Bild nicht mehr verfügbar.

Was will ich wirklich? Ein guter Anfang ist, sich damit zu beschäftigen, was einem liegt und was man wichtig findet.

Foto: Getty Images

Dieser Text stammt aus "Mein Job. Mein Leben.", unserem Magazin für den Berufseinstieg.

Es sei ihr immer schon schwergefallen, sich zu entscheiden, sagt Nicole. "Ich war lange auf der Suche nach mir selbst und danach, was ich wirklich machen will." Soll sie die Matura machen oder lieber arbeiten? Mit 15 begann sie eine Lehre im Einzelhandel, danach fing sie in einem Kosmetikgeschäft an. Aber so richtig Spaß machte ihr das nicht. Sie zweifelte, versuchte verschiedene Ausbildungen, wechselte oft ihren Job. Alle um sie herum waren der Meinung, dass sie doch endlich wissen sollte, was sie arbeiten will. "Der Druck hat es nicht besser gemacht", sagt die 24-Jährige heute.

So wie Nicole geht es vielen. Es wirkt wie eine riesige Entscheidung, die man da zu treffen hat: die für einen Beruf. Dabei fühlt es sich an wie gestern, als man noch in die Schule gegangen ist und sich diese Sorgen nicht machen musste. Wie findet man heraus, was wirklich zu einem passt?

Einer, der sich damit auskennt, ist Ali Mahlodji. Er hat das Start-up Whatchado gegründet und schon hunderte Jugendliche bei der Berufswahl beraten. Wir erreichen ihn an einem Dienstagnachmittag. Er sagt: "Wenn du nicht weißt, was du willst, dann ist deine Hauptaufgabe, Dinge auszuprobieren. Du musst deine Freizeit, deine Ferien dafür nutzen, so viel wie möglich kennenzulernen." Egal ob Praktikum oder ein Sommerjob: Jede Erfahrung könne ein bisschen mehr Klarheit schaffen, meint Mahlodji. Er rät außerdem dazu, einfach mal mit Verwandten über ihre Berufe zu reden. "Wenn deine Tante zu Besuch kommt, frag sie: Hey, was machst du eigentlich?"

"Wenn du nicht weißt, was du willst, dann ist deine Hauptaufgabe, Dinge auszuprobieren", sagt der erfolgreiche Unternehmer Ali Mahlodji.

"Aber das Allerwichtigste ist, dich selbst zu beobachten und zu schauen, was dir am meisten Spaß macht. Das können Computerspiele sein, Musik oder Sport." Wer seine liebsten Hobbys identifiziert hat, könne sich fragen: Welche Jobs hängen damit zusammen? Schließlich hat nicht nur die Fußballerin oder der Fußballer mit Fußball zu tun, sondern auch Trainer oder Physiotherapeutinnen. Es braucht auch ein Sekretariat oder Menschen, die das Stadion in Schuss halten. "Auch viele meiner eigenen Ziele sind aus der Begeisterung für etwas entstanden", erzählt der erfolgreiche Unternehmer.

Wir fragen Mahlodji auch noch, wie viel Plan das Leben überhaupt braucht. Muss man mit 15, 20 oder 25 schon klar wissen, was man sein Leben lang machen will? Er verneint. "Wenn du mit Menschen sprichst, die 50 sind, und sie fragst, ob sie damals gewusst haben, was sie heute machen, würden dich die meisten auslachen." Es komme auch gar nicht so selten vor, dass jemand feststellt, dass der Weg, den er eingeschlagen hat, nicht der richtige ist. Dann sei es wichtig, die Reißleine zu ziehen. Dass nichts fix ist und man sich später auch nochmals nach etwas anderem umschauen kann, ist seine beruhigende Botschaft.

Eine weitere ist, dass man sich auf keinen Fall bei der Berufsentscheidung zu sehr unter Druck setzen sollte. "Bevor du 30 bist, musst du überhaupt keine Ziele haben. Du musst erst mal herausfinden, was dir Spaß macht und wer du bist." Je klarer das Bild sei, desto leichter treffe man auch Entscheidungen, um dort hinzukommen.

Keine schnelle Entscheidung

Eltern, Lehrerinnen und Lehrer würden oft unnötig stressen, sagt Mahlodji. "65 Prozent der Jobs, die wir in zehn Jahren haben werden, gibt es überhaupt noch nicht." Niemand könne in die Zukunft schauen, und deshalb mache es auch gar keinen Sinn, jemanden zu einer schnellen Entscheidung zu drängen. Trotzdem sei das "keine Einladung, zu Hause zu sitzen und nichts zu machen". Vielmehr gilt: ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren. "Geh kellnern, verteile Zeitungen. Auch durch Jobs, die dir zuerst keinen Spaß machen, lernst du etwas."

Bild nicht mehr verfügbar.

Mein Job. Mein Leben. – das Magazin für den Berufseinstieg. Heute im STANDARD!
Foto: Getty Images/DER STANDARD

Die Frage, was man arbeiten soll, hängt also stark damit zusammen, was man sonst gerne macht. Es empfiehlt sich, wo reinzuschnuppern und andere über ihre Berufe auszufragen. Aber auch, wer man sein will, ist ein entscheidender Faktor. Wie kommt man zu so einer Selbsterkenntnis?

Um das herauszufinden, rufen wir Tatjana Schnell an. Sie ist Professorin für Psychologie und forscht unter anderem im Bereich der Frage, wann Menschen Sinn empfinden. Die gute Nachricht zuerst: Man muss nicht unbedingt auf Weltreise gehen, um zu erkennen, was man im Leben erreichen möchte. Ein guter Anfang sei schon, sich damit zu beschäftigen, was einem liegt und was man wichtig findet. "Wo muss ich mich nicht erst überreden, es zu tun? Was ist für mich heilig, wo hängt mein Herz dran?"

Am meisten über sich selbst lerne man jedoch, indem man anderen hilft, etwa in einem freiwilligen sozialen Jahr oder einem anderen Ehrenamt. Denn dabei lerne man nämlich Menschen kennen, die nicht dieselben Voraussetzungen haben wie man selbst. "Das gibt nochmals einen ganz anderen Blick auf das eigene Leben", sagt Schnell.

"Ich mach das jetzt"

Wie Ali Mahlodji rät auch sie, Verschiedenes auszuprobieren. "Am besten mit der Einstellung: Ich mach das jetzt, ich probier das aus, aber es ist keine Katastrophe, wenn es mir nicht gefällt." Die Psychologin warnt allerdings davor, jede Chance beim Schopf zu packen, also jedes Praktikum oder jeden Job anzunehmen, der einem angeboten wird. Besser genau überlegen, ob einem das auch Spaß machen könnte. "Wenn man zu etwas Ja sagt, schlägt man auch immer einen Weg ein. Und wenn man das zu oft macht, landet man vielleicht irgendwo, wo man gar nicht hinwollte."

Schnell rät auch, sich bei Entscheidungen nicht zu stark an anderen zu orientieren. Sonst könnte es passieren, dass man die Ausbildung wieder abbricht, weil man sich einfach nicht genug dafür interessiert. Oder dass man eine Stelle wieder kündigt, weil sie sich nicht richtig anfühlt. Ein regelmäßiges Social-Media-Detox könne dabei helfen, sich wieder mehr auf die eigenen Werte zu besinnen.

"Eine Arbeit, die Sinn gibt, muss keine sein, die die Welt rettet", sagt Tatjana Schnell, Professorin für Psychologie.
Foto: FLORIAN LECHNER

Am Ende des Gesprächs empfiehlt die Psychologin noch, sein Glück nicht an das Erreichen irgendeines Ziels zu knüpfen. "Es ist gefährlich, zu denken, dass man erst glücklich sein kann, wenn man einen festen Freund hat, die perfekte Figur oder eine Menge Geld." Das hindere einen daran, im Hier und Jetzt zufrieden zu sein. Schnell warnt auch vor zu hohen Erwartungen. "Eine Arbeit, die Sinn gibt, muss keine sein, die die Welt rettet", sagt sie. "Jede Arbeit hat irgendeinen Nutzen."

Nicole befand sich genau in diesem Dilemma – und setzte weiter alles aufs Ausprobieren. Als das Geschäft, in dem sie zuletzt gearbeitet hatte, schloss, zog die Kärntnerin kurzerhand nach Graz – ohne Wohnung, ohne Job. "Ich habe das als ein Zeichen verstanden." Nach ein paar Wochen in der neuen Stadt entdeckte sie eine Ausschreibung: Kundenservice in einem Telekommunikationskonzern. Sie bewarb sich. "Ich dachte mir, ich probiere das jetzt einfach. Was soll schon passieren?" Inzwischen ist Nicole seit über eineinhalb Jahren bei der Firma, kümmert sich um besonders ungemütliche Beschwerden, und kann sagen, "dass ich einen Job habe, der mich erfüllt".

Auf dem Weg dahin hat sie einiges ausprobiert. Vieles davon machte ihr keinen Spaß. Sie zweifelte oft. Sie beschäftigte sich mit sich selbst und ihren Wünschen und Glaubenssätzen. Sie fand über sich heraus, dass sie selbstsicher und empathisch ist. Sie war mutig. Sie erkannte, dass Rückschläge dazugehören und "man nicht jeden Tag glücklich sein und die Welt erobern kann". Und als sie dann wusste, was sie will, ließ sie sich von anderen nicht abbringen. "Zu oft sagen Leute: ‚Du schaffst das nicht!‘ Ich bleibe mir und meinen Werten treu, das ist das Wichtigste, und damit bin ich glücklich." (Lisa Breit, 2.4.2022)