sieg kämpften, den schließlich Verstappen nach einem umstrittenen Manöver bekam. Doch die Jungspunde fuhren auch schon davor im Karting-Bereich gegeneinander. 2013 gewann Verstappen in Frankreich als 15-Jähriger die KZ-Kart-Weltmeisterschaft direkt vor Leclerc. "Da hatten wir auch schon tolle Duelle. Wir sind zusammen aufgewachsen, das hat uns geholfen, uns auf unsere Weise zu entwickeln", berichtete Leclerc.

Das Hin-und-Her der beiden Waage-Sternzeichen hat es auch geschafft, vom "Großen Preis der Angst" ("Bild"-Zeitung) abzulenken. Die Raketen-Attacke jemenitischer Houthi-Rebellen nahe der Rennstrecke hatte während des Trainings anschaulich gezeigt, auf welche Turbulenzen sich die Formel 1 mit ihrem Vorpreschen im arabischen Raum einlässt. Zwar ließ sich eine Mehrheit der Fahrer nach einer langen Debatte überzeugen, den Grand Prix auszutragen. Doch das Thema ist für die Piloten keineswegs erledigt. "Nach diesem Wochenende sollten wir mit der Formel 1 und den Teamchefs über die Zukunft reden", sagte Verstappen. (APA, 28.3.2022)