Der Kometenfalter, der auf dem Buchcover von "Überflieger" zu sehen ist, zählt mit oft mehr als 15 Zentimetern Flügelspannweite zu den größten Schmetterlingen weltweit.
Bild: Dölling und Galitz Verlag, Foto von Ingo Arndt

Flatterhafte Formwandler sind es, die wie nur wenige andere Tiere Wandlungsfähigkeit verkörpern. Sie machen nicht nur erstaunlich verschiedene Lebensphasen durch, sondern treten auch in einer enormen Spannbreite auf – von unauffälligen Nachtfaltern, die es sich auf einem Zündholzkopf bequem machen könnten, hin zum Kometenfalter mit bis zu 16 Zentimetern Flügelspanne. Keine Sorge, er kann einem nur in den Regenwäldern Madagaskars zufällig über den Weg fliegen.

Dieser Riesenschmetterling ziert auch beinahe in Originalgröße das Cover des aktuellen Buchprojekts, das der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Ingo Arndt umgesetzt hat. Um die Vielfalt der Falter darzustellen, tat er sich mit dem Autorenteam Veronika Straaß und Claus-Peter Lieckfeld zusammen, das durch die kürzliche Publikation über Insekten bereits gut vorbereitet war. Beim Fotografen folgen die Falter auf einen ebenfalls beeindruckenden Bildband über Bienen.

Hat die Transformation schon hinter sich: ein Monarchfalter nach dem Ausbruch aus seinem Kokon.
Foto: Ingo Arndt

Partnersuche mit Keuschheitsgürtel

Jetzt kommen mit "Überflieger. Die vier Leben der Schmetterlinge" bildgewaltige Einblicke in die Phasen des Schmetterlingdaseins. Die enorme Vielfalt der Flatterer lässt sich freilich kaum auf 144 oft großformatig bebilderten Seiten einfangen: Mit etwa 180.000 beschriebenen Arten stellen Schmetterlinge nach den Käfern die zweitmeisten Spezies im Insektenreich. Stattdessen werden exemplarisch bemerkenswerte Strategien beschrieben, die die facettenreichen Tiere auszeichnen.

Die Raupe des Großen Gabelschwanzes liefert einen kuriosen und für Fressfeinde wohl abschreckenden Anblick: Die Färbung am Kopf erinnert an ein aufgerissenes Maul.
Foto: Ingo Arndt

Ein Schwerpunkt liegt zudem auf den unterschiedlichen Lebensstadien, die dem Lesepublikum nahezu gleichwertig präsentiert werden. Und so begibt man sich auf eine Reise, die bei der Paarung beginnt – genauer: bei betörendem Damenduft und verführerisch hohem Herrengesang, die je nach Art die Partnersuche erleichtern. Wobei Samtfaltermännchen etwa ein sehr breites Beuteschema haben und von Geschlechtsgenossen bis hin zu Pappschablonen auf alles fliegen, das ihnen größen- und bewegungsmäßig ideal vorkommt. Aber auch Keuschheitsgürtel aus Wachs oder Horngebilden können unter Schmetterlingen zum Einsatz kommen, bevor Eier abgelegt werden.

Getarnt als Vogelkot oder Ameisenkönigin

In unterhaltsamem und lockerem Schreibstil führt das Autorenteam an erstaunlichen Nahaufnahmen entlang weiter durch die Raupenphase, in der es vor allem um das Fressen und Nichtgefressenwerden geht. Für Letzteres setzen Raupen auf unterschiedliche Taktiken. Manche tarnen sich unauffällig als Zweig, Blatt oder sogar als Vogelkot.

Andere inszenieren sich in leuchtenden Farben als potenziell giftig oder verwirren Fressfeinde mit "aufgemalten" Mündern und Augen. Einige spannen sogar Ameisen für sich ein und simulieren Quietschlaute einer Ameisenkönigin, um sich im Schutz ihres Baus durchfüttern zu lassen. Und wieder andere fressen sich tatsächlich jahrelang Gift an, das selbst nach der Metamorphose zur Imago bei Schmetterlingsfressern für Unwohlsein sorgt.

Dem Schatzkästchen der Natur entspringen die Puppen der Spezies Tithorea harmonia, deren beeindruckender Glanz auch in diesem kurzen Video anschaulich wird.
Foto: Ingo Arndt

Nach vier bis fünf Hautwechseln wird es meist Zeit für die geheime Transformation, die sich im Puppenstadium vollzieht. Im Kokon sorgt das als Raupe angesammelte Fett für die Energiereserven, die für den umfangreichen Umbau nötig sind. Und während man meinen könnte, dass danach ein völlig anderes Lebewesen dem Schutzraum entsteigt, bleibt das Erbgut der Tiere das gleiche. Nur das Muster ein- und ausgeschalteter Gene dürfte sich verändern, wie Forschende vermuten. So werden Organe zersetzt, die nicht mehr notwendig sind, während beispielsweise die "Knospen" für Flügel und Komplexaugen, die schon in der Raupe angelegt sind, ausgebaut werden.

Rasante Weiterentwicklung

Ist die Verwandlung vollzogen, sprengt der Falter sich frei und in die letzte Phase seines Lebenszyklus. Als Imago werden die zusammengefalteten Flügel mit Hämolymphe – dem Insektenpendant zu Blut – gefüllt und getrocknet, dann kann das erwachsene Tier zum ersten Flug ansetzen. Winzige Schuppen bedecken die Flügel und sorgen mit Pigmenten sowie mit Strukturfarben, die rein durch Lichtbrechung und Reflexion entstehen, auch in dieser Phase für ein typisches Aussehen.

Ein Erkennungszeichen, das sich evolutionär rasant sogar in 150 Jahren maßgeblich verändern kann, wie der Birkenspanner in England zeigte: Als im 19. Jahrhundert flächendeckend Schlote durch ungefilterten Ruß die Baumrinden im Umfeld verdunkelten, passten sich die Falter farblich an und wurden selbst immer dunkler. Ein Trend, der mittlerweile durch Rußfilter sogar wieder umgekehrt wurde. Da mag es kaum wundern, dass Schmetterlinge in rund 200 Millionen Jahren Evolution ihre heutige Vielfalt ausbildeten.

Was nach der Verpuppung passiert, fasst dieses Video zusammen.
Science Insider

Der Grund für das Erfolgsmodell Metamorphose ist übrigens noch immer nicht ganz geklärt – ein Forschungsteam des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) vermutete zuletzt, das erweiterte Nahrungsspektrum könne dazu beigetragen haben. Während Raupen sich vor allem mit Blättern Energie anfressen, greifen Imagos meist mit dem spezialisierten Saugrüssel zu Blütennektar und Pflanzensäften.

Inspiration zum Naturschutz

Der wertschätzende Blick auf die bezaubernden Tiere zeigt, dass Straaß und Lieckfeld viel daran gelegen ist, eine Faszination für diese Lebewesen zu entfachen. Nicht selten tendieren sie dazu, das Verhalten der Insekten mit dem des Menschen zu vergleichen, um die eine oder andere Ähnlichkeit hervorzuheben und eine gewisse Nähe herzustellen.

Im Idealfall regt dies das Lesepublikum sogar dazu an, die reiche Biodiversität der Schmetterlinge zu schützen, die durch das Einengen ihrer Lebensräume, die Bodenversiegelung, Pestizideinsätze und den Klimawandel bedroht ist. In einem Kurzinterview kommt auch der Schmetterlingsforscher Peter Huemer von den Tiroler Landesmuseen zu Wort und weist auf die problematische Lichtverschmutzung hin, die bei Nachtfaltern bis zur völligen Desorientierung führt.

Es bleibt aber nicht beim erhobenen Zeigefinger. Dem Bildband ist konstruktiv eine Liste schmetterlingsfreundlicher Pflanzen beigefügt, mit denen der eigene Garten oder Balkon geschmückt werden kann – für all jene, die nach der Lektüre inspiriert sind, die Verwandlungskünstler in allen Lebensphasen besser kennenzulernen. (Julia Sica, 3.4.2022)

Vom Ei zur Imago im Schnelldurchlauf: der Lebenszyklus eines Monarchfalters.
National Geographic