Wandert vom besetzten Korea nach Japan aus: Minha Jim als junge Sunja in der achtteiligen Serie "Pachinko".

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Oscar-Preisträgerin Youn Yuh Jung als alte Sunja in "Pachinko".

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Yuna als Sunja im Kindesalter.

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Jin Ha als Geschäftsmann Solomon in "Pachinko".

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Was für eine Generation ein Grund ist, stolz zu sein, mag der nächsten schon als Schande erscheinen. Als die nach Japan ausgewanderte Koreanerin Sunja ihrem Enkelsohn Solomon von den Plänen seines Vaters erzählt, einen weiteren Pachinko-Salon zu eröffnen, hält sich die Freude bei dem polyglotten, sonst in New York lebenden Geschäftsmann in Grenzen. Er solle den Vater mit seiner Scham verschonen, mahnt die Großmutter. Das Argument des Enkels, dass er dieses Wort gar nicht in den Mund genommen hätte, lässt sie nicht gelten. Sie kenne den Geruch der Scham, so die alte Frau, sie habe lange genug gelebt.

Alte und neue Heimat

Über vier Generationen erstreckt sich das Familienpanorama, das die Serie Pachinko derzeit auf Apple TV+ ausbreitet. Sozialer Auf- und Abstieg und ihr Zusammenhang mit Bildung spielen in der Saga eminente Rollen. Erzählt wird von der koreanischen Diaspora und damit von Unterdrückung und Widerstand, von alter und neuer Heimat, von Assimilation und deren Grenzen. Die frei interpretierte Grundlage für die acht rund einstündigen Folgen bildet der gleichnamige, akribisch recherchierte New York Times-Bestseller von Min Jin Lee.

Ihren Ausgangspunkt nimmt die Geschichte auf einer von Japan besetzten koreanischen Insel im Jahr 1915. Die Eltern des Mädchens Sunja führen einen kleinen Beherbergungsbetrieb. Der hinkende Vater ist nicht nur wegen seiner Behinderung ein Außenseiter, die Mutter wähnt einen Fluch auf der Familie. Vor den Besatzern lebt man in ständiger Furcht, ein falsches Wort kann Lebensgefahr bedeuten. Zwar wird Sunja zu ihrem Bedauern nicht zur Schule geschickt. Dafür gibt es aber viel Liebe seitens der Familie. Und dass sie reichlich an Mut, Gerechtigkeitssinn und praktischer Intelligenz verfügt, beweist Sunja schon als Kind, wenn sie am Fischmarkt um einen fairen Preis feilscht.

Die Figur der Sunja bleibt in der von Soo Hugh (The Terror, The Killing) kreierten Serie das Prisma, in dem sich die wesentlichen Handlungsstränge brechen. Dargestellt wird sie in allen Lebensphasen, beginnend beim Kind (Yuna) und Teenager (Minha Kim), von allesamt großartigen Schauspielerinnen. In der Rolle als lebensweise Matriarchin Sunja ist die dank ihrer oscarprämierten Rolle als Großmutter in Minari auch in unseren Breiten bekannte Youn Yuh Jung zu sehen.

Hoffnung Glücksspiel

Am anderen Ende der Migrationsgeschichte findet sich mit Sunjas Enkel Solomon (Jin Ha) ein junger Geschäftsmann, der sich in den ausgehenden 1980er-Jahren zielstrebig in der Finanzwelt bewegt und auch durchaus bereit ist, seine Großmutter einzusetzen, um einen lukrativen Immobiliendeal über die Ziellinie zu bringen. Mittendrin ist der Vater Solomons, der einst seine Chance genützt hat, um es als Betreiber von Pachinko-Salons zu Geld zu bringen. Mit dem beliebten Spiel, das Roman und Serie ihren Namen gibt, wird in Japan das Glücksspielverbot umgangen. Millionen lassen bis heute Tag für Tag die kleinen Metallkugeln in der Hoffnung auf Sachpreise, die gegen Geld getauscht werden können, durch die Spielautomaten laufen. Als ein eben nicht gut beleumundetes Geschäft, das man gerne den Einwanderern überließ, eröffnete es ethnischen Minderheiten wie den nach Japan ausgewanderten Koreanern Verdienstmöglichkeiten, deren sie in ihrer Heimat beraubt worden waren.

Trailer zu "Pachinko".
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Anders als der Roman erzählt die Serie die Geschichte von Sunja und ihrer Familie allerdings nicht chronologisch, sondern im eleganten Gleiten zwischen verschiedenen Zeitebenen und den damit einhergehenden Ortswechseln. Was zur Verwirrung hätte führen können, erweist sich als Stärke: Die Figuren reflektieren sich gegenseitig, gewinnen an Tiefe. Natürlich geht es in Pachinko neben der familiären ganz wesentlich auch um mehr oder weniger romantische Liebe und deren Verlust. Die Serie bietet geradezu ein Kompendium an Melodramatik.

Universelle Erfahrungen

Auch an Schauwerten wird nicht gespart, von einer unwiderstehlichen Titelsequenz, in der die Hauptfiguren zum 1967er-Hit Let’s Live For Today der Grass Roots im Pachinko-Salon tanzen, über grandiose Set-Pieces wie den Fischmarkt bis zu Sequenzen, die in ihrer Glattheit allzu sehr gängiger Werbeästhetik nahekommen. Neue Facetten jenseits von K-Pop und Serien wie Squid Game fügt Pachinko dem Koreabild jedenfalls hinzu. Am stärksten ist die koreanische Familiensagaaberdort, wo über Hollywood-Konzessionen hinaus erzählt und vor allem eines klar wird: wie sehr sich Erfahrungen mit Migration und Unterdrückung auf aller Welt gleichen. (Karl Gedlicka, 30.3.2022)