Die Tagesordnung beim 72. Kongress des Weltfußballerverbandes Fifa ist klar geregelt: Zuerst klopfen alle Präsident Gianni Infantino auf die Schulter, dann wird das Buffet eröffnet. Wer will sich schon mit Themen wie Krieg oder Menschenrechten den Appetit oder das Geschäft verderben lassen? Eben.
Lise Klaveness ist neu im Geschäft. Sie wurde im März zur norwegischen Verbandspräsidentin gewählt. Und offensichtlich ist die Frau nicht ganz mit den Gepflogenheiten im internationalen Fußball – Gosch’n halten, Hand aufhalten – vertraut. Ausgerechnet in Katar, dem Ausrichter der Weltmeisterschaft 2022, hielt die Spielverderberin eine Rede über Korruption, Gleichberechtigung und tote Gastarbeiter. Die traut sich was.
Klaveness wurde 1981 in Meland geboren. Die norwegische Kommune auf der Insel Holsnøy hat eine lange Tradition in der Herstellung von Holzbohrern, mit Fußball hat das Sumpfgebiet weniger am Hut. Umso erstaunlicher verlief die Karriere der Offensivspielerin: 2003 nahm sie mit der Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft teil, 2005 wurde sie mit Norwegen Vize-Europameisterin. 2008 verlief weniger g’schmackig, auf einer Urlaubsreise in Westfafrika fing sich Klaveness eine bedrohliche Lebensmittelvergiftung ein: "Ich habe den Mann mit der Sense getroffen."
Energiebündel
Bereits während ihrer aktiven Zeit studierte Klaveness die Juristerei, nach dem Rücktritt 2012 vertiefte sie ihr Faible für Paragrafen. Neben der Tätigkeit als Anwältin arbeitete das Energiebündel als Richterin am Osloer Gericht. Dem Fußball kehrte Klaveness nie den Rücken, im Fernsehen trat sie als Expertin bei den Weltmeisterschaften der Männer auf. Von sexistischen Beleidigungen ließ sich die mit einer Ex-Mitspielerin liierte Mutter dreier Söhne nicht abschrecken, im Gegenteil: 2018 übernahm sie die Leitung der Abteilung für Profifußball im norwegischen Verband – und damit die sportliche Verantwortung für das Frauen- und Männernationalteam.
"Die Fifa muss, wir alle müssen das tun, wozu wir berufen sind – führen. Jede Entscheidung muss von nachhaltigen Werten geleitet sein. Null Toleranz gegenüber Korruption", sagte Klaveness in ihrer Rede. Der Beifall im Convention Center von Doha blieb aus, die Vollversammlung reagierte mit kollektivem Stirnrunzeln. Ist es Angst um das Geschäftsmodell? Präsident Infantino hatte jedenfalls sichtlich Mühe, die Kritik wegzulächeln. Einer rebellischen Norwegerin sei Dank. (Philip Bauer, 1.4.2022)