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Diese Aufnahme zeigt eine dreidimensionale Kultur menschlicher Brustkrebszellen mit blau gefärbter DNA und grün eingefärbtem Protein der Zelloberflächenmembran.

Foto: AP / National Institutes of Health

Krebs zählt zu den häufigsten schweren Erkrankungen weltweit. Entsprechend großes Forschungsinteresse kommt dadurch jenen Ansätzen zu, die künftig ermöglichen sollen, Krebs besser zu behandeln.

Biologisch betrachtet kommt es bei Krebs zu einem unkontrollierten Teilen und Vermehren von Zellen. Ursache dafür sind Mutationen in Genen, die diese Prozesse steuern. Mit Krebsmedikamenten wird versucht, diese Wachstumssignale zu stoppen und zurück in geordnete Bahnen zu lenken. Forschende von Boehringer Ingelheim haben nun einen Wirkstoff entdeckt, der genau das bei vielen Krebsarten erreichen könnte. Das Molekül blockiert die Funktion von KRAS, einem von vier Genen, die zusammengenommen für die Hälfte aller Krebserkrankungen verantwortlich sind.

Fatales Zusammenspiel

KRAS ist bei Dickdarmkrebs zu mehr als 40 Prozent, bei bestimmten Lungenkarzinomen zu über 30 Prozent und beim besonders aggressiven Bauchspeicheldrüsenkrebs zu etwa 90 Prozent mutiert. Für jedes Gen wird in der Zelle ein oft gleich benannter Eiweißstoff, also ein Protein, hergestellt. Ist das Gen mutiert, sind somit auch das darauf basierende Protein und dessen Arbeitsweise leicht verändert.

Das KRAS-Protein aktiviert zelluläre Wachstumsfaktoren und führt bei mutationsbedingt erhöhter Tätigkeit zu Krebs. KRAS funktioniert dabei im Zusammenspiel mit einem anderen Protein, das SOS1 genannt wird. Bei jedem Aktivierungsschritt, den KRAS durchführt, wird es selbst deaktiviert und benötigt SOS1, um wieder für den nächsten Einsatz vorbereitet zu werden.

Krebs kann also auch mit mutiertem KRAS nur dann schneller wachsen, wenn dessen Zusammenspiel mit SOS1 funktioniert. Dazu müssen die beiden Proteine physisch direkt in Kontakt treten. Der von Boehringer Ingelheim erforschte SOS1-Hemmer bindet an diese Kontaktstelle und verhindert wie ein Fuß in der Tür, dass die Moleküle ineinandergreifen und den Reaktivierungsschritt abschließen können.

Nur bei bestimmten Mutationen

"KRAS ist wie das schlagende Herz von Krebs und SOS1 der dazugehörige Schrittmacher. Mit dem SOS1-Hemmer verlangsamen wir das Schlagen, mit KRAS-Hemmern können wir es stoppen", sagt Darryl McConnell, Leiter des Forschungsstandorts von Boehringer Ingelheim in Wien, einem Mitglied im Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO). Das Besondere an dem neu entwickelten Wirkstoff ist, dass er mit der Bindung zwischen KRAS und SOS1 in einen zentralen Mechanismus bei Krebserkrankungen eingreift.

Andere derzeit untersuchte mögliche Medikamente wirken nur bei bestimmten Mutationen von KRAS und sind bei anderen Mutationen wirkungslos. Der aktuelle SOS1-Hemmer könnte im Gegensatz dazu bei fast allen KRAS-Mutationen eingesetzt werden. Das liegt daran, dass die Bindung an SOS1 unabhängig von den verschiedenen KRAS-Mutationen benötigt wird.

Gezielte Hemmung

Präklinische Daten haben gezeigt, dass der SOS1-Blocker gezielt das Wachstum von Krebszellen mit KRAS-Mutation hemmt. Auch in Laborstudien lieferte er bereits vielversprechende Ergebnisse in Kombination mit anderen Stoffen. Bis es aber so weit war, musste lange und viel geforscht werden. Die Suche begann mit einer riesigen Sammlung von über einer Million Molekülen, die per Computer nach geeigneten Kandidaten durchforstet wurde.

Daraus wurden nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip passende Strukturen identifiziert und weiter untersucht. "Wir haben 2012 entschieden, nach Medikamenten für alle Hauptmutationen von KRAS zu suchen", sagt McConnell. Zeitgleich untersuchten die Forschenden nicht nur direkte Ansätze für KRAS, sondern auch für damit in Verbindung stehende Proteine.

Molekulare Überraschung

"Ein Molekül aus einem Projekt aus den 1990er-Jahren passte überraschenderweise auch zu SOS1", sagt McConnell. Daraufhin wurde das Molekül im Labor verändert und wie der Bart eines Schlüssels angepasst, damit die Struktur selektiv nur mehr an SOS1 bindet.

Der Wirkstoff befindet sich derzeit in Phase-1-Studien, danach könnte er in weiteren Studien mehr Patienten versuchsweise zur Verfügung stehen. Der weitere Weg ist durchaus noch lang. McConnell ist nicht nur für die Strategie der Forschung verantwortlich, sondern auch dafür, seine Teams motiviert zu halten: "Forschung ist geprägt von Rückschlägen."

In den Nachrichten würden die Durchbrüche berichtet, aber für jeden Durchbruch gebe es zig Rückschläge. "Das Wichtigste ist, diese Rückschläge hinzunehmen, schnell daraus zu lernen und weiterzuforschen." (Markus Plank, 3.4.2022)