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Übermäßiges Shopping und Konsum zerstört unseren Planeten, sagt Paech. In Zukunft sollten wir wieder mehr Dinge teilen und reparieren.

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Kann unsere Wirtschaft immer weiter wachsen? Welche Auswirkungen hat dieses Wachstum auf unsere Umwelt und unser Klima? Um diese Fragen entfacht sich in der Wissenschaft seit Jahren eine hitzige Debatte: zwischen jenen, die in mehr Wachstum und Innovationen den Schlüssel zur Nachhaltigkeit sehen, und Vertretern der sogenannten Postwachstumsbewegung, wie dem unter Wirtschaftswissenschaftern umstrittenen Umweltökonomen Niko Paech, der "grünes Wachstum" für eine Illusion hält.

Im Interview und Podcast spricht Paech, der an der deutschen Universität Siegen lehrt und forscht, darüber, warum es ein "Zeitalter des Weniger" braucht, um weitere Krisen zu verhindern, wie eine Gesellschaft und Wirtschaft aussehen kann, in der mehr repariert und geteilt wird, und warum die Lebensqualität in Zukunft anders gemessen werden muss.

STANDARD: Bereits vor 50 Jahren erschien der Bericht des Club of Rome mit dem Titel "Grenzen des Wachstums", in dem es hieß, dass unser Wirtschaftssystem kollabieren wird, wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher. Wie hat sich die Lage bis heute verändert?

Paech: Die Analyse des Club of Rome ist eine fulminante Untertreibung der tatsächlichen Situation, vor der wir heute stehen. Damals war nur die Rede von einer Verknappung von Ressourcen und einer Überlastung der Ökosphäre in Verbindung mit unserem Bevölkerungswachstum. Inzwischen stellen wir fest, dass es Wachstumsgrenzen gibt, die seinerzeit in dem Bericht noch überhaupt nicht enthalten waren. Die Instabilität einer weltweit verzweigten Spezialisierung war zu der Zeit noch nicht relevant, weil die Welt damals nicht annähernd so globalisiert war. Wir haben heute auch psychische Wachstumsgrenzen erreicht: Orientierungslosigkeit, psychische Instabilität und die Verkümmerung menschlicher Fähigkeiten. Und wir haben in den letzten Jahren fulminante Krisen erlebt, die unsere mit dem Wachstum gestiegene Technologieabhängigkeit offenlegt.

STANDARD: An welche Krisen denken Sie da?

Paech: Unsere Wirtschaft, etwa in Österreich oder Deutschland, beruht auf den Kostenvorteilen internationaler Wertschöpfungsketten, die schnell ins Wanken geraten: Etwa wenn in den Erzeugerländern die Löhne steigen oder Umbrüche, Kriege oder Unwetter ausbrechen. Ein Beispiel ist der aktuelle Ukraine-Krieg. 55 Prozent des Erdgases, das Deutschland bezieht, beruht auf Lieferungen aus Russland. Wir sind kaum in der Lage, Erdgas zu substituieren, weil der Immobilienbereich von Gas abhängig ist. Auch viele Metalle und seltene Erden werden knapper, was Krisen heraufbeschwört. Wir haben es uns bequem gemacht auf der höchsten Ebene eines Kartenhauses und merken nicht, dass kleine Impulse inzwischen ausreichen, um das ganze Gebilde zum Einsturz zu bringen.

STANDARD: Viele Ökonominnen und Ökonomen kritisieren Ihren Ansatz. Sie sagen, dass weiteres wirtschaftliches Wachstum nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist, etwa um den Lebensstandard in vielen Ländern, wie China und Indien, zu erhöhen und Wohlstand zu schaffen, den sich viele Menschen wünschen. Und es sind die Globalisierung und der internationale Handel, die auch den Wohlstand und Innovationen in westlichen Demokratien voranbringen.

Paech: Wünschen kann man sich vieles. Ich kann mir auch wünschen, Urlaub auf dem Pluto zu machen, aber das ist technisch nicht möglich. Genauso wird es nicht möglich sein, in Afrika, in China oder Indien einen Wohlstand aufzubauen, der auch nur jenem gleicht, den wir vor 30 Jahren verzeichneten. Dafür fehlt jede materielle Basis. Die momentane ökonomische Situation in China ist schon nicht mehr anders zu stabilisieren, als durch eine Plünderung Afrikas. Gleichzeitig steigt die Umweltverschmutzung in den Metropolen Chinas so eklatant, dass sie unmittelbar gesundheitsgefährdend ist. Man kann an den Farben der Flüsse in China erkennen, was gerade die Modefarben in Europa sind.

STANDARD: Wirtschaftswachstum muss aber nicht immer zu mehr Ausbeutung, Ressourcenverbrauch oder Umweltverschmutzung führen. Viele argumentieren, dass sich das Wachstum in entwickelten Staaten bereits zum Teil von den Emissionen und dem Ressourcenverbrauch entkoppelt hat. Ein Beispiel, das immer wieder genannt wird, ist Dänemark, wo die Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen und der Energie- und Ressourcenverbrauch zurückgegangen ist.

Paech: Ich frage mich, ob es so etwas wie eine umweltökonomische Gesamtrechnung Dänemarks gibt, aus der hervorgeht, was die Dänen wirklich pro Kopf an Ressourcen verbrauchen, wenn man miteinbezieht, wo die ganzen Smartphones und Autos herkommen, die das Land importiert. Zudem ist die Frage, woran man misst, ob der Lebensstandard der Menschen wirklich gestiegen ist: Am Pro-Kopf-Verbrauch an Gütern oder an der tatsächlichen psychosozialen Stabilität. Wir verfügen über reichhaltige Erkenntnisse aus der Glücksforschung. Diese zeigt, dass in Mitteleuropa das subjektive Wohlbefinden oder die durchschnittliche Lebenszufriedenheit schon seit Jahrzehnten stagniert. Das gilt auch für Skandinavien. Wir haben in der moderneren Konsumforschung den Befund vor Augen, dass es eine Obergrenze für das gibt, was ein Mensch ausschöpfen kann, um seine Zufriedenheit oder Lebensqualität durch materielle Güter zu steigern. Und wenn Menschen mit immer mehr Konsummöglichkeiten konfrontiert werden, brennen sie innerlich aus, weil sie von einer Lawine der unüberschaubaren Selbstverwirklichungsoptionen verschüttet werden. Wir sollten also eher über die Lebensqualität und nicht über den Lebensstandard reden.

STANDARD: In Ihrem Buch "Befreiung vom Überfluss", das Sie schon vor einigen Jahren veröffentlicht haben, sprechen Sie sich für eine Reduktion des individuellen Konsums aus, um unsere Wirtschaft nachhaltig zu machen. Überträgt das die Verantwortung nicht zu sehr auf die Konsumenten und zu wenig auf große Konzerne und die Politik?

Paech: Die Bedeutung der individuellen Handlungsebene ist eine unvermeidliche Konsequenz aus der Erkenntnis, dass grünes Wachstum unmöglich ist. Aber wenn die Technik versagt, heißt das, dass eine Regierung, die den Ressourcenverbrauch und die Emissionen senken will, nur die Option hat, unsere Ansprüche zu regulieren. Es macht für den notwendigen nachhaltigen Lebensstil keinen Unterschied, ob die Regierung verordnet, dass es sonntags keinen Autoverkehr geben darf, dass die Innenstädte autofrei sind und dass die im Jahresdurchschnitt pro Kopf verzehrte Menge an Fleisch weniger als 20 Kilo sein muss etc. – oder ob aufgeklärte Menschen sich aus Einsicht entsprechend verhalten.

STANDARD: Die Verordnungen würden wohl kaum auf Akzeptanz stoßen. Wie schnell solche politischen Maßnahmen auf Widerstand stoßen, haben wir ja schon bei den Gelbwesten-Protesten in Frankreich gesehen.

Paech: Die Politik reagiert ohnehin nur so, dass Wählerstimmen maximiert werden oder der Machterhalt gesichert wird. Der gesellschaftliche Wandel hin zu einem "Zeitalter des Weniger" wird deshalb immer in den Nischen beginnen. Das heißt, irgendwo werden neue Lösungen erprobt, die sich bewähren, sichtbarer und imitiert werden. Daraus erwächst eine Bewegung. Nur dann ist auch die Regierung in der Lage – ohne politischen Selbstmord zu begehen – diese Neuerungen aufzugreifen und durch Rahmenbedingungen, Anreizsysteme oder Gesetze zu fördern.

STANDARD: Wäre es nicht sinnvoller, auf Instrumente wie eine CO2-Steuer zu setzen, die auch von vielen Ökonominnen und Ökonomen gefordert wird, um gegen den Klimawandel vorzugehen, anstatt darauf zu vertrauen, dass bestimmte Menschen allein aus Einsicht ihr Leben verändern?

Paech: Eine CO2-Steuer, die hoch genug ist, um zu wirken, also mehr als Symbolik und Gewissensberuhigung ist, und gleichzeitig eine Wählermehrheit begeistert, ist so wahrscheinlich wie eine Begegnung mit dem leibhaftigen Osterhasen. Wie hoch müsste die Steuer sein, damit auch die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen vom Fliegen und übermäßigen Autofahren etc. ablassen? Wer wählt eine Politik, die einem zumutet, was man freiwillig nicht zu tun oder lassen gedenkt? Stattdessen würde vermutlich eine Politik gewählt, die eine maßvolle Ökosteuer einführt, sodass für liebgewonnene Dinge einfach nur ein wenig mehr bezahlt wird, um dann mit umso reinerem Gewissen gleich noch ein Flugticket und vielleicht noch ein Auto zu kaufen. Traditionelle Ökonomen denken immer, die Menschen würden substituieren, was teurer wird. Aber Autos, Fleisch, das Eigenheim, die digitale Elektronik, Markentextilien oder die Reise nach Mallorca etc. werden nicht aus Kosten-Nutzen-Erwägungen nachgefragt, sondern weil sie eine emotionale, symbolische, zuweilen auch soziale Konsumfunktion erfüllen. Und diese Ansprüche werden nicht fallengelassen, nur weil etwas teurer wird.

STANDARD: Die Alternative, die Sie immer wieder vorschlagen, ist die der Postwachstumsökonomie. Wie soll so etwas funktionieren?

Paech: Es braucht neue Lernorte, Reallabore, soziale Nischen, regionale Netzwerke, Nachbarschaften und vor allem kommunale Ressourcenzentren wie in Oldenburg. Hier können postwachstumstaugliche Lebensweisen erprobt und gemeinsam mit anderen entwickelt werden. Auch Unternehmer, Freiberufler, Handwerker können mitwirken, um gemeinsam Lösungen umzusetzen, die wir längst haben: die Reparatur, die Gemeinschaftsnutzung, die eigene Produktion – nicht als vollständiger Ersatz für die Industrie, sondern im Sinne einer neuen Balance zwischen der Industrieversorgung und der Selbstversorgung. Stellen wir uns vor, dass die Gebrauchsgegenstände, mit denen wir uns umgeben, doppelt oder dreifach so lange genutzt werden können, weil wir sie achtsam nutzen, sie warten, pflegen und vor allem reparieren. Wie viel weniger Geld bräuchten wir dann, und um wie viel kleiner könnte die Wirtschaft sein? Stellen wir uns vor, dass sich in Wien fünf Leute eine Waschmaschine, ein Auto oder vielleicht einen Staubsauger teilen. Mit wie viel weniger Geld kämen dann die Menschen aus? Das würde uns helfen, große Mengen an Ressourcen, Geld und an Fläche zu sparen und die Biodiversität zu beleben.

STANDARD: Das klingt aber auch nach viel Verzicht ...

Paech: Es geht weder um Verzicht noch darum, plötzlich ins Mittelalter zurückzugehen, sondern um eine duale Existenz: Wir arbeiten 20 Stunden in einer kleiner gewordenen Wirtschaft, erhalten dafür auch ein monetäres Einkommen, das uns weiter erlaubt, Rechnungen zu bezahlen und zu konsumieren. Diesen in der Tat verringerten Wohlstand ergänzen wir um eine gemeinschaftliche Form der Versorgung, Reparatur und Güternutzung. Vorher waren wir Konsumdeppen, die nichts anderes konnten, als einen spezialisierten Beruf auszuüben. In einer Postwachstumsökonomie hätten wir Strukturen, die uns mit den Kompetenzen ausstatten, selbst Dinge anzubauen, zuzubereiten, zu reparieren, zu produzieren oder mit anderen gemeinschaftlich zu nutzen. Das ist ein Mehr an Freiheit. (Jakob Pallinger, 1.4.2022)