An PIMS erkrankte Kinder müssen häufig stationär im Krankenhaus behandelt werden, nicht selten auch auf der Intensivstation.

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"Ich bin zwölf Jahre alt und gehe ins Gymnasium im sechsten Bezirk. Noch was?" Die Frage nach der Vorstellung hat Fabio schnell erledigt. Der Bub antwortet prompt und präzise, Begriffe wie aufgeweckt oder vif kommen einem in den Sinn. Dass Fabio in den vergangenen zwei Jahren zwei schwere Krankheiten durchmachen musste und noch immer darunter leidet, fällt auf den ersten Blick nicht auf.

Fabio hat sich im November 2020 mit dem Coronavirus angesteckt – in der Schule, vermuten er und seine Mutter Ines, die während des Gesprächs neben ihm vor dem Computerbildschirm sitzt. Die Covid-Erkrankung war für Fabio "ärger als andere Erkrankungen", wie er sagt, aber im Endeffekt "aushaltbar".

Fieber, Müdigkeit und ein "schircher" Ausschlag

Einen Monat später jedoch, am Stefanitag, wurde er plötzlich "urmüde". Ines maß bei ihm erhöhte Temperatur, machte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Sorgen. "Aber am nächsten Tag ist es mir gar nicht gut gegangen", sagt Fabio und seufzt hörbar auf. Er habe sich auf einmal sehr krank gefühlt, war extrem müde und bekam am ganzen Körper einen juckenden Ausschlag. "Das war echt schirch", sagt der Zwölfjährige heute.

Fabios Zustand verschlechtert sich täglich. An Tag drei fahren die beiden ins Krankenhaus, die behandelnde Ärztin verschreibt eine Salbe und schickt Fabio nach Hause. Doch es wird nicht besser: Fabio fiebert auf bis zu 40 Grad hoch, der Ausschlag geht nicht weg, seine Augen werden gelblich. Am nächsten Tag fahren Fabio und Ines erneut ins Krankenhaus, dieses Mal kommen die Ärzte drauf, "dass ich halt das Dings habe", wie Fabio sagt. "Dings" – das ist PIMS, kurz für Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, eine akute Entzündungskrankheit, die durch eine Überreaktion des Immunsystems hervorgerufen wird und zwei bis vier Wochen nach einer Covid-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen auftreten kann und dabei verschiedene Organe befallen kann. Ist das Herz betroffen, kann die Krankheit lebensbedrohlich sein.

PIMS ist nicht Long Covid

PIMS, das auch MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) genannt wird, ist eine seltene Erkrankung: Etwa eines bis fünf von 10.000 mit Corona infizierten Kindern sind betroffen, erklärt Herbert Kurz, Vorstand der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener Donauspital. PIMS kann eine Vielzahl an Symptomen verursachen. Das wichtigste und klarste Symptom ist aber hohes Fieber über mehrere Tage, dazu kommen oft starke Bauschmerzen, Übelkeit, Kopfweh und Ausschläge.

"Was das Ganze so gefährlich macht, ist, dass in vielen Fällen auch das Herz mitbetroffen ist," sagt Kurz. Dadurch kann es zu niedrigem Blutdruck kommen – und wenn der Blutdruck zu gering ist, dann funktioniert der ganze Organismus nicht mehr. Eine Unterscheidung ist dem Pädiater dabei wichtig: Das oftmals Monate andauernde Long Covid und das akut verlaufende PIMS sind zwar beide Folgen einer Covid-Erkrankung, müssen aber strikt auseinandergehalten werden.

Gefährlich, aber gut behandelbar

Im Donauspital wurden bis Jänner 35 junge Patientinnen und Patienten mit PIMS behandelt, und auch die jüngste Omikron-Welle brachte PIMS-Fälle in das Krankenhaus. Es handle sich trotzdem immer noch um eine extrem seltene Krankheit. Und auch wenn PIMS lebensbedrohlich sein kann – laut aktueller Forschung sterben etwa zwei von 1.000 Erkrankten, sagt Kurz –, so ist es gleichzeitig gut behandelbar. Bisher wurde in Österreich auch kein Todesfall dokumentiert. Zwei anderslautenden medialen Berichten widersprachen die Ärztin respektive der Arzt, die darin zitiert wurden, auf Nachfrage des STANDARD: Sie seien falsch zitiert worden.

Dadurch, dass er und seine Kolleginnen schon so viele Betroffene behandelt haben, ist einem die Schwere der Krankheit vielleicht gar nicht mehr so stark bewusst, sagt Thomas Wagner, pädiatrischer Intensivmediziner am Donauspital. "Diese Patienten sind aber wirklich schwerstkrank und liegen mitunter mit künstlicher Beatmung auf der Intensivstation." Auch mechanische Herzkreislaufunterstützung und eine Nierenersatztherapie, also Dialyse, hätten sie schon eingesetzt, erklärt Wagner. Die jungen Patienten brauchen dementsprechend auch spezielle Nachsorge.

Leberwerte wie ein Alkoholiker

Als Fabio das zweite Mal im Krankenhaus war und die Diagnose PIMS bekam, wurde er von oben bis unten durchgecheckt. Sein Herz war nicht betroffen, aber seine übrigen Organe waren stark in Mitleidenschaft gezogen. "Im Krankenhaus haben sie gesagt, er hat Leberwerte wie ein schwerer Alkoholiker", erzählt seine Mutter. Auch die Nieren waren angegriffen, und eine Bindehautentzündung wurde diagnostiziert. Trotz allem durften die beiden an diesem Tag nach Hause fahren, unter der Bedingung, sofort ins Krankenhaus zu kommen, falls sich Fabios Zustand verschlechtert.

In den folgenden Tagen wurde Fabio jeden Tag ambulant mit Cortison-Tabletten und -Creme behandelt. Sein Fieber blieb noch einige Tage sehr hoch, aber nach gut einer Woche war das Gröbste vorbei. Trotzdem musste er mehrere Wochen lang zu Kontrolluntersuchungen, bis sich seine Leber erholt hatte. Die PIMS-Erkrankung, das wiederholt Fabio mehrmals, war für ihn jedenfalls die schlimmste Krankheit, die er bisher gehabt hat – und um einiges schlimmer als die ursprüngliche Covid-Erkrankung.

Keine Risikofaktoren

PIMS tritt unabhängig von der Schwere der Covid-Erkrankung auf, erklärt Primar Kurz vom Donauspital. Ob man aber von einer überstandenen Covid-Erkrankung des Kindes weiß oder nicht: Wenn das Kind drei, vier Tage lang hohes Fieber hat und in einem schlechten Allgemeinzustand ist, muss eine Kinderärztin aufgesucht werden. Mittlerweile kennen auch die niedergelassenen Kinderärzte die Krankheit gut und können die Kinder schnell ins Krankenhaus überstellen.

Der Leiter der Innsbrucker Kinderklinik, Thomas Müller, pocht auf eine Meldepflicht für PIMS in Österreich.
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Welche Kinder einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, das wisse man aktuell nicht, daher könne man auch nicht bestimmten Eltern raten, auf ihre Kinder besonders aufzupassen. Eines kann man aber tun: impfen. "PIMS ist das stärkste Argument für die Impfung von Kindern", sagt Thomas Müller, Leiter der Innsbrucker Kinderklinik. Die Impfung schütze zu 90 Prozent vor einer PIMS-Erkrankung.

"Mindestens 200 Fälle in Österreich"

Auch in Innsbruck wurden bereits 28 Patientinnen und Patienten mit PIMS behandelt. Davon hatte ein Patient die erste Teilimpfung erhalten, alle anderen waren ungeimpft, erzählt Müller und fügt hinzu, dass diese Statistiken mit Vorsicht zu genießen sind, da die Durchimpfung bei Kindern generell noch gering ist. In Innsbruck musste etwa die Hälfte der jungen Patientinnen auf der Intensivstation behandelt werden. Sie müssen in der Regel mehrere Tage dort bleiben und werden mit kreislaufunterstützenden Medikamenten behandelt – sie sind lebensbedrohlich krank, wie Müller betont.

Wie soll man aber Kinder unter fünf Jahren schützen? Für sie ist ja noch keine Covid-Schutzimpfung zugelassen. "Bis zur Zulassung und Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen für Kinder unter fünf Jahren sind für diese Altersgruppe weiterhin nicht-pharmazeutische Interventionen (allgemeine Schutz- und Hygienemaßnahmen) zu treffen", schreibt dazu ein Sprecher des Gesundheitsministerium auf Nachfrage.

In ganz Österreich, so schätzt Thomas Müller, gab es bis Mitte März mindestens 200 Fälle – durch die enorm hohe aktuelle Welle werden aber noch zahlreiche Fälle dazukommen. "So viele Infektionen wie jetzt hat es bei Kindern noch nie gegeben, das ist ein neues Szenario", sagt Müller.

Wie viele Fälle es genau gibt, ist aber schwer zu sagen. In Deutschland können Kliniken PIMS-Fälle freiwillig der Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie melden, bis Mitte März waren es 777 seit Pandemiebeginn. Weder in Deutschland noch in Österreich gibt es aber eine Meldepflicht.

Klinikleiter fordert Meldepflicht

Auf STANDARD-Nachfrage verweist das Gesundheitsministerium auf eine Erhebung der Medizinischen Universität Graz unter der Leitung von Volker Strenger, wonach es bis September 2021 in Österreich 142 PIMS-Fälle gegeben habe. Zu der Delta-Welle und der Omikron-Welle liegen noch keine Daten vor. Pädiater Müller plädiert für eine Meldepflicht: "Sonst muss man auch jede Kleinigkeit melden, das bräuchte nur eine Anweisung durchs Ministerium", sagt der Klinikleiter.

Der Zwölfjährige Fabio hat seine PIMS-Erkrankung mittlerweile überwunden, leidet aber nun an einer anderen Erkrankung: Long Covid. Was wie ein Widerspruch zu der Mahnung scheint, die beiden Krankheiten auseinanderzuhalten, ist einfach erklärt. "Ich glaube, ich hatte einfach Pech", sagt Fabio und lacht. Er trägt seine Einschränkungen mit Fassung, auch dass allein der Schulweg für ihn aufgrund von Long Covid immer noch eine Anstrengung ist, wie seine Mutter Ines erzählt. "Der ist aber auch einfach sehr lang", sagt der Zwölfjährige. (Levin Wotke, 3.4.2022)