Eines wird Ihnen nicht gelingen: Letzter oder Letzte zu werden. Dafür sorgten vergangenen Samstag Helen und ihr Hund Finn. Und auch kommenden Samstag wird es jemanden geben, der da den nichtmotorisierten "Besenwagen" im Donaupark machen wird und im Klassement online dann für alle Ewigkeit als Allerallerallerletzter aufscheinen wird. Manchen Menschen ist es wichtig, das nicht zu sein. Aber gerade die wollen Wolfgang Mayr und seine Freunde einladen, es doch auch einmal zu versuchen. Was versuchen?

Ganz einfach: Bei einem Lauf mit Zeitnehmung dabei zu sein. Nicht mit Zeitnehmung auf dem eigenen Tracker, sondern bei einem Wettkampf – oder halt so etwas Ähnlichem.

Foto: Tom Rottenberg

Deshalb treffen sich Mayr und ein paar Handvoll andere jeden Samstag gegen halb neun Uhr morgens im Donaupark, streifen sich gelbe Sicherheitswesten über, markieren einen knapp 1,7 Kilometer langen Rundkurs durch den Park und stellen ein Start- und ein Zielschild auf.

Dann warten sie – und freuen sich jede Woche aufs Neue, wenn dann 30, 40 oder manchmal auch schon 60 oder 70 Menschen in Laufgewand daherkommen und, zumindest beim ersten Mal, ein wenig unsicher fragen: "Seid ihr der Parkrun?"

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Ja, lachen die Leute in Gelb dann, das seien sie: der Parkrun. Und dass da nicht 1.000 Beachflags, Sponsorenbanner, Zielbögen und Zeitnehmungsmatten zu sehen sind, dass da keine Beschallung dröhnt, vorher keine Startnummern und nachher keine Finishermedaillen verteilt würden, das sei richtig und gewollt.

Weil es Teil des niederschwelligen Konzepts ist, mit dem dieses Laufformat seit 2004 international Furore macht – und letzten Samstag zum mittlerweile 17. Mal auch in Wien über die Bühne ging: ein samstäglicher Fünfkilometerlauf mit Zeitnehmung für jedermensch – kostenlos.

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Parkruns sind eine schöne Einstiegshilfe in die Welt des Um-die-Wette-Laufens. Oder eben des In-einem-Rudel-gegen-sich-selbst-Antretens. Sie sind, wenn man es darauf anlegt, kompetitiver als ein Lauftreff, bei dem man halt gemeinsam joggt. Sie sind aber so niederschwellig und locker angelegt und ausgerichtet, dass sich niemand vor dem Wettkampf, der Konkurrenz oder gar dem "Verlieren" fürchten müsste. Nicht nur in Wien, wo Helen und Finn einen souveränen Start-Ziel-Schlussläuferinnen-Lauf hinlegten, sondern überall, wo es Parkruns gibt. Also in mittlerweile über 2.000 Parks oder öffentlichen Flächen auf der ganzen Welt (Stand Jänner 2022) .

Anmerkung: Die Eltern stimmten der Verwendung dieses Bildes ausdrücklich zu.

Foto: Tom Rottenberg

Begonnen hat die Parkrun-Geschichte in London. Dort, im "Bushy Park", folgten am 2. Oktober 2004 exakt 13 Personen der Einladung eines gewissen Paul Hinton Hewitt zu einem Fünf-Kilometer-Lauf mit Zeitnehmung und anschließendem gemeinsamen Frühstück: Hewitt laborierte an einer Laufverletzung und hatte gerade den Job verloren, wollte aber den Kontakt zu seinen Laufkumpanen und Laufkumpaninnen nicht verlieren.

Was als "Bushy Time Trial" begann, wurde rasch zur Institution. Ab 2007 lief man auch in Wimbledon Common – und in Simbabwe.

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Von da an ging es steil bergauf. Weltweit sind derzeit angeblich jeden Samstag um die 300.000 Menschen an einem der über 2.000 Lauforte weltweit dabei. Alleine in Deutschland – dort begann das Parkrun-Fieber im Dezember 2017 zu grassieren – wird an 47 Standorten gelaufen. In Österreich sind es derzeit zweieinhalb: In Wien und Salzburg (Hellbrunn) wird bereits gelaufen – und in Linz startet man das erste Mal am 16. April in Urfahr am Donauradweg, dem "Heilhamer Weg".

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Den Sprung nach Österreich machten die kleinen Volksläufe mit Zeitnehmung aber über einen Umweg: Der Gänserndorfer Wolfgang Mayr, im "echten" Leben unter anderem Veranstalter der Marchfelder Laufserie, stolperte dereinst in Brisbane über einen der knapp 400 australischen Parkruns – und beschloss, die Idee nach Österreich zu importieren.

Die Erfinder und Rechteinhaber des Labels, die Parkrun Global Limited im englischen Twickenham, fanden die Idee, nach Wien zu expandieren – no na – charmant. Und daran, dass es Läuferinnen und Läufer mit Lust auf ein zwangloses Gratis-Format auch hierzulande geben würde, zweifelte niemand.

Foto: Tom Rottenberg

Offen war nur die Frage des Ortes: Den 750. Lauf auf der Prater Hauptallee brauchte niemand. Der bürokratische und organisatorische – und damit finanzielle – Aufwand, um in den Bundesgärten Schönbrunn oder Augarten zu laufen, wäre aber zu hoch gewesen.

Donaukanal? Bei dem Fuß- und Radverkehr dort nicht ohne Risken. Donauinsel: fad. Über einen Bekannten fanden Mayr und die in der Wiener Parkverwaltung für den Donaupark zuständigen Leute zusammen – und: Bingo!

Das "Problem" der Gefahr durch die lokale Liliputbahn durch den ehemaligen Gartenschau-Park war keines: Der Zug fährt erst ab zehn Uhr.

Foto: Tom Rottenberg

Ein paar Striche durch die Rechnung machten den Parkrunnern aber natürlich die Corona-Auflagen und die mit ihnen einhergehenden Einschränkungen und Lockdowns – aber da hier weder Millionen investiert noch lukriert werden, war das finanzielle Risiko überschaubar.

Beim Parkrun wird nicht nur gratis gelaufen: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Freiwillige.

Dass die Läuferinnen und Läufer kommen würden, war klar: Nach 1.000 Covid-Absagen sind viele dankbar für alles, was auch nur im Entferntesten nach "Wettkampf" klingt oder riecht. Davor, überrannt zu werden, "rettet" aber wohl das niederschwellige, unaufdringliche Setup den Event: Wer auf Treppchen und Trara steht, ist hier einfach falsch.

Foto: Tom Rottenberg

Dass da natürlich auch bekannte und sehr schnelle Nasen der Wiener Laufwelt mit am Start stehen, stört die Veranstalter zwar keineswegs – das sei, betont Mayr aber, keinesfalls das Konzept der Veranstaltung: Zielgruppe sind all jene Läuferinnen und Läufer, die einfach einmal ausprobieren wollen, wie es sich wohl anfühlt, einen Bewerb zu laufen. Die diese kleine Nervosität vor dem Start spüren wollen. Die miterleben wollen, wie sich ein zunächst kompakter Pulk in die Länge zieht. Und die dann ausprobieren wollen, wie das mit dem Kräfte-Einteilen, dem Tempohalten und dem Schlusssprint denn so ist. Einfach so – nur für sich.

Foto: Tom Rottenberg

Dass es da kein mega-aufwendiges superpräzises Matten-, Chip- oder sonstwas Zeitmessystem gibt, ist eh klar. 2004, bei der Premiere, wurde im im "Bushy Park" noch mit der klassischen Hand-Stoppuhr gemessen.

Heute ist das System ein bisserl elaborierter, aber doch noch halbwegs "basic": Wer sich bei Parkrun registriert, bekommt per Mail einen Barcode. Der gilt auf der ganzen Welt.

Denn wer am Samstag – egal wo auf der Welt – über die Ziellinie kommt, wird per App registriert. Zunächst nur als anonymer Zeitstempel-Eintrag. Allerdings erhält jeder und jede gleich hinter der Ziellinie einen nummerierten Chip, einen "Token".

Foto: Tom Rottenberg

Lässt er den ein paar Meter weiter von einem Volunteer einscannen, wird die Einlaufzeit mit dem Token verknüpft: Es gibt also ein brauchbares, jetzt aber noch anonymes Ranking.

Fügt man dem Token-Eintrag dann aber noch den individuellen Barcode hinzu, wird daraus eine echte Rangliste. Und die lässt sich nach Namen, Geschlecht, Alter, Haarfarbe, Sternzeichen oder was auch immer strukturieren: Schon findet jeder und jede, der oder die das will, den eigenen Namen in einem fast offiziellen Rennergebnis.

Aber vor allem kann man dann schon am Samstag vor zehn Uhr früh stolz darauf sein, sich selbst wieder mal ein bisserl herausgefordert und den inneren Schweinehund einmal mehr besiegt zu haben.

Foto: Tom Rottenberg

Und zwar unabhängig davon, ob man geflogen, gerannt, getrabt, gewalkt oder gehoppelt ist – oder gar gerobbt: Verlieren, also Letzter oder Letzte werden, kann man beim Parkrun auf keinen Fall.

Denn sogar wenn man sich am Samstagvormittag nur unwesentlich schneller als mit der Geschwindigkeit der Plattentektonik durch den Donau- oder eine anderen Laufpark schiebt, ist eines sicher: Helen und Finn – oder wer sich anderswo als "Schlussbegleitung" gemeldet hat – werden alles in ihrer Macht Stehende tun, noch langsamer zu sein. Und nachher gemeinsam mit allen, die Lust haben, frühstücken. (Tom Rottenberg, 30.3.2022)

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