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Trauer um die Verstorbenen beim Begräbnis der Opfer in Bnei Brak.

Foto: AP

Avishai Y. schob gerade seinen Sohn im Kinderwagen durch die Straßen, als er Schüsse hörte. Avishai habe sich über den Kinderwagen geworfen, um seinen Sohn zu schützen, erzählt sein Bruder am Morgen nach dem Anschlag. Das Kind hat überlebt, der Vater ist tot. Avishai war Rabbiner in Bnei Brak, einem Vorort von Tel Aviv. Der 29-Jährige hinterlässt auch seine Frau, die mit ihrem zweiten Kind schwanger ist.

Insgesamt fünf Menschen wurden bei dem Attentat eines Palästinensers getötet, der in der hauptsächlich von ultraorthodoxen Juden bewohnten Stadt mit einem automatischen Gewehr um sich schoss. Neben Avishai starben ein weiterer Familienvater und zwei Ukrainer. Und ein junger Polizist, Amir K., arabischer Israeli, der im Kugelhagel starb, als er den Attentäter niederstreckte.

Es ist bereits das dritte Terrorattentat innerhalb einer Woche. Israels Sicherheitskräfte sind in höchster Alarmbereitschaft. Die Armee verlegt tausend zusätzliche Soldaten ins Westjordanland, die Polizei erhöht ihre Präsenz in israelischen Städten. Am Samstag beginnt der Ramadan – in Israel generell eine Zeit hoher Anspannung. In diesem Jahr fallen der muslimische Fastenmonat, das jüdische Pessach- und das christliche Osterfest zusammen. Diese Konstellation kommt nur alle zehn Jahre vor und lässt nichts Gutes ahnen. Vor einem Jahr mündeten Spannungen rund um die Feiertage in einen elftägigen Krieg.

Sympathisanten des IS

Weitere Anschläge, Raketen aus Gaza oder ein erneuter Bürgerkrieg sind Szenarien, für die sich Israel nun wappnen muss. Premier Naftali Bennett berief eine Dringlichkeitssitzung der Sicherheitskräfte ein. Nach bisheriger Einschätzung handelt es sich bei dem Attentat in Bnei Brak um eine Nachahmungstat. Der 26-jährige palästinensische Täter stammt aus dem Ort Jabed im Westjordanland. . Laut israelischen Medienberichten hatte er in der Vergangenheit Kontakte zu Hamas und dem Palästinensischem Islamischen Jihad und zweieinhalb Jahre Haft für die Planung eines Selbstmordattentats verbüßt. Die vorherigen beiden Anschläge hingegen waren von arabischen Israelis begangen worden, die mit dem "Islamischen Staat" (IS) sympathisiert hatten.

In der südisraelischen Stadt Beersheba hatte vor einer Woche ein mit einem Messer bewaffneter Mann vier Menschen getötet. Er hatte eine Haftstrafe abgesessen, weil er nach Syrien hatte reisen und dort mit Jihadisten kämpfen wollen. Am Sonntagabend hatten zwei Cousins einen Anschlag am Busbahnhof der nordisraelischen Stadt Hadera verübt, bei dem zwei 19-jährige Grenzpolizisten starben. Die beiden Angreifer, von denen einer in der Vergangenheit ebenfalls im Gefängnis gesessen war, weil er versucht hatte, sich dem IS in Syrien anzuschließen, gingen geplant vor. Zuerst ermordeten sie die Polizisten, um sich ihrer Waffen zu bemächtigen. Zwei Elitesoldaten, die zufällig in einem nahegelegenen Restaurant zu Abend aßen, griffen ein. Andernfalls hätte es wohl noch weitere Opfer gegeben.

Verurteilt und begrüßt

Nach Einschätzung von Yoram Schweitzer, Terrorismusexperte am Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien, werden in Israel und dem Westjordanland rund 80 bis 100 Männer gezählt, die dem IS nahestehen. "Das ist eigentlich eine marginale Gruppe. Aber schon ein Täter allein kann immensen Schaden anrichten", so Schweitzer. Es gibt Hinweise darauf, dass die neue IS-Führung zu Anschlägen in Israel ermutigt.

In der Terrorstrategie der vorherigen Führung hatte der jüdische Staat keine große Rolle gespielt. IS-Propaganda, der bevorstehende Ramadan, ein Gipfeltreffen Israels mit seinen neuen arabischen Verbündeten in der Region, Proteste gegen Enteignungen arabischer Israelis und gezielte Versuche der Hamas, arabische Israelis und Palästinenser aufzuwiegeln, seien die Faktoren, die die Terrorserie antrieben, so Schweitzer.

Der Inlandsgeheimdienst Shin Bet müsse nun schnellstmöglich analysieren, warum er die Attentäter mit Gefängnishistorie nicht auf dem Radar hatte. In den vergangenen Tagen haben israelische Sicherheitskräfte dutzende Männer mit mutmaßlichen IS-Verbindungen verhaftet.

Jordaniens König Abdullah II. und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilten die Gewalt. Die Hamas im Gazastreifen und die Al-Aqsa-Brigaden im Westjordanland jedoch begrüßten den Anschlag in Bnei Brak. (Christine Kensche aus Tel Aviv, 30.3.2022)