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Wien wurde schon im Kalten Krieg "Stadt der Spione" genannt.

Foto: Getty/Christoph Hetzmannseder

Österreich sei ein "wahrer Flugzeugträger" für verdeckte russische Aktivitäten: Der Vorwurf eines "europäischen Diplomaten" in der "Financial Times" zog zuletzt weite Kreise. Das österreichische Verteidigungsministerium des Landes ist "praktisch eine Abteilung des GRU", fügte der zitierte Diplomat noch hinzu.

Dass die russische Botschaft in Wien – historisch gewachsen – eine wichtige russische Spionagedrehscheibe ist, stehe außer Frage, sagt der Geheimdienstexperte Thomas Riegler. Wien, im Kalten Krieg als Stadt der Spione bezeichnet, sei hier nicht zuletzt durch seine geografische Lage attraktiv.

Fakt sei, dass die russische Präsenz in Österreich überdurchschnittlich groß ist, nicht nur im diplomatischen Sektor, sondern auch unter "non official cover" in diversen Vertretungen: "Ein gewisser Prozentsatz ist sicher für den Militärgeheimdienst GRU oder den Auslandsgeheimdienst SWR im Einsatz", so Riegler. Um wie viele Personen es sich handelt, ist freilich nicht bekannt. "Die russischen Aktivitäten in Wien muss man aber ernst nehmen", sagt Riegler. Vor allem im jetzigen Kontext. Russische Agenten würden im Westen zum Beispiel die Aufklärung von Nachschubwegen in die Ukraine übertragen, um Waffenlieferungen des Westens zu sabotieren. Dass Mitte März ein Truppenübungsplatz nahe der ukrainischen Grenze zu Polen, wo ausländische Freiwillige ausgebildet wurden, vom russischen Militär angegriffen wurde, könnte auch ein Erfolg der russischen Spionageaktivitäten sein.

Viele Länder sind also zurzeit damit beschäftigt, Moskaus verdeckte Aktivitäten auf ihrem Boden erstmals zu sondieren. Aufgrund der eher laxen Rechtslage beschäftigte sich auch der österreichische Nachrichtendienst bisher nur mit Aktivitäten, die gegen das eigene Land gerichtet sind.

BVT in der Kritik

Österreichische Dienste galten aber in den letzten Jahren in internationalen Sicherheitszirkeln insgesamt als wenig vertrauenswürdig. So richtig begannen die Glaubwürdigkeitsprobleme im Jänner 2017. Damals warnte ein "befreundeter Partnerdienst" – dem Vernehmen nach die Briten – vor einem "angeblichen Informationsabfluss" aus dem damaligen BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung). Das betreffe auch geheime Informationen, "die seitens anderer Staaten Österreich (…) überlassen wurden", wie es in einem Bericht des BVT hieß. Ein Mitarbeiter namens Egisto Ott habe sich mutmaßlich klassifizierte Daten auf seinen privaten E-Mail-Account geschickt – für den Partnerdienst ein Alarmsignal. Bis heute laufen großflächige Ermittlungen, was Ott und sein Netzwerk tatsächlich getrieben haben.

Es folgten nachrichtendienstliche Katastrophen, die das Image der österreichischen Dienste in Europa nahezu zerstörten. 2017 wurde Herbert Kickl Innenminister, Mario Kunasek übernahm das Verteidigungsressort. An der ministeriellen Spitze aller Nachrichtendienste standen somit Politiker der FPÖ, einer Partei, die einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Fraktion Einiges Russland abgeschlossen hatte. Als im Februar 2018 unter polizeilicher Leitung eines FPÖ-Politikers das BVT durchsucht wurde, war endgültig Feuer am Dach. Europaweit machten Gerüchte über eine Kompromittierung des Dienstes die Runde. Andere Dienste fuhren ihre Informationszufuhr auf null herunter, zumindest was die Themen Rechtsextremismus und Russland betraf.

Legendärer Hochzeitsgast

Die türkis-blaue Regierung zeigte sich davon unbeeindruckt und setzte sogar noch eins drauf: Im August 2018 lud Außenministerin Karin Kneissl den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu ihrer Hochzeit ein – obwohl es nur fünf Monate zuvor zu einem Nervengiftanschlag in der britischen Stadt Salisbury gekommen sein soll. Im Herbst 2018 wurde bekannt, dass ein damals schon pensionierter Oberst jahrelang Informationen an russische Dienste verkauft haben soll. Mittlerweile ist er zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Auch nach dem Zusammenbruch des deutschen Finanzkonzerns Wirecard wurde rasch klar, dass dessen Chief Operating Officer (COO), der gebürtige Wiener Jan Marsalek, intensive Beziehungen sowohl nach Russland als auch in heimische Sicherheitsbehörden gepflegt hatte. Aufgearbeitet wird all das Stück für Stück durch die polizeiliche "Arbeitsgruppe Fama" und die Staatsanwaltschaft Wien. Die Ermittlungen sehen sich jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, parteiisch zu agieren – ihnen wird ÖVP-Nähe nachgesagt.

Während die Untersuchungen laufen, versucht der Verfassungsschutz, wieder Fuß in Europa zu fassen. Ein erster, gewaltiger Schritt war die Organisationsreform, die das BVT zur Direktion für Staatssicherheit und Nachrichtendienste (DSN) machte. Deren Direktor Omar Haijawi-Pirchner soll in den vergangenen Monaten seit seinem Amtsantritt durch Europa gepilgert sein, um die Verlässlichkeit der neuen Behörde zu preisen. Es gibt zaghafte Annäherungsschritte, weitere Skandale können sich heimische Dienste wohl nicht mehr leisten. (Manuela Honsig-Erlenburg, Fabian Schmid, 29.3.2022)