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Im Verhältnis zum restlichen Körperbau wirken die Arme des Tyrannosaurier lächerlich klein. Eine Laune der Evolution?
Bild: Joe Lena / Getty Images

Kein Dinosaurier ist so berühmt-berüchtigt – und birgt gleichzeitig ein respektables Meme-Potenzial. Der räuberische Tyrannosaurus rex, der vor 66 Millionen Jahren seiner Beute grausam den Garaus machte, wird heutzutage auch mit Vorliebe durch den Kakao gezogen. An seinen Ärmchen. Denn diese sehen zwischen den massiven Kiefern und den muskulösen Beinen karikaturistisch klein aus. Auch wenn man sie sich durchaus kräftig vorstellen kann: Sein Bizeps dürfte in der Lage gewesen sein, etwa 200 Kilogramm zu heben.

Warum aber sind die Arme so kurz, dass ein T. rex Probleme hätte, in die Hände zu klatschen oder ein Bett zu machen (sofern er hypothetisch Lust auf derartige Tätigkeiten hätte)? Darum ranken sich seit der Entdeckung der Skelette des bis zu dreizehn Meter langen und sieben Tonnen schweren Raubtiers durch Menschen diverse Mutmaßungen. Wobei die Arme bei den ersten Fossilfunden nicht vollständig erhalten waren und sich die Hypothese der kurzen Vorderextremitäten erst mit einem neuen Fund 1989 bestätigte.

Die Arme waren nur etwa eineinhalb Meter lang und damit kürzer als sein Schädel. Hätte ein Mensch vergleichbar kurze Arme, wären sie umgerechnet bei einer Körperhöhe von rund 1,80 Metern nur dreizehn Zentimeter lang.

Winkende Saurier

Schon 1906 ließen Forschende ihrer Fantasie bei diesem Thema freien Lauf. Der US-amerikanische Paläontologe Henry Fairfield Osborn vermutete, die imposanten Dinosaurier hätten mit ihren Armen beim Sex den Partner festgehalten. Andere sahen den Nutzwert eher bei der Nahrungsbeschaffung: Sie könnten die Beute festhalten, bevor diese die spitzen Zähne zu spüren bekam. Ein hawaiianischer Forscher äußerte die Theorie, dass die zwei Klauen pro Hand wohl eher zum Aufschlitzen als zum Festhalten brauchbar waren. Heitere Vorschläge stellten etwa die Möglichkeit in den Vordergrund, einen schlafenden Triceratops umzuwerfen – analog zum Mythos des Küheschubsens – oder potenziellen Partnern zuzuwinken.

Das Skelett im paläontologischen Museum der University of California Berkeley verdeutlicht: Mit den Ärmchen war nicht viel anzufangen.
Foto: Peg Skorpinski

Selbst weniger abstruse Spekulationen wurden bisher kaum überprüft, sagt der emeritierte Paläontologe Kevin Padian von der University of California in Berkeley. Er hat eine Evaluation dieser unterschiedlichen Ideen vorgenommen – anhand des T.-rex-Skeletts, das im von ihm kuratierten paläontologischen Museum der Universität steht. Messungen zeigen, dass die Arme zu kurz und unbeweglich für die meisten dieser Mutmaßungen sind: Sie können sich nicht einmal gegenseitig berühren. Und trotz ihrer kräftigen Muskeln käme der Tyrannosaurus nicht in die Nähe von etwas, das er aufheben könnte.

Anlässlich des Oscar-Skandals um Will Smith, seine Ehefrau Jada Pinkett Smith und Chris Rock äußerte sich auch der Twitter-Account der T.-rex-Dame Sue mit Verweis auf die kurzen Arme.

Aggressive Warnung

Aber wie lautet dann die Antwort auf die Frage, die Padian so häufig wie keine andere von seinen Studierenden zu hören bekam? Nachdem seine Standardantwort bisher "Das weiß keiner" gelautet hatte, formulierte er nun seine eigene Hypothese, die zu aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen passt. Vor einem Jahr erschien bereits eine Studie, die ein Bild der Tyrannosaurier als Rudeljäger zeichnete. Und wenn man sich bildlich eine hungrige Gruppe vorstellt, deren Mitglieder Bissen aus einem geteilten Beutetier reißen, dann scheint Padians Idee nicht so abwegig.

Wie er Ende März im Open-Source-Fachjournal "Acta Palaeontologica Polonica" der polnischen Akademie der Wissenschaften in einer lesenswerten Studie schrieb, könnten die kurzen Ärmchen einen T. rex vor versehentlicher Amputation bewahrt haben. "Man stelle sich eine Menge massiver Schädel mit unglaublich kräftigen Kiefern und Zähnen vor, die direkt neben einem Fleisch und Knochen zerreißen und zerkleinern", sagt Padian. "Was, wenn deine Freunde sich denken, dass du ihnen ein bisschen zu nahe kommst? Vielleicht warnen sie dich, indem sie deinen Arm abtrennen."

Das klingt nach einer martialischen Auffassung von Freundschaft. Aber wenn die vorderen Extremitäten bei der Jagd – und der Fortbewegung – ohnehin nicht gebraucht wurden, könnte es sich dabei um einen evolutionären Vorteil gehandelt haben, der ihre Rückentwicklung begünstigte. Schwere Bisswunden an den Armen können zu starken Blutungen, Infektionen und letztendlich auch zum Tod führen, sagt Padian.

Beweis durch Bisswunden

Inspiriert wurde er zu dieser Überlegung auch von Komodowaranen und Krokodilen. Sie jagen in Gruppen, die größeren Tiere stürzen sich zugleich auf die erlegte Beute und können sich dabei gegenseitig zerfleischen. Bisswunden wurden bei Tyrannosauriern und anderen fleischfressenden Dinos bereits gefunden, an Schädeln und anderen Teilen des Skeletts.

Tyrannosaurier, die zufällig kürzere Arme hatten, trugen bei einem vergleichbaren Szenario womöglich auch ein geringeres Risiko und konnten sich erfolgreicher vermehren, sofern dies bei der Paarung kein Hindernis darstellt. (Im Übrigen wären die Arme viel zu kurz und zu schwach, um einen Sexualpartner von vergleichbarem Kaliber damit zu kontrollieren.) Auch der vor T. rex lebende verwandte Gorgosaurus besaß ziemlich kurze Arme; die Entwicklung könnte in verschiedenen Sauriergruppen unabhängig voneinander vorgekommen sein.

Beweisen lässt sich die Hypothese viele Millionen Jahre nach dem Ableben der Spezies allerdings nur schwerlich. Eine Korrelation ließe sich immerhin überprüfen, sagt Padian: "Wenn man weniger Bisswunden an den kürzeren Gliedmaßen findet, könnte das ein Anzeichen dafür sein, dass die Verkleinerung effektiv war." Dafür müsste man aber Fossilien auf der ganzen Welt noch einmal genauer nach Bisswunden untersuchen. Vielleicht ist dies der nächste Schritt bei der Lösung dieses Rätsels der Evolutionsgeschichte. (Julia Sica, 2.4.2022)