Landeshauptmann Markus (ÖVP) kündigte am Freitag an, dass das Wirtschaftsbundmagazin nicht mehr erscheinen werde.

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In der Vorarlberger ÖVP ist Feuer am Dach. Seit DER STANDARD am Montag eine breite Steuerprüfung des Wirtschaftsbunds samt dessen Selbstanzeige enthüllt hat, wird im Ländle über das "System Wirtschaftsbund" debattiert. DER STANDARD wollte wissen, was Nina Tomaselli, grüne Fraktionsvorsitzende im U-Ausschuss, und Gerald Loacker, stellvertretender Klubobmann der Neos, zu den Zuständen in ihrem Heimatbundesland zu sagen haben.

STANDARD: Seit Montag wird heftig über die Praktiken des Vorarlberger Wirtschaftsbunds diskutiert. Da wurden – teilweise mit Druck – Millionen gemacht. Was in Vorarlberg für die größte Überraschung gesorgt hat, war aber gar nicht die Sache an sich, sondern dass nun alles auf den Tisch kommt. Ist es Ihnen ähnlich gegangen?

Tomaselli: Man darf nicht vergessen, dass es in Vorarlberg bis 2014 eine absolute Mehrheit gab. So etwas geht immer zulasten der Kontrolle, egal wer eine solche Mehrheit innehat. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man aus den Fehlern lernt. In Vorarlberg wird ein neues Parteientransparenzgesetz auf den Weg gebracht. Damit ist für die Zukunft vorgesorgt. Aber was es jetzt jedenfalls noch braucht, ist, dass man mit der Vergangenheit aufräumt.

Nina Tomaselli (Grüne) fordert: "Wir müssen uns glaubwürdig darum bemühen, mit diesem alten System und diesen Machenschaften aufzuräumen. Die Korruption gehört aus der Republik gefegt."
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Loacker: Ich glaube, es war für niemanden, der auch nur ein bisschen mit der Wirtschaft zu tun hat, überraschend, was da passiert. Mich haben in der Vergangenheit öfter Unternehmer angerufen, die sich über die Vorgänge beschwert haben, über diese Schutzgeldinserate. Aber darüber öffentlich zu reden war jedem zu heiß. Deswegen ist es so bemerkenswert, dass sich jetzt endlich jemand herausgetraut hat aus den Stauden und gesagt hat, das läuft so, und ich will das nicht mehr haben. Und jetzt kommen natürlich noch Details ans Licht, die wir vielleicht nicht gewusst haben. Da ist jetzt schon eine Eiterbeule aufgeplatzt.

STANDARD: Diese Eiterbeulen platzen ja an vielen Stellen auf – kann man die Causa in Vorarlberg auch als Spätfolge von Ibiza sehen?

Loacker: Ich glaube nicht. Weil es um ein System geht, das seit 30 Jahren besteht. Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler hat einfach den Bogen überspannt, und es ist manchen zu viel geworden. Ich glaube, das sind sehr regionale Gründe.

Tomaselli: Als Abgeordnete im zweiten U-Ausschuss genau zu dieser Themenlage komme ich schon zum Schluss, dass das Ganze kein Vorarlberger Phänomen ist. Strache hat auf Ibiza ja die Frage ausgebreitet, wie man Gelder am Rechnungshof vorbei sammeln kann. Und deswegen ist es so wichtig, dass politische Sicherheitssysteme eingeführt werden. Einerseits gesetzlich und andererseits immer und immer wieder auch im Parlament auf solche Dinge hinzuweisen. Die Grüne Wirtschaft hat das in Vorarlberg seit mindestens 2008 gemacht. Als Parlamentarierin lästig sein, diesseits und jenseits des Arlbergs. Letzten Endes zahlt sich diese parlamentarische Kontrollarbeit aus, auch wenn es ein bisschen länger dauert.

STANDARD: Am Freitagnachmittag hat das Wirtschaftsbund-Führungsduo den Rücktritt erklärt. Ist die Causa damit erledigt?

Loacker: Die beiden Rücktritte sind wichtig, aber beseitigen das Problem nicht. Es fehlt aber offenbar jedes Schuldbewusstsein. Welche Schritte setzt Markus Wallner, damit die Nachfolger in seiner Teilorganisation nicht nach demselben Muster weiterarbeiten?

Tomaselli: Es ist alternativlos, mit diesem alten System aufzuräumen. Das ist, was sich die Menschen jetzt erwarten. Die ÖVP tut sich oft schwer, damit Schritt zu halten. Jetzt ist eine politische Lawine losgetreten worden. Es geht weniger um Personen, es geht um Systeme, darum, Schlupflöcher zu stopfen. Und wenn das "Wirtschaftsbund-Tool" kein solches ist, dann weiß ich auch nicht.

STANDARD: Die gesetzliche Ebene wurde bereits angesprochen. In Vorarlberg sind strengere Regeln zur Parteienfinanzierung auf dem Weg, auf Bundesebene steckt das Gesetz fest. Warum?

Tomaselli: Wenn es beschlossen ist, dann ist das Vorarlberger Gesetz wirklich das strengste Parteiengesetz überhaupt in Österreich. Das befreit uns aber natürlich nicht davon, auch im Bund die Konsequenzen aus Ibiza und Co zu ziehen. Es gibt einen kompletten Entwurf – und der ist jetzt in der parlamentarischen Abstimmung, weil der Bundesregierung selbstverständlich wichtig ist, dass alles von einer breiten Mehrheit getragen ist.

Gerald Loacker (Neos) sind die Rücktritte im Wirtschaftsbund nicht genug: "Der Fisch beginnt immer beim Kopf zu stinken." Ihm könne niemand erzählen, Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) habe von den Machenschaften nichts gewusst.
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Loacker: Es wird am Ende darum gehen, ob – wenn die Gesetze in Kraft sind – man wirklich sieht, wie viel Geld durch die Vorfeldorganisationen geschleust wird und was die damit machen. Das schaue ich mir an. Die Landesrechnungshofpräsidentin scheint da nicht sehr zuversichtlich zu sein, dass sie alle Einsichtsrechte hat. Was der Wirtschaftsbund lukriert hat mit seiner Geldmaschinezeitung, geht ja weit über das hinaus, was schlussendlich an die ÖVP geflossen ist. Da wird auch die eine oder andere sonstige Wahlkampfausgabe getätigt worden sein – Saalanmietungen, Wahlkampfmaterial et cetera. Wenn solche Dinge kontrolliert werden können, auch in Vorfeldorganisationen, dann können sich solche Gesetze bewähren. Wenn die Konstruktion dafür nicht reicht, wenn man dann sagt, da geht es um eine eigene Rechtspersönlichkeit nach Vereinsgesetz und so weiter, dann haben wir das Ziel nicht erreicht.

Tomaselli: Für mich ist der wesentliche Aspekt an diesem Wirtschaftsbund-Tool der demokratiepolitische. In Vorarlberg ist die Parteienfinanzierung recht gering. Das sorgt dafür, dass die alten Parteien groß und die jungen, neuen Parteien klein bleiben. Die ÖVP bekommt an Parteienfinanzierung 1,1 Millionen Euro – und nimmt nebenbei, wie man jetzt weiß, 800.000 bis 900.000 Euro jährlich ein. Den anderen Parteien stehen diese Beträge nicht zur Verfügung. Natürlich hat das in Wahlkampfzeiten große Auswirkungen. Am Ende soll es da um die besten Ideen gehen und nicht darum, wer die Machtstrukturen am besten ausnützen kann.

Loacker: Genau darum geht es. Dass eine Organisation eine Zeitung herausgibt und dort jemand inseriert, ist ja ein zulässiger Vorgang. Aber wenn die Wirtschaftskammer in der Wirtschaftsbundzeitung inseriert und damit die Pflichtbeiträge von allen verwendet werden, um Geld in die ÖVP zu kanalisieren; wenn Landesunternehmen wie die Hypo inserieren und damit Steuergeld in den Wirtschaftsbund und weiter in die ÖVP wandert, dann entsteht das Problem. Und wenn Leute unter Druck gesetzt werden. Die Schutzgeldfunktion dieser Konzeption ist das Problem. Das ist ganz schwer abzustellen in einem Bundesland, in dem alles schwarz ist – auch die Krankenkasse und die Arbeiterkammer. Wenn Sie einen Telefonhörer in die Hand nehmen und an einer öffentlichen Stelle anrufen, dann hebt ein Schwarzer ab.

Tomaselli: Man trifft sich immer zweimal im Leben. In einem Bundesland mit 400.000 Einwohnern trifft man sich häufiger zweimal im Leben. Selbstverständlich gibt es da Abhängigkeiten, die nicht nur Unternehmer, aber auch Privatpersonen treffen. Auf Gemeindeebene bekommt man oft zu hören, dass man zwar gerne die Grünen unterstützt, aber lieber nicht namentlich, weil dann bekomme man ja vielleicht Probleme.

STANDARD: Wie ist so etwas abstellbar?

Loacker: Je mehr Transparenz besteht, umso eher ist es abstellbar. Aber was es auch braucht – und das sieht man in dem Fall –, ist Zivilcourage. Es braucht Leute, die sagen, ich spiele da nicht mit. Ich nehme an, bei den Grünen ist es ähnlich. Wenn sich ein Selbstständiger bei den Neos meldet, dann muss er mit einer Steuerprüfung rechnen. Dann bekommt er keinen öffentlichen Auftrag vom Land oder einer Gemeinde, das ist einfach so. Da braucht man sehr selbstbewusste Leute. Das kann und will sich auch nicht jeder Unternehmer leisten. Aber es braucht die couragierten Leute, die die Nadel in die Eiterbeule stechen.

Tomaselli: Und es braucht die Transparenz und die Kontrolle. Das Wirtschaftsbund-Tool ist plötzlich uninteressant geworden, weil nun alle Zahlungen öffentlich geworden sind. Eine weitere Folge muss auch sein, dass bei öffentlichen Aufträgen noch transparentere Kriterien angewendet werden. Wir wollen alle, dass Aufträge diejenigen bekommen, die sie gut und günstig machen, und nicht diejenigen, die etwa den Bürgermeister gut kennen.

Loacker: Ein Volksbegehren kann ich online unterschreiben. Aber die Kandidatur einer Partei für eine Wahl kann ich immer noch nur persönlich am Gemeindeamt unterstützen. Das ist eine Form der sozialen Kontrolle, die in einem kleinen Bundesland eine viel größere Rolle spielt.

STANDARD: Soziale Kontrolle ist sicher auch ein Aspekt, wieso diese Causa so lange unter der Oberfläche blieb. Spielen dafür auch die Medien eine Rolle?

Loacker: Natürlich gibt es immer ein Interesse von Medien, nahe an den Mächtigen zu sein, weil da sind die Informationen. ORF-Landesdirektor kann ich nur sein, wenn ich beim Landeshauptmann gut angeschrieben bin. Und in den Vorarlberger Nachrichten wurde in den letzten Tagen auch offengelegt, dass Russmedia über die Inseratefirma von Kessler auch gut mitverdient hat. Wenn ich das sage, dann nehme ich in Kauf, dass mich das Berichterstattung kostet oder mir negative Berichterstattung einbringt dort. Ich erinnere mich auch an einen Fall, als ich eine Story über einen Finanzbetrüger mit offener Haftstrafe aus der Schweiz, der einen Job bei einer Arbeiterkammer-Tochter bekommen hat, in einem Vorarlberger Medium unterbringen wollte. Das wollte niemand bringen, weil die Arbeiterkammer natürlich überall inseriert. Diese Geschichte kam nur durch überregionale Berichterstattung ans Licht. Dann gab es erst die Folgeberichterstattung in Vorarlberg.

Tomaselli: Ich glaube, dass die Inseratencausa beim Wirtschaftsbund gezeigt hat, wie wichtig die vierte Gewalt im Staat ist. Wie bereits gesagt: Die Grünen haben schon vor vielen Jahren auf die Causa aufmerksam gemacht. Das mediale Echo war, gelinde gesagt, überschaubar. Als im Herbst Ö1 und STANDARD berichtet haben, hat das die politische Diskussion so angestoßen, dass es auch in Zukunft möglich ist, Dinge besser zu machen – Stichwort neues Parteientransparenzgesetz.

STANDARD: An der Spitze des Systems in Vorarlberg steht seit zehn Jahren Landeshauptmann Markus Wallner. Ist es möglich, dass er all das aufbrechen kann – oder braucht es eine personelle Erneuerung?

Loacker: Der Fisch beginnt immer beim Kopf zu stinken. Aber die oberste Devise in der Vorarlberger ÖVP ist immer "Ja keinen Wirbel". Lieber einen Bericht über einen grünen Landesrat, der einen Fahrradständer eröffnet, als irgendein kritischer Bericht über einen ÖVP-Gemeinderat. Dieses "Deckel drauf und Ruhe", das versuchen die jetzt auch. Wenn es ihnen gelingt, das auszusitzen, dann geht das System unverändert in die Verlängerung.

Tomaselli: Was auch längst passieren sollte, ist die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und die Einführung der Informationsfreiheit. Wenn politisches Handeln in der Auslage steht, dann passieren solche Dinge bestenfalls nicht mehr. Und warum hakt das? Da spielen die Bundesländer eine unrühmliche Rolle. Der Vorarlberger Landtagspräsident der ÖVP wird nicht müde, hier zu lobbyieren, damit dieses Gesetz nicht ins Parlament kommt.

STANDARD: Wie wichtig ist denn in der Causa der Verdacht der doppelten Steuerhinterziehung – und das bei der Finanzministeriumspartei ÖVP?

Tomaselli: Steuern müssen wir alle zahlen. Niemand tut das gerne, es ist aber unsere Pflicht. Für den Wirtschaftsbund Vorarlberg gelten die gleichen Regeln wie für den Installateur aus Wels. Für alle müssen die gleichen Regeln gelten. Wenn eine Steuerpflicht bestanden hätte, dann kann die korrekte Antwort nicht jene sein, die der Landeshauptmann gegeben hat. Der hat ja gemeint, wenn nicht gezahlt wurde, dann nur, weil man es nicht besser gewusst hat. Sonderbehandlungen darf es nicht geben.

Loacker: Wenn man es sehr wohlwollend betrachtet, ist es eine große Schlamperei, aber die darf es natürlich auch nicht geben. Es ist ja ein Konvolut gegangen an die Finanz und an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Die hat es an die Staatsanwaltschaft Feldkirch weitergeleitet. Dort hatte man bereits alles eingestellt. Wie ein Vorarlberger Rechtsanwalt immer sehr treffend gesagt hat: Es gibt in Vorarlberg keine politische Korruption, weil sie nie angeklagt wird. Mir ist kein ÖVP-Politiker bekannt, der jemals von dieser Staatsanwaltschaft angeklagt worden wäre. Wenn auf einem Akt ÖVP steht, dann ist es erledigt. Wir haben die bereinigenden Kräfte im System nicht.

STANDARD: Kann dafür ein Landtagsausschuss den Startschuss geben?

Loacker: Wenn der Landtag eine Anzeige übermittelt, dann wird es vielleicht funktionieren. Aber wenn ein Bürger Amtsmissbrauch anzeigt, dann wird es sicher nicht funktionieren. Das zeigt das Problem, das generell im Land herrscht: Vorarlberg ist deswegen das sauberste Bundesland, weil so viel unter den Teppich gekehrt wird. Und das ist seit Jahren so.

STANDARD: Wir wissen ja, dass Wallner für die Illwerke im Finanzministerium interveniert hat. Gibt es Befürchtungen, dass das jetzt auch getan wird?

Tomaselli: Der Untersuchungsausschuss hat sich bereits dazu entschieden, alle Unterlagen und Akten zu den Illwerken und ganz aktuell auch zur Betriebsprüfung des Wirtschaftsbundes anzufordern. Das werden wir uns sehr genau ansehen und auch überlegen, ob Auskunftspersonen aus Vorarlberg geladen werden. Aber ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass Magnus Brunner, der ja selber Wirtschaftsbundmitglied ist, wie bisher uns alle Unterlagen zur Verfügung stellt.

STANDARD: In der Bundes-ÖVP hat sich bis jetzt niemand zu der ganzen Causa gemeldet, man scheint das als rein vorarlbergerisches Thema zu sehen. Welche bundespolitische Bedeutung hat der Wirtschaftsbund im Ländle?

Loacker: Für mich spielt hier das Thema Inserate eine wichtige Rolle. Warum muss ein Ministerium überhaupt inserieren? Warum inseriert eine Kammer mit Zwangsmitgliedschaft? Für wen wirbt sie? Alle müssen ja dabei sein. Das ist alles nur das Umleiten von Geld von Mitgliedern oder Steuerzahlern in Kanäle, wo es nicht hingehört. Wenn ein Minister eine Pressekonferenz abhält, dann wird das sowieso berichtet. Da braucht es kein Inserat. Das hat nur Anfütterungscharakter. Man versucht, sich politisch genehme Berichterstattung zu kaufen. Das gehört abgedreht.

Tomaselli: Man muss zum Schluss kommen, dass es um etwas viel Größeres geht. Seit 2019 ist die österreichische Bevölkerung durchgehend mit Korruptionsverdachtslagen konfrontiert. Das Vertrauen in die Politik hat dadurch massiv gelitten. Das ist mir persönlich die größte Sorge, weil das gefährlich für die Demokratie ist. Das ist auch ein Appell an alle Politikerinnen und Politiker: Wir müssen uns glaubwürdig darum bemühen, mit diesem alten System und diesen Machenschaften aufzuräumen. Die Korruption gehört aus der Republik gefegt. (Lara Hagen, Fabian Schmid, 1.4.2022)