Nochmal impfen oder warten? Diese Frage stellen sich derzeit einige.

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Die Impfthematik ist nach wie vor vieldiskutiert. Die Entwicklung geht dabei in zwei Richtungen: Auf der einen Seite sinken die Impfzahlen permanent, mit einem Tiefststand am vergangenen Sonntag. Insgesamt wurden nur 716 Impfdosen verabreicht, lediglich 38 davon waren Erststiche – und das trotz andauernd höchster Infektionszahlen. Am Montag wurden immerhin wieder 2.819 Impfungen verabreicht, 178 davon Erststiche. Doch die Zahl jener, die einen kompletten Impfschutz haben, sinkt beständig, weil viele sich den dritten Stich noch nicht geholt haben.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die bereits nach dem vierten Stich fragen. Zwar gilt der grüne Pass neun Monate, derzeit und auch in den nächsten Wochen haben also noch fast alle in Österreich mit drei Impfungen ein gültiges Impfzertifikat. Doch nach einer Genesung gilt das Zertifikat nur für sechs Monate. Und auch angesichts des deutlich reduzierten Infektionsschutzes bei der Omikron-Variante wünschen sich einige jetzt schon einen weiteren Booster.

Erste Studien zum vierten Stich

Allein aus zeitlichen Gründen sind die Daten dazu, wie gut ein vierter Stich wirkt, noch recht dünn. Doch jetzt wurden zwei Studien publiziert, die einen verbesserten Schutz für Ältere durch einen zweiten Booster, also die vierte Impfung, eindeutig zeigen. Die Studien werteten Daten aus Israel aus.

Eine auf medRxiv als Preprint erschienene Studie unter Leitung des israelischen Gesundheitsministerium mit Daten von 1.138.681 Personen ab 60 zeigt einen um das Vierfache besseren Schutz gegenüber schwerem Verlauf bei über 60-Jährigen ab zwölf Tage nach der vierten Impfung, verglichen mit der dritten Impfung, die mindestens vier Monate her ist.

Eine auf Researchsquare publizierte Studie wertete Daten des Clalit Health Services von 563.465 Personen von 60 bis 100 aus, die mindestens vier Monate zuvor ihren Booster, also die dritte Impfung, bekommen hatten. Sie zeigte eine Reduktion der Sterblichkeit bei über 60-Jährigen um 78 Prozent gegenüber dem dritten Stich 40 Tage nach der vierten Impfung.

Wieder höhere Antikörper

Das bestätigt auch der Pharmakologe Markus Zeitlinger von der Med-Uni Wien: "Man sieht in den Studien, dass der vierte Stich die Zahl der Antikörper wieder auf Höchstwerte steigert. Allerdings werden diese nicht mehr höher als nach dem dritten Stich, sie kommen nur erneut auf dieses Niveau. Das bedeutet, dass ein allzu früher vierter Stich wohl nichts bringt."

Ein Vorteil ist aber, laut Zeitlinger, dass der Rückgang der Antikörperzahl doch etwas langsamer passiert als nach dem dritten Stich: "Offensichtlich zeigt die vierte Impfung dem Immunsystem, dass diese Information wirklich wichtig ist und dass es sich diese merken soll." Aber weder der vierte noch der zehnte Stich böten einen optimalen Schutz vor Omikron, betont Zeitlinger. Sie reduzierten nur grundsätzlich das Risiko einer Ansteckung und die Schwere des Verlaufs.

Stellt sich also die Frage, wer sich den vierten Stich wann holen soll. Das Nationale Impfgremium (NIG) ist mit der Empfehlung sehr zurückhaltend, es spricht von frühestens nach sechs Monaten für Ältere und Immunsupprimierte. Zeitlinger ist da etwas progressiver: "Ich würde ihn für die genannte Gruppe definitiv empfehlen. Für alle anderen kann man ihn überlegen." Zwar sind die Daten noch dünn, und er bestätigt auch, dass er sich mit der Empfehlung weiter hinauslehnt, als man es bisher von ihm gewohnt war. Bisher riet er normal Gesunden durchaus dazu, auf den angepassten Impfstoff zu warten – aber genau das ist das Problem.

Omikron-Impfstoff verzögert sich

Zuletzt hat man von dem an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff wenig gehört. Für jenen von Moderna zeigen die Daten aus Tierstudien, dass seine Wirkung nicht besser ist als die des bereits vorhandenen. Von Biontech/Pfizer gibt es aktuell gar keine Information zum Stand der Dinge – und normalerweise zögern die Unternehmen nicht mit der Bekanntgabe von Neuigkeiten, meint Zeitlinger: "Diese Kombination lässt mich vermuten, dass das angepasste Vakzin nicht so bald kommen wird."

Das macht für Zeitlinger die Frage nach dem vierten Stich jetzt wieder akuter. Tatsache ist, dass man nicht überimpfen kann, und der derzeit vorhandene Impfstoff schützt auch bei der Omikron-Variante sehr gut vor schwerem Verlauf.

Die Frage ist auch, meint Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ob der Omikron-Impfstoff überhaupt noch Sinn mache im Herbst: "Weil sich so viele Menschen mit Omikron infiziert haben, gibt es gegen diese Variante im Moment eine sehr hohe Immunität. Das heißt, das Virus ist, wie bei einem Katz-und-Maus-Spiel, gezwungen, in eine andere Richtung auszuweichen, weil Omikron bald keinen Durchsetzungsvorteil mehr hat. Und nach der Welle gegen eine Variante zu impfen ist wenig sinnvoll. Langfristig brauchen wir einfach einen Mischimpfstoff, der gegen mehrere oder möglichst alle Varianten schützt."

Entwarnung für Deltakron

Stichwort Varianten: Da war zuletzt von der potenziell sehr gefährlichen Deltakron-Mutation die Rede – einer Mischform aus Omikron und Delta. Fachleute befürchteten, dass Deltakron die Infektiosität von Omikron haben und wieder zu schwereren Verläufen ähnlich wie Delta führen könnte. Hier gibt Elling aber Entwarnung: "Diese Mutation scheint sich nicht durchzusetzen. Es sind nach wie vor wenige Fälle bekannt, da passiert nicht viel."

Dafür sieht man in England aktuell eine andere Rekombination, und zwar von den Omikron-Untervarianten BA.1 und BA.2. Diese dürfte noch infektiöser sein als BA.2 mit einem Selektionsvorteil von etwa neun Prozent. Doch auch hier bleibt Elling gelassen: "Die Zahlen sind aktuell wirklich sehr niedrig, ich sehe quasi keine Chance, dass sich diese Rekombination in der aktuellen Welle durchsetzt." (Pia Kruckenhauser, 29.3.2022)