Wie Pamela Rendi-Wagner ihre hohen Ziele erreichen will, blieb vorerst offen, hingegen sollte sich rasch herausstellen, wer sie daran hindern will.

Foto: Robert Newald

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich daran, dass Armin Thurnher diese Woche im "Falter" zu einer Rede an die Nation aufgerieben hat. Reden an die Nation zu halten ist üblicherweise Prärogative des Staatsoberhaupts, das dieser Aufgabe bisher in einer die Staatsbürger beruhigenden Weise – "So sind wir nicht!" – nachgekommen ist. Bis zur nächsten wollte Thurnher nicht mehr warten, er kennt aber seinen Rang, daher hieß sein Produkt abgeschwächt Eine Art Rede an die Nation. Sie war so angelegt, dass der Bundespräsident sie bei nächster Gelegenheit unbesorgt verwenden kann, abgesehen vielleicht von der Passage zur Neutralität, in der die Frage Soll sie besser, kämpferischer, intelligenter, weniger schlaucherlmäßig ausgelegt werden? von Thurnher mit Unbedingt beantwortet wurde.

Da so viel Unbedingtheit in dieser Sache Unruhe hervorrufen könnte, schießt Thurnher nach: Sollten Sie sich fragen, was der Ausdruck "schlaucherlmäßig" in einer Rede an die Nation verloren hat, sei Ihnen gesagt: Wir können uns nicht um Konflikte herumdrücken und Rosinen picken, wie es uns gefällt. Wir müssen diejenigen sein, welche die unangenehmen Fragen stellen. Wem, das blieb leider offen, und überhaupt: Welche Rosinen? Und was den demokratischen Staat betrifft: Wir müssen ihn wehrhaft machen, in gewissem Maße aufrüsten, das ist fürchterlicherweise wohl unumgänglich. Wir müssen aber zugleich immer versuchen, darüber zu wachen, dies im nötigen Rahmen zu begrenzen. Das könnten manche als ein wenig schlaucherlmäßig empfinden, wo es doch um Milliarden gehen soll.

Erste sozialdemokratische Bundeskanzlerin

Thurnher war diese Woche aber weder der Erste noch der Einzige, der sich an die Nation wandte. Es war Pamela Rendi-Wagner, die am Sonntag die Nation informierte, sie wolle die erste sozialdemokratische Bundeskanzlerin werden und den Scherbenhaufen von fünf verlorenen Jahren beseitigen. Gemeint war aber nicht der in der eigenen Partei. Wie sie ihre beiden hohen Ziele erreichen will, blieb vorerst offen, hingegen sollte sich rasch herausstellen, wer sie daran hindern will. Es war "Heute", das den burgenländischen Landeshauptmann, kaum von einer Geburtstagsfeier im Ausland zurück, beim plumpen Versuch einer Regierungsbildung hinter dem Rücken der ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlerin ertappt hatte.

"Regierung ohne ÖVP": Neos-Chefin bei Doskozil, lancierte das Blatt am Donnerstag. "Eine ,Ampel‘ für Österreich hätte Charme", ließ Burgenlands Landeschef via "Heute" aufhorchen. Wird der Plan für Rot-Grün-Neos nun konkreter? Es war nämlich so und Fakt: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger war gestern zu Gast bei Doskozil in Eisenstadt. Dort bekam sie nicht nur eine Weinkiste überreicht. Der SP-Grande schenkte ihr auch inhaltlich ein. Frauen unter Einfluss von Alkohol und Puszta-Charme gefügig zu machen, ist immer einen Versuch wert, und der Versucher sagte nachher zu "Heute": "Man muss diese Gespräche führen, wenn eine Koalition ohne die ÖVP Realität werden soll. Wir waren uns in vielen Punkten einig, bei manchen Themen wie dem Mindestlohn besteht noch Gesprächsbedarf."

Konstruktive Gespräche

War für Meinl-Reisinger alles rosarot? "Es war ein sehr konstruktives Gespräch," betont sie. Sie ist derzeit auf Besuch bei allen Landeschefs. Da könnten noch einige Kisten Wein zusammenkommen. Sie wird aber nicht mit allen ein sehr konstruktives Gespräch über eine Koalition ohne die ÖVP führen. Sicher ist: So viel Wein kann nicht einmal Doskozil strömen lassen, dass aus ihm die erste rote Bundeskanzlerin von Österreich wird.

Vom erschütternden Schicksal einer Familie und ihrem Abstieg aus den Höhen der Kommunikation berichtete Mittwoch der "Kurier": Die Karmasins – das zerstörte Erbe. Sie war die Grande Dame der Motivforschung. Jede Botschaft zwischen den Zeilen entschlüsselte sie auf den Punkt. Jeden geheimen Code der Spitzenkandidaten knackte Helene Karmasin wie keine anderen. Und dann das: Ihrer Tochter Sophie fehlte offenbar diese feine Sensorik in sensiblen Fragen.

Karmasins U-Haft

Sonst wäre sie wohl kaum für die ÖVP Familienministerin geworden. Das konnte einfach nicht gut ausgehen. Und nicht nur für sie. Denn Tatsache ist auch: Seit Karmasin in U-Haft genommen wurde, herrscht in der Branche große Unruhe. Man befürchtet weitere Geständnisse – vor allem von Karmasin. Warum ist die Branche besorgt? Preisabsprachen seien gang und gäbe; eine total reine Weste habe kaum jemand in dieser Branche, packt ein Insider gegenüber dem "Kurier" aus.

Nicht nur bei der Neutralität geht’s schlaucherlmäßig zu. (Günter Traxler, 2.4.2022)