In 100 Tagen will Sadhguru mit dem Motorrad von Großbritannien bis Indien fahren. Vergangenen Sonntag ist er in Wien angekommen.

Foto: Conscious Planet/menassemenasse/Christian Fischer

Wäre Jagadish Vasudev gerade in Indien, würde er auf der Straße von Leuten umringt werden. Menschen würden die Hände zum Gruß falten, ihn um Rat in ihrem Leben bitten oder vielleicht eine gemeinsame Meditation abhalten. Doch an diesem Tag ist Vasudev in Wien – und die Anwesenheit des weißbärtigen Mannes scheint hier kaum jemanden zu interessieren. Sein Motorrad, mit dem er mit lautem Brummen vor der Staatsoper einfährt, steht einem anrollenden und hupenden Bus im Weg, wenig später klingelt und schimpft ein Straßenbahnfahrer über die grün angezogenen Helfer Vasudevs, die versehentlich auf den Gleisen stehen, während sie auf ihren Guru warten. Ein Guru in Wien – allenfalls ein Störobjekt des öffentlichen Nahverkehrs, so scheint es.

Dabei ist Jagadish Vasudev nicht irgendein Guru, sondern der "wahre Guru", sofern man der Bedeutung seines offiziellen und gemeinhin bekannten Namens, Sadhguru, glauben darf. In Indien ist Sadhguru, der zuerst Englisch studierte, eine Geflügelfarm startete und später Yogastunden gab, eine nationale Berühmtheit. Durch seine Videos auf Youtube und in sozialen Medien erfahren auch immer mehr Menschen im Westen von seinen "Gedanken" und "Weisheiten". Vom "richtigen" Essen, dem guten Schlaf, der Überwindung von Ängsten bis hin zu Karma und dem Weg zum Glück und zum Göttlichen: Den Themen, denen sich Sadhguru widmet, sind kaum Grenzen gesetzt. Knapp zehn Millionen Abonnenten hat der 65-Jährige auf Youtube, zudem einige prominente Unterstützer und Fans wie Will Smith, Leonardo DiCaprio und Jane Goodall.

30.000 Kilometer mit dem Motorrad

Doch es ist nicht die Lehre vom Karma oder dem guten Essen, die Sadhguru an diesem Tag nach Wien führt. Sein Anliegen ist vielmehr die Rettung des gesamten Planeten. Dafür ist er mit dem Motorrad von London angereist, hat auch in Amsterdam, Berlin und Prag haltgemacht, sich mit Diplomaten, Influencern und Berühmtheiten ablichten lassen und die Inspirationen des Weges mit seinen Followern auf sozialen Medien geteilt. 30.000 Kilometer will er insgesamt bis nach Indien fahren.

Der öffentliche Andrang hielt sich während der Einfahrt des Gurus mit dem Motorrad noch in Grenzen.
Foto: Conscious Planet/menassemenasse/Christian Fischer

Ausgiebig werden nun auch vor der Wiener Staatsoper und vor der indischen Botschaft Fotos von dem Guru gemacht: wie er mit dem Motorrad einfährt, seinen Helm einem der Gehilfen in die Hand drückt und dann mit Sonnenbrille, oranger Weste und Motorradhose in die Botschaft marschiert. "Es geht nicht um mein, sondern um unser aller Leben", sagt Sadhguru wenig später bei dem Gespräch mit Medien in der Botschaft. Große Worte und eine gute Show – beides beherrscht Jagadish Vasudev perfekt.

Schutz der Böden

Sein offizielles Anliegen: die Bewahrung unseres Erdbodens. 2060 könnte der Großteil unserer Böden zerstört sein, sagt Vasudev. Schon bis Mitte des Jahrhunderts könnte die Landwirtschaft zwanzig Prozent weniger Nahrungsmittel produzieren. "Wir kehren zurück in das Zeitalter der Hungersnöte, wenn wir nicht gegensteuern." Als Ursache macht Sadhguru unsere Beziehung zum Boden verantwortlich: "Wir betrachten den Boden als eine leblose Substanz und als unser Eigentum." Dabei sei der Boden weder das eine noch das andere. Er sei das größte lebende System unseres Universums, und wir hätten die Verpflichtung, ihn an zukünftige Generationen weiterzugeben.

In der indischen Botschaft plädierte Sadhguru für einen besseren Schutz unseres Bodens.
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Doch bei der Frage, wie genau der Boden zu retten ist, bleibt Vasudev vage: Zuerst einmal wolle er Menschen und Regierungsvertreter für die Bodenkrise sensibilisieren. Der Boden brauche wieder mehr organische Substanz, etwa mithilfe von Zwischenfrüchten und mehr Vegetation. Gleichzeitig seien die notwendigen Maßnahmen immer abhängig von den lokalen kulturellen Traditionen und den wirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen. "Wenn es um den Boden geht, bedeuten nationale Grenzen nichts", sagt Sadhguru.

Zeitlose Wahrheit

Es sind Floskeln wie diese, die Vasudev in regelmäßigen Abständen stets ruhig und bedacht in seine Reden einfügt und die seinen Aussagen eine scheinbar zeitlose Weis- und Wahrheit verleihen – eine "Wahrheit", die laut Vasudev "über ideologischen oder politischen Interessen" stehe, die von jedem Menschen erkannt werden könne – und die für viele wohl auch die Faszination und Anziehungskraft seiner Persönlichkeit ausmacht.

Doch von zeitloser Wahrheit ist Vasudev weit entfernt. Seit Jahren steht die von ihm in Indien ins Leben gerufene Isha Foundation in der Kritik, die Umweltzerstörung voranzutreiben. Auf der offiziellen Seite wirbt die NGO damit, "körperliches, geistiges und spirituelles Wohlbefinden für jeden zu bringen", während das Geld vor allem durch die vielfach angebotenen Yoga- und Meditationskurse in die Kassen fließt. Und auch den Umweltschutz wolle man etwa mit dem Pflanzen von Bäumen entlang indischer Flüsse fördern.

Umweltschädliche Aktion

Doch die Herangehensweise der Organisation sei nicht nur allzu vereinfachend, sondern auch grob umweltschädlich, konstatierten bereits vor zwei Jahren mehr als 90 indische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Demnach würden vielfach Monokulturen angepflanzt werden, die den Lebensraum vieler Tierarten vor Ort vernichten und auch den ansässigen Landwirten die Lebensgrundlage rauben könnten. Schon zuvor hatten indische Wirtschaftsprüfer der Organisation vorgeworfen, ökologische und menschenrechtliche Gesetze zu missachten. Der Hauptsitz der Organisation befinde sich in einem Naturschutzgebiet, das für seinen Elefantenkorridor bekannt sei.

Für die Vorwürfe hat Sadhguru wenig Verständnis, wie er auf Nachfrage des STANDARD zu verstehen gibt. Es würden keine Monokulturen gepflanzt, stattdessen sei die Initiative seiner Organisation aufgrund ihres Erfolgs sogar noch in einigen anderen Regionen Indiens ausgeweitet worden. Die Anschuldigungen würden von "Hassgruppen" und Aktivisten vorgebracht, die nur auf ihren Computer oder Handys kommentieren, ohne selbst etwas beizutragen, sagt er.

Moderne Influencer und politische Figuren

Fest steht jedenfalls, dass Gurus wie Sadhguru längst mehr sind als nur mythisch entrückte Persönlichkeiten. Ebenso sind sie mächtige Influencer, Geschäftsmänner und politische Figuren, die von Regierungen zum Teil gezielt für persönliche Zwecke genutzt werden, wie viele immer wieder kritisieren. So ist es beispielsweise für viele Kritiker kein Zufall, dass sich Indiens Premierminister Narendra Modi gerne mit Sadhguru in der Öffentlichkeit zeigt. Laut Kritikern kommen Sadhgurus Aussagen den Überzeugungen des Hindu-Nationalismus ziemlich nahe, während er gegenüber der muslimischen Bevölkerung eine intolerante Haltung zeigt.

Einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter werfen dem Guru zudem die Verbreitung von Pseudowissenschaft und eine militante Haltung im Kaschmir-Konflikt vor. Zuletzt stießen auch einige seiner Aussagen während seiner Motorradtour durch Europa auf Kritik, beispielsweise, als er während eines Interviews in Großbritannien sagte, dass Menschen nur deshalb aufgrund der Pandemie leiden würden, weil sie nicht wüssten, wie sie mit ihren Emotionen und ihrem Körper umgehen können. Viele Zuschauer bezeichneten den Guru nach dem Interview gar als Scharlatan.

Unterstützung von UN

Freilich muss die Kritik an Sadhgurus Äußerungen nicht seine Aussagen zum Schutz der Böden diskreditieren. Er selbst verweist auf die Unterstützung, die seine Kampagne "Save Soil" seitens der Vereinten Nationen und einiger Regierungen erhalte. "Gesunde Skepsis" sei wichtig und jederzeit willkommen, sagt Sadhguru. Doch wo für ihn gesunde Skepsis schon zu "Hassrede" wird, wird nicht ganz klar.

Erst einmal gehe es ihm darum, das Narrativ in der Politik und der Gesellschaft in Richtung Bodenschutz zu verändern, sagt er. Bis er in den nächsten drei Monaten mit dem Motorrad Indien erreicht, sollen möglichst viele Menschen über die "Rettung unseres Bodens" sprechen. Was damit genau gemeint ist, muss am Ende aber wohl jeder selbst beurteilen. (Jakob Pallinger, 31.3.2022)