Ein Blick in das Silicon Valley lohnt immer, um neue Trends in der Arbeitswelt zu sehen. Nicht nur Tischtennistische, Rutschen und Microdosing (also die kontrollierte Einnahme von Substanzen zwecks Leistungsoptimierung) haben sich von dort aus verbreitet. Auch das mittlerweile gute alte "passion principle", in die Welt gebracht von Chefevangelist Steven Jobs, ist von dort gekommen und hat die Einstellung ganzer Elitenkohorten zur Arbeit geprägt: Wer sich nicht leidenschaftlich und sinnerfüllt dem Job hingibt, hat etwas falsch gemacht und muss an sich arbeiten. Schließlich kann es keine andere Erfüllung als den Job geben.

Wer bei solcher Art der Mitarbeiterbindung schon leichtes Gruseln empfunden hat und hinterfragen wollte, ob die Gleichsetzung von Sinn in der Arbeit mit dem Lebenssinn nicht auch gefährlich an Zivilcourage, Kritikfähigkeit und Glücksfähigkeit im Allgemeinen nagen könnte und eine Umdeutung mit möglicherweise schweren Nebenwirkungen wäre, kriegt jetzt noch härteren Tobak nachgereicht.

Menschen im Silicon Valley würden berichten, wie sie "ganz", "spirituell" und "verbunden" wurden durch ihre Arbeit.
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Spiritualität im Job

Denn nun geht es um die Vereinnahmung der Spiritualität durch die Firma. Sie wird zur Kathedrale, sie wird zum Ashram, zur Pforte auf dem Weg zum höheren Selbst. Die oberste Führungskraft wird quasi zum Schamanen, die durch den Job in Dimensionen abseits der realen Welt führt. Das ultimative seelische Entzücken gibt es jetzt also in der Firma. Carolyn Chen hat dazu aktuell ein Buch geschrieben, das auf 100 Interviews in der Tech-Industrie im Valley basiert (Work Pray Code: When Work Becomes Religion In Silicon Valley, Princeton University Press) und es im Atlantic auch gleich selbst rezensiert.

Sie habe herausgefunden, dass all die Thesen, wonach sich die Arbeitenden zunehmend von ihren Jobs, ja von der gewohnten Erwerbsarbeit insgesamt abwenden würden, nicht valide seien. "Wir sagen gerne, dass wir unsere Seelen an die Arbeit verkaufen. Aber im Silicon Valley ist der Ort, wo viele Menschen ihre Seelen erst finden." Menschen berichten hier, wie sie "ganz", "spirituell" und "verbunden" wurden durch ihre Arbeit. Menschen "Seelennahrung bieten" benennt da eine Personalverantwortliche den Kern der Personalarbeit. Executive Coaches werden als "spiritual adviser" engagiert, buddhistische Mönche kommen in die Firma, und manchentags wird das Büro zur großen Gospel-Halle. Alles wird Heiligung des Tuns im Arbeitsleben.

Solcherart Konkurrenz zu Religionsgemeinschaften ordnet die Autorin als Produktivitätsinstrument ein. Tatsächlich könnte es noch viel gefährlicher sein. (Karin Bauer, 4.4.2022)