Der ehrenamtliche Gletschermesser Günther Groß bei der Arbeit am Ochsentalergletscher in der Silvrettagruppe im Sommer 2021.

Foto: Alpenverein/Alexander Fuchs

Die ehrenamtlichen Gletschermesser Thomas Groß (li.) und Vater Günther bei der Arbeit am Ochsentalergletscher in der Silvrettagruppe im Sommer 2021.

Foto: Alpenverein/Alexander Fuchs

Innsbruck – Der österreichische Alpenverein (ÖAV) beobachtet seit 131 Jahren die wichtigsten heimischen Gletscher. Am Freitag wurde der aktuelle Bericht mit den Ergebnissen dieser Beobachtungen aus dem vergangenen sogenannten Gletscherhaushaltsjahr präsentiert. Die Resultate von 91 beobachteten Gletschern zeigen eine aufgrund des Witterungsgeschehens leicht gebremste Entwicklung beim Abschmelzen. Von einer Trendumkehr kann aber nach wie vor keine Rede sein. Der durchschnittliche Rückgang der Gletscherzungen betrug im Vorjahr elf Meter. Im Jahr 2020 waren es noch 15 Meter im Durchschnitt.

Von den Wetterbedingungen her war das Anfang Oktober 2021 abgelaufene Gletscherhaushaltsjahr um durchschnittlich 0,4 Grad Celsius zu warm und wies um sechs Prozent mehr Niederschläge auf als im bisherigen Mittel. Vor allem der kalte Mai 2021 hat den Gletschern aber eine Verschnaufpause verschafft. Der Schnee, der damals gefallen ist, schützte die Eisdecke der meisten Gletscher bis weit in den Sommer hinein.

Schlatenkees und Venedigergruppe als große Verlierer

Betrachtet man die Regionen, so hatte die Venedigergruppe mit rund 22,7 Metern Gletscherrückgang 2021 die größten Verluste zu verzeichnen, direkt gefolgt von den Zillertaler Alpen, wo der Rückgang 15,5 Meter betrug. Mit gut elf Metern, was dem Jahresdurchschnitt 2021 entspricht, liegen die Glocknergruppe, die Stubaier und die Ötztaler Alpen ungefähr gleichauf auf dem dritten Rang. Der Einzelgletscher, der 2021 am meisten an Länge einbüßte, ist der Schlatenkees in der Venedigergruppe im Nationalpark Hohe Tauern. Er büßte 54,5 Meter ein. Die Pasterze am Großglockner war mit 42,7 Metern Minus ebenfalls stark betroffen. Der Untersulzbachkees, ebenfalls im Nationalpark Hohe Tauern, schaffte es mit 35,3 Metern Eisverlust leider ebenfalls auf das Podium der Verlierer.

Sieben Gletscher blieben im Vorjahr "stationär", das heißt, sie haben nicht signifikant an Länge eingebüßt. Darunter war auch der einzige Gletscher der Karnischen Alpen, der Eiskargletscher. Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer, die für den Gletscherbericht des ÖAV verantwortlich sind, betonten bei der Präsentation: "Das Jahr 2020/21 ist trotz verringerten mittleren Gletscherrückgangs typisch für die seit den 1990er-Jahren andauernde Gletscherschwundphase. Und diese wird weiter anhalten."

Gletscherschmelze seit 1965 "dramatisch"

Wie dramatisch die Situation ist, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte. So datiert der letzte Gletschervorstoß, also das letzte Wachstum der Pasterze am Großglockner auf die 1930er-Jahre. Seit 1965 schmelzen alle großen Gletscher in den Alpen "dramatisch", wie die Experten erklärten. Betrug die Gletscherfläche auf dem Gebiet des heutigen Österreich im Jahr 1850 noch rund 950 Quadratkilometer, ist sie heute auf 300 Quadratkilometer geschrumpft. Beim Volumen war der Rückgang noch größer. Die heutigen Gletscher haben nur mehr etwa 20 Prozent des Eisvolumens, das sie im Jahr 1850 hatten.

Für die Vizepräsidentin des Alpenvereins, Ingrid Hayek, sind die Ergebnisse des Gletscherberichtes zugleich ein Handlungsaufruf: "Wir müssen jetzt etwas tun, um für die Zukunft unserer Kinder und Enkel noch etwas zum Besseren zu verändern." Hayek betonte, dass es ohne einen gewissen Verzicht jedes Einzelnen nicht möglich sein wird, den Klimawandel im nötigen Ausmaß zu bremsen. (Steffen Arora, 1.4.2022)