Das Stück "Bitte treten Sie hinunter!": verstrickt in den Stress der Selbstoptimierung und des nahenden Prekariats.

Foto: Markus Sepperer

Bitte treten Sie hinunter! – so heißt der neue Abend von Regisseurin Veronika Glatzner und dem Verein Tempora, welcher, der Name deutet es an, leerstehende Räume in Wien zeitweise bespielt. Bei BitSh! (so die Kurzform) ist es nun das Wirtschaftsgebäude der aufgelassenen Semmelweisklinik in Währing. Ein sogar in seiner Abgeranztheit noch herrschaftliches Gebäude, das gemeinsam mit dem gehoben-bürgerlichen Umfeld das Thema vorgibt: Aufstiegshoffnungen und Abstiegsängste.

Passend dazu führt der Theaterparcours das in Gruppen aufgeteilte Publikum unter das Dach des Gebäudes genauso wie in EDV- und Hauswirtschaftsräume zu ebener Erde. Uraufgeführt werden Texte von Gregor Guth und Claudia Tondl. Los geht es – zumindest für alle Zweitgeborenen, die eine Gruppe bilden – mit Claudia Tondls Ohne Titel (Der Auftrag). Stimmgewaltig von ihrem Leben als Erstgeborene mit riesigem Lungenvolumen erzählend, führt Michaela Bilgeri ganz nach oben.

Welt der Callcenter

Von nun an kann es nur noch bergab gehen: Der Weg führt in Prekariat und Selbstständigenhölle, in die wunderbare Welt der Callcenter oder des "Real Estate Staging". Bei Letzterem geht es darum, zum Verkauf stehende Immobilien wohnlich einzurichten. Wer’s mal erlebt hat, weiß: Es sind Potemkin'sche Möbel. Das Publikum mutiert vom Callcenter-Proletariat ("Wir sind kein Callcenter! Wir sind ein Servicecenter!", Gregor Guth: Paradies) flugs zu Workshop-Teilnehmerinnen einer alleinerziehenden Business-Mom (schön hysterisch: Julia Schranz). Sie muss einerseits dringend marode Bausubstanz verkaufen, andererseits aber auch dem Kind ihre Liebe beweisen (Claudia Tondl: Never waste a crisis).

Liebe zum Kind

Um Liebe zum Kind – oder eher um am Kind ausagierte Selbstliebe – geht es vorher in Gregor Guths Traurige Smilies: Julia Schranz, Daniel Wagner und die wunderbare Birgit Stöger geben Boboville-Eltern im Selbstoptimierungs-Spa, im Zuge dessen traktieren sie sich in den ehemaligen Küchenräumen u. a. mit überdimensionierten Schneebesen. Ihre Sorgen: Jan-Niklas, Ringolf und Ludovic sollen die beste Kita-Ausbildung erhalten, nur so klappt es auch mit der Elite-Grundschule.

Das ist alles mit viel Liebe zum Detail gemacht, was die Ausstattung der verwaisten Räume (Michael Strasser) ebenso wie die Kostüme (Nina Samadi, Marie Sturminger) betrifft. Mit gut zwei Stunden ist der Abend aber etwas zu lang geraten, zumal man sie im Stehen verbringt. Auch die Texte stellen ein bisschen zu sehr auf Stereotype, die üblichen Feind- und Weltbilder ab. Was den Abend trägt, ist das mit Verve aufspielende Ensemble – und die wie aus einer vergangenen Zeit herüberwinkende Kulisse. (Andrea Heinz, 31.3.2022)