Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sind hohe Investitionen notwendig, zugleich werden Jobs kreiert.

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Europa ist zu stark von fossilen Energieträgern abhängig. Das hat einmal mehr die russische Invasion in die Ukraine verdeutlicht: Sollte Präsident Wladimir Putin dem Westen den Gashahn abdrehen, wird es für viele Staaten eng. Österreich etwa deckt seinen Gasbedarf zu rund 80 Prozent aus russischen Rohstoffen. Nun werden einmal mehr die Rufe nach einem Umstieg auf erneuerbare Energieträger laut, um die Abhängigkeit von Moskau zu reduzieren – und die Klimaziele zu erreichen.

Doch die Umstellung schreitet zu langsam voran, wie der am Mittwoch veröffentlichte "World Energy Transition Outlook" der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) verdeutlicht. "Die Energiewende ist noch weit vom richtigen Weg entfernt", sagte Irena-Generalsekretär Francesco La Camera. "Wenn wir in den kommenden Jahren nicht auf radikale Maßnahmen setzen, werden die Chancen, unsere Klimaziele zu erreichen, geschmälert oder sogar zunichtegemacht."

Dringender Handlungsbedarf

Die Organisation sieht angesichts der momentanen Energiekrise dringenden Handlungsbedarf. Die hohen Preise für Öl und Gas hätten Energiearmut zur Folge, heißt es in dem Bericht. Immerhin leben derzeit rund 80 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, die Netto-Energieimporteure sind. Ein weitreichender Umstieg auf Erneuerbare würde diese Abhängigkeit reduzieren und Jobs vor Ort schaffen, argumentieren die Autorinnen und Autoren.

Derzeit werden laut Irena weltweit 14 Prozent der gesamten Primärenergieversorgung durch Erneuerbare gedeckt, bis 2030 müsse der Anteil auf 40 Prozent steigen. Zugleich müssen Kohle und andere fossile Infrastruktur sukzessive abgebaut werden. Der Umstieg wird nicht günstig sein: Die Organisation schätzt, dass für die Energiewende bis 2030 jährliche Investitionen in Höhe von 5,7 Billionen US-Dollar notwendig sind. Das ist etwas mehr als ein Viertel des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts.

85 Millionen Jobs weltweit

Zugleich würde der Umstieg in demselben Zeitraum weltweit 85 Millionen Jobs schaffen und den Wohlstand anheben, sind sich die Experten sicher. Derzeit sind demnach rund zwölf Millionen Menschen in der fossilen Industrie beschäftigt. Unter dem Strich würden also mehr Länder von der Energiewende profitieren als durch ein Beibehalten des Status quo, heißt es.

Durch eine radikale Umstellung des Energiesystems könnten so viele Emissionen eingespart werden, dass die jährliche Reduktion bis 2050 rund 37 Gigatonnen CO2-Äquivalente ausmacht, rechnet die Organisation vor. Das Rezept für die Umstellung: Ein Viertel der Reduktion könne durch Erneuerbare gelingen, weitere 25 Prozent durch den effizienteren Energieeinsatz. Um die 1,5-Grad-Marke nicht zu überschreiten, müsse der Stromsektor bis Mitte des Jahrhunderts weitgehend dekarbonisiert werden – vor allem durch den Ausbau von Solar- und Windenergie.

E-Mobilität auf dem Vormarsch

Weitere 20 Prozent könnten durch die Elektrifizierung eingespart werden. Im Vorjahr hatten rund 8,3 Prozent der weltweit verkauften Autos einen Elektroantrieb. Die Organisation geht davon aus, dass diese Zahl weiter steigen wird. 2030 soll demnach der Großteil der Neuzulassungen elektrifiziert sein. Darüber hinaus sollen zehn Prozent der vorgesehenen Emissionseinsparung durch nachhaltigen Wasserstoff gelingen. Die Autoren hoffen, dass sich dieser in den kommenden acht Jahren aus seinem Nischendasein befreien kann. Die "letzte Meile" für die notwendige CO2-Reduktion könne dann durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung geschafft werden, heißt es in dem jährlich erscheinenden Bericht.

"Es ist höchste Zeit zu handeln", sagte Irena-Chef La Camera – nicht nur aufgrund des Krieges in der Ukraine. Im Stromsektor etwa gebe es zwar schon große Fortschritte, dennoch müsse hier die bereits installierte Leistung bis 2030 verdreifacht werden.

"Wir rufen dazu auf, die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen und verbrauchen, grundlegend zu ändern", sagte der Chef der Organisation bei der Präsentation. Um das 1,5-Grad-Szenario nicht zu verfehlen, müsse die Energiewende jetzt angegangen werden. Letztlich sei es eine politische Entscheidung, Maßnahmen im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen zu setzen. (Nora Laufer, 31.3.2022)