Auf der meist halbleeren Publikumstribüne des Südtiroler Landtags in Bozen herrscht in diesen Tagen ungewohntes Gedränge. Der Anlass: In den Reihen der Südtiroler Volkspartei (SVP) – sie regiert in Italiens nördlichster, sehr wohlhabender Provinz seit Jahrzehnten mit absoluter Mehrheit – ist ein Machtkampf ausgebrochen. Und zwar in einer Offenheit und Intensität, die sie bis in die Grundfesten erschüttert.

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Vor vier Jahren gemeinsam auf der Wahlkampfbühne, aber schon damals Rivalen: Arno Kompatscher (li.) und Philipp Achammer.
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Die politischen Folgen des Parteikriegs sind vorerst noch nicht in ihrer ganzen Tragweite absehbar. Dass sie schwerwiegend sind, steht aber außer Zweifel. Denn viele Wählerinnen und Wähler der allmächtigen Sammelpartei der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung zeigen sich empört über die Intrigen, Entgleisungen und internen Grabenkämpfe in der SVP.

Brisante Enthüllungen

Ausgelöst hat das politische Erdbeben ein durchaus brisantes Buch der Journalisten Christoph Franceschini und Arthur Oberhofer, von dem innerhalb nur weniger Tage über 10.000 Exemplare verkauft wurden und das nun nachgedruckt werden muss. Titel: "Freunde im Edelweiß – Ein Sittenbild der Südtiroler Politik". Die Alpenblume ist traditionell das Logo der Südtiroler Volkspartei.

Auf knapp 500 Seiten wirft das gründlich recherchierte Buch einen kritischen Blick hinter die Kulissen der Mehrheitspartei und auf deren Intrigen und interne Machtkämpfe. Unmittelbaren Anlass dazu bieten die über 6.000 Seiten umfassenden Ermittlungsakten der Bozner Staatsanwaltschaft über eine Affäre, die mittlerweile als "SAD-Skandal" sattsam bekannt ist – nach dem Namen des größten regionalen Busunternehmens.

Den Autoren wurde in einem anonymen Umschlag ein USB-Stick zugestellt, dessen Inhalt ein mehr als bedenkliches Bild der Regierungspartei zeichnet: 6.000 Seiten geheime Ermittlungsakten, über 500 Stunden Telefonmitschnitte und Observierungsberichte.

Ein Skandal namens "SAD"

Kernpunkt der Ermittlungen ist die Vergabe des öffentlichen Personentransports an die mächtige Busgesellschaft SAD. Die Autoren dazu: "Es ist ein Spaziergang durch die Hinterzimmer der Macht in diesem Land. Die Dokumente führen in einen unheimlichen Raum der Verantwortungslosigkeit, in dem keine Ethik und Moral existieren. Es geht in diesem Polit-Krimi um ein Geflecht aus Macht, subversiven Intrigen, um Hintertürchen-Machenschaften und fiese Ränkespiele."

Die Autoren definieren ihr Buch als "beklemmendes Sittenbild der Südtiroler Politik". In einem der zahlreichen Mitschnitte urteilt etwa der ehemalige Parteisekretär Thomas Widmann unverblümt über Landeshauptmann Arno Kompatscher: "Noch nie hat Südtirol einen so schwachen Landeshauptmann gehabt, noch nie einen, der in so kurzer Zeit so viel Schaden für das Land gemacht hat."

Insgesamt wurden von der Staatsanwaltschaft im Zuge der langen Ermittlungen über 5.000 Gespräche mitgeschnitten. Die Autoren dazu: "Die Dateien lassen erstmals in der neuen Südtiroler Geschichte einen direkten Blick in die Machtstrukturen des Landes und in die Eingeweide der Südtiroler Volkspartei zu. Es ist ein Kampf um die Macht im Land und um lukrative öffentliche Aufträge. Ein beinharter Kampf um viel Geld."

"Der Landeshauptmann ist in Südtirol ein Trottel"

So etwa findet der der Busunternehmer und SAD-Chef Ingemar Gatterer kaum schmeichelhafte Worte für Kompatscher: "Ich bin der erste Südtiroler, der öffentlich gesagt hat: 'Der Landeshauptmann ist in Südtirol ein Trottel.'" Gatterer ist mittlerweile nach Südfrankreich übersiedelt.

Das Buch beschreibt detailliert, wie die Milliardenausschreibung für den öffentlichen Personentransport eine Partei in eine Schlangengrube verwandelt und wie ein Teil der SVP, darunter auch der langjährige Landeshauptmann Luis Durnwalder (1989–2014) und Widmann, versucht, Südtirols Politik zu dominieren und in die von ihm bevorzugten Bahnen zu lenken. Das Buch zeichnet so ein durchaus "bedenkliches Sittenbild der Südtiroler Politik und deren Abgründe".

Der aktuelle SVP-Obmann Philipp Achammer (seit 2014) – ein parteiinterner Kontrahent von Landeshauptmann Kompatscher – bemühte sich vergeblich, die Veröffentlichung des bedrohlichen Buches zu verhindern: "Wenn es erscheint, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Das reißt die Partei auseinander."

Eine Prognose, die durchaus zutreffen könnte. Denn die über das Buch verfügbaren Audio-Files zur SAD-Affäre wurden bisher über 150.000-mal angehört. Noch am Freitagnachmittag könnte eine Vorentscheidung fallen: Für diesen Zeitpunkt hat der Obmann eine Dringlichkeitssitzung von Parteileitung und SVP-Landtagsfraktion einberufen. Beide Protagonisten – Kompatscher wie Achammer – haben in den letzten Stunden allerdings einen Appell zur Deeskalation gestartet. (Gerhard Mumelter aus Bozen, 1.4.2022)