Der Ukraine-Krieg hinterlässt auch in der Smartphone-Welt seine Spuren und könnten deren regionale Spaltung weiter vorantreiben.

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Die infolge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine verhängten Sanktionen bringen nun auch die Smartphone-Welt durcheinander – oder genauer gesagt: spalten sie weiter. Versucht Russland doch nun bei Android von Google unabhängig zu werden – das allerdings nicht ganz freiwillig.

Ein eigener App Store

Unter dem Namen Nash Store ("Unser Laden") haben russische Softwareentwickler die Arbeiten an einem Pendant zu Googles Play Store begonnen. Der Zeitplan ist ambitioniert, bereits am 9. Mai – also jenem Tag, an dem Russland jedes Jahre den Sieg im Zweiten Weltkrieg feiert – soll eine erste Version veröffentlicht werden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Der Auslöser für die Entwicklung kommt allerdings von außen: Zwar sind sowohl Googles Play Store als auch Apples App Store weiter in Russland verfügbar, infolge der Sanktionen wurden aber in den vergangenen Wochen zwei entscheidende Beschränkungen vorgenommen. So ist es russischen Usern nicht mehr möglich, Apps oder Services zu kaufen. Vor allem aber dürfen russische Entwickler ihre Dienste generell nicht mehr monetarisieren, sie bekommen weder Einnahmen aus Werbung, noch ist es ihnen möglich, Apps zum Kauf anzubieten. Dies schneidet sie von der Möglichkeit, über Apps Geld zu verdienen, derzeit vollständig ab.

Viele Hürden zu nehmen

Ob der Plan der Nash-Store-Entwickler aufgeht, ist trotzdem alles andere als gewiss. Selbst wenn es tatsächlich gelingen sollte, so flott einen App Store und die für den Betrieb notwendige Infrastruktur aufzubauen, so reicht das noch nicht für einen Erfolg.

Dieser hängt vor allem von zwei Faktoren ab: dem verfügbaren App-Angebot und der Verbreitung auf Smartphones. Beim ersten Punkt könnte der Nash Store noch mit einem Fokus auf russische Apps punkten, internationale Anwendungen werden sich in der aktuellen Lage wohl ohnehin kaum finden – zumindest nicht aus der EU und den USA.

Verbreitungsweg?

Schwieriger dürfte da schon die Verbreitung des Nash Store werden, immerhin ist auch in Russland bisher überall der Play Store vorinstalliert. Ausländische Hersteller dazu zu verpflichten, diesen neben dem Play Store vorzuinstallieren, könnte gerade in den aktuellen Situation auf wenig Gegenliebe stoßen. Also muss man darauf hoffen, dass russische User den App Store manuell auf ihren Geräten einrichten.

Langfristig ist aber klar, dass sich Russland nach Alternativen im Smartphone-Bereich umsehen muss – und zwar weit über einen App Store hinaus. Mit der Abhängigkeit von Google wird man unter den aktuellen Sanktionen nicht mehr sonderlich weit kommen. Das zeigt auch ein anderer aktueller Bericht, der gleichzeitig vorzeichnet, in welche Richtung es gehen könnte.

BQ wechselt auf Harmony OS

Der russische Smartphone-Hersteller BQ will für seine kommenden Geräte auf Harmony OS wechseln, wie Firmenchef Wladimir Puzanow gegenüber russischen Medien bestätigt. Dieser Schritt könnte kaum passender sein – auch in seiner Symbolkraft. Ist doch Harmony OS überhaupt erst entstanden, weil Huawei auf einer Sanktionsliste der US-Regierung steht, was Google die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Hardwarehersteller verunmöglicht.

Bei Harmony OS handelt es sich um einen Android-Ableger, der allerdings vollständig ohne Google-Dienste ausgeliefert wird. Huawei betreibt dafür auch einen eigenen App Store und zahlreiche Infrastrukturdienste, die vergleichbare Services von Google direkt ersetzen sollen.

Außerhalb von China – wo es generell keinen Play Store gibt – ist Huawei mit Geräten ohne Google-Diensten bisher kommerziell aber nur sehr wenig erfolgreich. Nun könnte sich hier ein neuer Markt auftun – und zwar potenziell sowohl für die eigene Software als auch für Hardware.

Keine Google-Zertifizierung mehr

Freiwillig war der Schritt von BQ übrigens ebenfalls nicht. Wie Brancheninsider Eldar Murtazin von der Mobile Research Group berichtet, hat Google mit dem 23. März die Zertifizierung der Android-Geräte von russischen Hardwareherstellern eingestellt. Damit kann BQ also gar keine neuen Geräte mit einem Google Android mehr auf den Markt bringen. Auch dies ist wieder mit der aktuellen Situation von Huawei vergleichbar.

Bei all dem gilt es in Erinnerung zu rufen: Die Situation ist weiter in Bewegung. Das heißt auch, dass sich die Sanktionen weiter verschärfen könnten, sodass etwa der Betrieb der App Stores von Apple und Google in Russland nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Oder aber umgekehrt, dass die russische Regierung von sich aus eine entsprechende Sperre ausspricht.

Bei Apple sieht es noch schlechter aus

Das wäre für die Nutzer von Android-Smartphones unerfreulich, für jene mit iPhones aber noch wesentlich unerfreulicher. Denn im Gegensatz zu Android-Geräten gibt es bei Apples System keine Möglichkeit, Apps jenseits des offiziellen App Store zu installieren. Ein vollständiger Bann hieße, dass sich die Nutzer von Apple-Smartphones bald nach Alternativen zu ihren Geräten umsehen müssten. (Andreas Proschofsky, 1.4.2022)