Das Ende der alten Codes für "Männlichkeit" ist überfällig.

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Panzergrenadierbataillon 72, sechste Kompanie, dritter Zug. Nur damit Sie Bescheid wissen. Da 2022 offenbar wieder Texte und Bücher gewetzt werden, in denen (links)liberale, eigentlich der Gewalt eher abgeneigte Männer anderen (links)liberalen, eigentlich der Gewalt eher abgeneigten Männern publikumswirksam vorwerfen, "zu weich für die neue Wirklichkeit zu sein", dachte ich, ich etabliere hier mal besser gleich meine Männlichkeits-Credentials.

Auf meinem Kompanieemblem hat eine Eisenfaust ein Feuer zerschlagen. Eine Eisenfaust, verdammt. Ich habe mit einer halbautomatische Walther P1 geschossen und mit einer Uzi. Mit einem G3, einem G36 und einem schweren Maschinengewehr. Ich habe Orts- und Häuserkampf trainiert, Handgranaten geworfen, Panzerfäuste abgefeuert und bin mit einem Jagdpanzer durch die Lüneburger Heide gefahren, um aufgeheizte Wracks mit einem französischen Raketensystem zu beschießen. Und? Bin ich jetzt, da Sie das von mir wissen, in Ihren Augen mehr Mann als in der letzten Kolumne? Oder könnte ich einfach nur ein Typ sein, der lieber zehn Monate Grundwehrdienst als 13 Monate Zivildienst genommen hat, weil er gerne gleichzeitig mit seiner Freundin anfangen wollte zu studieren?

Bin ich vielleicht sogar ein Typ, der nachträglich verweigert hat, weil ihm Waffen und Militarismus zuwider sind? Und wenn dem so ist, bin ich dann weniger ein Mann? Habe ich Teile meiner Männlichkeit eingebüßt, als ich mich entschied, kein Fleisch mehr zu essen oder mir die Samenleiter durchtrennen zu lassen? Bin ich womöglich "entmannt", weil ich meine Kinder in Tragetüchern transportiert habe?

Weil ich mir gelegentlich Röcke anziehe? Bin ich, um vollständig im Jahr der patriarchalen Ohrfeigen anzukommen,

weniger Mann, weil man mir als Kind ins Gesicht geschlagen hat? Und war ich es in anderen Momenten mehr, als ich andere Männer beleidigt, erniedrigt und ihnen Schmerzen zugefügt habe? Denn das sind die Fragen, die man(n) sich 2022 offenbar stellen muss. Dem Comedian Oliver Pocher wurde auf einer Boxkampfveranstaltung von einem Angreifer ohne Vorwarnung mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Die Umstehenden griffen nicht ein.

Auf der anderen Seite des Atlantiks machte der Comedian Chris Rock als Moderator der Oscarverleihung eine Bemerkung über die Schauspielerin Jada Pinkett-Smith. Wenige Augenblicke später betrat ihr Ehemann Will Smith die Bühne, schlug Rock ins Gesicht und ließ den gesamten Saal wissen, dass der Moderator gefälligst nicht den Namen seiner Frau in den Mund zu nehmen habe.

Männer zurück in die "Männlichkeit"

Und während im Internet schnell die Rede von "Ehre genommen" und "Ehre wiederhergestellt" die Rede war, ist es meine Aufgabe, Ihnen mitzuteilen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Sie mögen vielleicht den Eindruck haben, dass wir inzwischen lange genug über Männlichkeit und neue Männer gesprochen haben. Damit sind Sie nicht allein. Mit diesem Eindruck lässt sich Geld verdienen. Bücher, Kurse und Coachingangebote, die Männer wieder an ihre Urkraft / in die Männlichkeit / auf den Pfad der Wildheit / (hier bitte beliebiges Männlichkeitsklischee einfügen) zurückführen sollen, haben Hochkonjunktur.

Weil Männer keine miesen Arschlöcher mehr sein wollen, aber auch nicht als verweichlichte Schwächlinge gelten möchten, die – wenn es drauf ankommt – nicht einmal ihre Frauen verteidigen, sind sie anfällig dafür, mit Rat zu korrektem männlichem Verhalten geschlagen zu werden. Genau deshalb stehen wir auch immer noch am Anfang dieser Debatte. Solange wir uns intellektuell mit der Frage aufhalten, ob es nun männlicher sei, eine Waffe abzufeuern und sein Land zu verteidigen oder zu fliehen, sind wir keinen Schritt weiter. Männer werden sich wieder anhören müssen, dass es irgendwie unmännlich sei, wenn sie gepunktete Socken tragen, kochen und sich kümmern. Wir werden weiterhin fleißig "Die Rückkehr der Ohrfeige"-Texte schreiben und lesen und uns fragen, warum das mit dieser Geschlechterkiste überhaupt so postmodern kompliziert sein muss.

Uns gegenseitige sehen

Und Männlichkeit bleibt ein absurder Götze, vor dem sich ausnahmslos alle zu beugen und ihre Zeit mit Götzenbeschwichtigungsgesten zu verplempern haben, anstatt geschlechtsübergreifend wirklich mal Dinge geregelt zu bekommen. Sie verdammt Männer dazu, Schellenmänner zu sein. Männer, die schlagen und geschlagen werden. Die ihr Geschlecht markieren und belegen müssen, damit ja keine Unklarheiten herrschen. Eisenfaust in Feuer als Antwort auf die Heinrichfrage: Wie hältst du es mit der Männlichkeit?

Ich will Ihnen dazu einen Gegenvorschlag machen, damit wir im nächsten und allen darauffolgenden Jahren nicht in der immer gleichen Feedbackschleife aus "Wo waren eigentlich die ganzen Männer, als es galt, dieser oder jener Bedrohung mit Gewalt zu begegnen?!"und dem so gern zitierte Diktum meiner Kollegin Nina Pauer stecken, nach dem "auf junge Frauen die neue Männlichkeit schrecklich kompliziert und furchtbar unsexy wirkt". Männer schulden nichts und niemandem ihre Gewaltbereitschaft. Außerdem ist es Bestandteil ihrer noch ausstehenden Emanzipation, dass es ihnen wirklich sehr egal sein darf, ob Frauen ihr Innenleben kompliziert und unsexy finden. Männer schulden Frauen keine Unkompliziertheit oder kernige Sexiness.

Also lassen Sie uns alles auf den Tisch legen: Männlichkeit muss verraten werden, damit dieser ganze Unfug irgendwann aufhört. Jedes kleine Detail, jeder schmutzige Trick, jeder Kränkungsmechanismus und jede stolze Anwandlung. Jeder Schmerz, jede Liebe, jede Feigheit und jeder Mut. Damit wir kein Geheimnis und kein Gewese mehr darum machen. Damit wir voneinander wissen. Damit wir uns endlich sehen und zueinanderfinden, anstatt weiterhin diesen tristen Schellenmännermummenschanz aufzuführen. (Nils Pickert, 3.4.2022)