Vor rund zehn Jahren hatte Nina Zappl die Wahl. Die Wohnung in einem Haus des gerade neu errichteten Messequartiers in Graz sofort kaufen – oder erst in zehn Jahren, zum Preis der Errichtungskosten plus einem zweiprozentigen Zuschlag; freifinanzierter Sofortkauf oder geförderter Mietkauf. "Seitens der Mitarbeiter der ENW-Wohnbaugruppe wurde ausdrücklich dazu geraten, im Wege des Mietkaufs zu erwerben, da die Finanzierung aufgrund der geringen Zinsen des vom Land gestützten Darlehens wesentlich günstiger erschien als ein freifinanzierter Kauf", sagt Zappl. Sie entschied sich also für die Mietkaufvariante. "Wie fast alle."

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Messequartiers in Graz befürchten,
dass die nun geltenden Kaufpreise für ihre Wohnungen "existenzgefährdend" sind.
Foto: Zappl

Nun, zehn Jahre später, ist man sich dieser Vereinbarung vonseiten der ENW aber scheinbar nicht mehr sicher. Denn als die ersten Bewohnerinnen und Bewohner bei der Wohnbaugruppe nachfragten, wann denn ein festes Angebot kommen würde, kam die Antwort, die Wohnungen müssten zu einem neuen Preis verkauft werden – nämlich an den aktuellen Verkehrswert angepasst. Begründung: eine Novelle des Wohngemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) aus dem Jahr 2016.

"Existenzgefährdend"

Ein Schock für die Bewohnerinnen und Bewohner, sagt Nina Zappl. "In diesem Haus leben viele junge Familien, die sich nur aufgrund des Mietkaufangebots für diese Wohnungen entschieden haben. Wenn jetzt die Preise in die Höhe schnellen, ist das existenzgefährdend." Die Lebenshilfe, ebenfalls im Haus einquartiert, habe bereits ein Kaufangebot bekommen, das weit über dem liege, was damals versprochen war.

Die juristische Sicht ist kompliziert, erklärt Roland Weinrauch, Wiener Rechtsanwalt und spezialisiert auf das WGG. "Gemeinnützige Wohnbaugruppen sind dazu verpflichtet, ihr Eigentum zum Verkehrswert und auf jeden Fall nicht unter dem Buchwert zu verkaufen", sagt er. Genau das steht nämlich in der besagten Novelle des WGG aus dem Jahr 2016. "Das Geld bleibt dann natürlich im Unternehmen und wird wieder für andere Projekte verwendet", fügt Weinrauch an. Eine Ausnahme sei allerdings, wenn den Bewohnerinnen und Bewohnern bereits ein Kaufpreis versprochen wurde. "Und das ist oft eine komplizierte Angelegenheit. Was steht in den Verträgen, was wurde als Letztes besprochen? Da wird vor Gericht oft gestritten", sagt Weinrauch.

Ein Dokument der Wohnbaugruppe aus dem Jahr 2014, das dem STANDARD vorliegt, gibt die endgültige Baukostenabrechnung an. "Somit ergeben sich für die Wohnung nachstehende Kosten", heißt es dort. Ein Festpreis, den Zappl bereit war, im Jahr 2022 zu zahlen, um die geförderte Mietwohnung ihr Eigen nennen zu dürfen. Hinzu kommt, dass ein anderes Dokument aus dem Jahr 2012 die voraussichtlichen Errichtungskosten für den frei finanzierten Sofortkauf angibt. Zappl sagt, diejenigen, die sich damals für den Sofortkauf entschieden hatten, hätten 2014, also im Jahr der endgültigen Baukostenabrechnung, eine Rückzahlung erhalten, da die 2012 kalkulierten Baukosten zu hoch waren.

Ein großes Problem für die Bewohnerinnen und Bewohner sei die Unsicherheit. Direkte Anfragen bei der ENW hätten lediglich "vertröstende" Antworten nach sich gezogen, auch an das Land Steiermark hätten sich die Betroffenen bereits gewandt.

Hier ist das Modell, was den Bewohnerinnen und Bewohnern des Messequartiers damals vorgelegt wurde, bekannt. In einer Antwort der Fachabteilung Energie und Wohnbau heißt es aber, dass dem Land im Februar 2017 vom Verband der gemeinnützigen Bauträger in der Steiermark mitgeteilt wurde, dass "die bisherige Regelung nicht mehr aufrechterhalten werden könne und bei allen Mietkaufwohnungen ab 1. 1. 2016 bei Anbotslegung der Verkehrswert zu ermitteln" sei. Eine Folge der bereits angesprochenen Novelle. Zusammengefasst: Seit 2016 gilt der Verkehrswert als Kaufpreis, das alte Modell ist Geschichte.

Gleichzeitig habe man sich aber auch darauf geeinigt, dass dieses Modell weiterhin für Mieterinnen und Mieter gelte, die aufgrund von schriftlicher oder mündlicher Informationen von der damaligen Preisbildung ausgegangen waren. So wie es im Beispiel Messequartier der Fall ist. Im Juni 2020 sei diese "Klarstellung" noch einmal erneuert worden und "von der Interessenvertretung zur Kenntnis genommen".

Gentlemen’s Agreement

Das bestätigt Michael Sebanz, Leiter der Fachabteilung, dem STANDARD. Er nennt das "steirische Modell" (Errichtungskosten plus zweiprozentiger Zuschlag) ein "Gentlemen’s Agreement" zwischen dem Land Steiermark und den Vertretern der gemeinnützigen Wohnbauträger. Dieses konnte man wegen der Novelle nicht mehr aufrechterhalten. Diejenigen, denen dieser Kaufpreis nach dem steirischen Modell versprochen wurde, sollen ihn auch bekommen. Aber: "Wir als Land Steiermark haben de jure keine Möglichkeit, die Einhaltung des Gentlemen’s Agreement einzuklagen, wir werden uns aber weiterhin dafür einsetzen, dass die gemeinnützigen Wohnbauträger sich an die den Bewohnerinnen und Bewohnern gemachten Zusagen halten", sagt Sebanz.

ENW-Vorstand Alexander Daum verstehe nicht, warum die Mieterinnen und Mieter mit so viel Druck agieren würden, wird er in der Kleinen Zeitung zitiert. "Sie sollen doch einmal abwarten, welche Anbote wir ihnen vorlegen."

Wie es mit Zappl und ihren Nachbarinnen und Nachbarn weitergehen wird, ist noch unklar. Einige sollen nun Bescheid bekommen haben, dass die Anbote in der ersten Aprilwoche versendet würden. Wie hoch diese ausfallen, wurde noch nicht mitgeteilt. (Thorben Pollerhof, 02.04.2022)