Was soll der ORF künftig dürfen? Unklares Bild – auch bei den Verhandlungen zwischen Verlegern, Privatsendern und ORF untereinander und mit der Medienpolitik.

Foto: APA / Roland Schlager

Zürs/Wien – Was wurde eigentlich aus der Digitalnovelle zum ORF-Gesetz, die sich der öffentlich-rechtliche Medienriese seit vielen Jahren wünscht – auch um seine großen Streaming-Pläne einfacher umzusetzen? Susanne Raab hat (ÖVP) als neue Medienministerin erst einmal öffentliche Werbebuchungen und Medienförderungen auf ihre Agenda gesetzt. Doch im Hintergrund wird auch über den ORF verhandelt.

Wollen und Dürfen

Die immergleiche Ausgangslage – im Grunde seit Jahrzehnten: Der ORF will mehr gesetzliche Möglichkeiten, diesmal vor allem Video- und Audioformate eigens für das Netz produzieren dürfen.

Aber: Der ORF ist mit einer Milliarde Euro Umsatz, davon schon vor der jüngsten Gebührenerhöhung rund 650 Millionen gesetzlich gesichertes GIS-Einkommen, weitaus größter Medienkonzern im Land, größer als zwei bis drei der größten Verlagshäuser, größer als alle privaten Rundfunkunternehmen im Land zusammen.

Private Medienhäuser warnen also stets vor der auch wirtschaftlichen Übermacht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und verlangen von der Politik Beschränkungen für den Riesen, wenn er in einem Feld mehr – Private würden sagen: noch mehr – darf.

Kompromisse für den Standort

Medienpolitik drängt auf Lösungen im Sinne des gesamten Medienstandorts – heute insbesondere mit Blick auf die Übermacht digitaler Riesen wie Google, Facebook und Co im Werbegeschäft auf Kosten klassischer Medien, die mit Werbung Inhalte finanzieren. Der allergrößte Teil der Onlinewerbung, zeigen die Einnahmen aus der Digitalsteuer, geht auch in Österreich längst an die internationalen Plattformkonzerne.

Die Medienpolitik, und so auch die neue Medienministerin, drängt auf Kompromisse, gemeinsame Lösungen, Schulterschlüsse und Kooperationen der Medialpartner – im wesentlichen Verleger, großteils organisiert im Zeitungsverband VÖZ, Privatsender im VÖP und ORF. Man möchte ja auch die Medien im Land nicht unbedingt gegen sich aufbringen.

Balanceakt bei der Medienministerin

Dieser große Balanceakt läuft gerade, meist hinter verschlossenen Türen. Im Bundeskanzleramt bei der Medienministerin, in vielen bilateralen Gesprächen der Branchengrößen – und zuletzt auch bei einer Art Mediengipfel mit den großen Playern, der Ministerin und ihrem Moderator für Medienkonferenzen, dem langjährigen Medienmanager und -berater Rudi Klausnitzer in Zürs am Arlberg. Nach einer Quarantänephase dürften die Gespräche nun langsam wieder in die Gänge kommen.

In Zürs soll man einander ein wenig nähergekommen sein, nicht nur räumlich. Kolportiert wird etwa ein langes Gespräch zwischen dem Vorarlberger Verleger Eugen A. Russ und dem neuen ORF-General Roland Weißmann. Ein gemeinsames Log-in für österreichische Medienseiten von ORF bis "Vorarlberger Nachrichten" etwa soll da für mehr Harmonie zwischen dem eher für einen harten ORF-Kurs bekannten Verleger und dem ORF-Chef gesorgt haben.

Log-in, aber wo?

An dem Log-in arbeiten ORF, "VN" und eine Reihe anderer Medienhäuser schon lange, ein Vorvertrag wurde Ende 2021 unterzeichnet, im Herbst könnte es – mit dem Träger Austria Presse Agentur (APA) – langsam losgehen. Was hinter ein Log-in wandert, ob eine GIS-Bestätigung für ORF-Onlineinhalte nötig wird und für welche, scheint auch nach Zürs nicht ganz geklärt. Die ganze blaue ORF.at-Seite hinter eine Log-in-Schranke oder doch nur, so die bisherige ORF-Linie, neue Angebote, insbesondere in Video und Audio, wenn sie das Gesetz erlaubt.

Schweizer Vorbild für Gebührenvolksabstimmung

In den seit vielen Monaten – in sehr wechselhafter Stimmung zwischen Konfrontation und Kompromiss – laufenden Gesprächen zwischen ORF und privaten Medien wartet Eugen A. Russ laut mehreren Quellen aber auch gerne mit drohenden Tönen auf: Er verweist auf die gerade in der Schweiz angelaufene Initiative für einen Volksentscheid über eine drastische Kürzung der Rundfunkgebühren (dort schon eine Haushaltsabgabe unabhängig vom Empfang). Eine Initiative zur Halbierung der GIS könnten die österreichischen Zeitungen doch auch starten, soll Russ durchklingen haben lassen.

Bisher dürfte eine solche Initiative unter den Verlegern nicht mehrheitsfähig sein. Und in der Schweiz lehnte eine Mehrheit erst 2018 eine Abschaffung der Billag, wie die GIS dort heißt, in einer Volksabstimmung ab. Ein Volksbegehren über die GIS in Österreich müsste, wenn es erwartungsgemäß mehr als 100.000 unterstützen, im Nationalrat behandelt werden. Wie jenes zur Abschaffung der GIS von 2018, das stattliche 320.239 unterzeichneten. Ergebnis: Es wurde in der Tat im Nationalrat besprochen.

Angebotsvielfalt

Der ORF und sein neuer Generaldirektor versuchen es in den Verhandlungen mit Angeboten an private Medienhäuser: Verlinkungen und Hinweise von ORF.at auf Inhalte privater Medienseiten etwa, ORF-Korrespondentenberichte und andere Inhalte für private Medienseiten, private Bewegtbildinhalte in einer ORF-Streamingplattform, Arbeitstitel ORF-Player, gemeinsame Werbevermarktung auch privater Angebote (bisher vom ORF-Gesetz seit einer Privatradiovermarktung Ende der 1990er verboten) durch den ORF und überproportionale Ausschüttung der Einnahmen an private Player. Als Variante tauchte in den Verhandlungen auch schon auf, dass solche Vermarktungseinnahmen in einen Medienfonds zugunsten privater Medien fließen könnten.

Private Medienhäuser forderten vielerlei Beschränkungen für den ORF von der Einstellung der textfokussierten blauen ORF.at-Seite, dem derzeit größten österreichischen Newsangebot im Netz, über Werbebeschränkungen in TV und/oder Online und/oder Radio bis zum Verkauf von ORF-Beteiligungen.

Private Perspektiven

Wie etwa bei den Werbebeschränkungen unterscheiden sich die Forderungen je nach Perspektive des jeweiligen Medienhauses – mit oder ohne eigene Radio- oder Fernsehaktivitäten, mit stärkerem oder weniger starkem Onlinefokus, je nach inhaltlicher Positionierung. Schwieriges Gelände für gemeinsam gangbare Kompromisse.

Wie kommt man da heraus? Als Kompromissidee in Sachen Streaming kursiert etwa: Private Zeitungs- und Medienhäuser reagieren gemeinhin vor allem auf einen Ausbau der Infoangebote des ORF allergisch. In der vor allem fiktionalen Unterhaltung – Film, Serie – können sich indes nur die wenigsten privaten österreichische Medien eigene Produktionen leisten. Daraus dürfte der Gedanke entstanden sein, dass der ORF vor allem in diesem Bereich Streaming-Möglichkeiten bekommen soll, aber nur sehr eingeschränkt in der Information. Eine Art österreichischer Gegenentwurf zum globalen Streaming quasi. An dem hat sich der ORF schon mit Flimmit versucht – und braucht nun Gebühren, um das Pay-Angebot zu erhalten.

Tiktok im Newsroom

Im öffentlich-rechtlichen ORF, der in den kommenden Monaten den größten gemeinsamen Newsroom des Landes mit mehr als 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besiedelt, ist freilich mit Widerstand gegen dieses Denkmodell zu rechnen. Information, Bildung, Kultur sind zentrale Aufträge öffentlich-rechtlicher Anstalten.

Armin Wolf promotet 2021 den Start der von ihm wesentlich mitentwickelten "ZiB Tiktok" in der "ZiB 2".
Foto: Screenshot ORF TVthek

Der ORF versucht im Gegenteil mit seinen Infoinhalten über Social Media mit "ZiBs" für Instagram und Tiktok jüngere Zielgruppen zu erreichen und sieht das als zentrale öffentlich-rechtliche Aufgabe. Verleger argumentieren, er besetze mit Gebührengeld Felder, die sie nicht wirtschaftlich bespielen können, schon gar nicht in mit dem ORF konkurrenzfähigem Umfang. Vor allem die "ZiB Tiktok" ist ihnen ein Dorn im Auge, der Privatsenderverband bestätigte Prüfungen, ob sie den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

Im STANDARD-Interview signalisierten der Präsident des Privatsenderverbands und seine Geschäftsführerin, Christian Stögmüller und Corinna Drumm, vor wenigen Wochen keinen dringenden Bedarf an Lockerungen für den öffentlich-rechtlichen Konkurrenten: "Der ORF hat genug Spielraum", befanden sie da.

Fortsetzung folgt am Verhandlungstisch bei Medienministerin Raab. (Harald Fidler, 1.4.2022)