Wie viele andere westliche Unternehmen hat Victoria’s Secret seine Pforten in Russland freiwillig geschlossen.

Für Wein- und Schnapstrinker in Russland hätte der April nicht besser anfangen können. Der größte Importeur ausländischer Spirituosen, die Simple Group, hat angekündigt, seine Preise ab 1. April um durchschnittlich zehn bis 15 Prozent zu senken. Das Unternehmen führt dies laut Onlineausgabe der Zeitung Kommersant auf die Aufwertung des Rubels zurück. Weil die Landeswährung wieder an Wert gewonnen hat, ist der Einkauf von ausländischen Alkoholgetränken billiger geworden. Erst Anfang März hatte Simple seine Preise um etwa zehn bis 15 Prozent erhöht.

Die Meldung reiht sich ein in eine länger werdende Liste an guten Nachrichten aus der Sicht des Kreml von der Wirtschaftsfront. Denn trotz der "beispiellos harten" westlichen Sanktionen, wie das USA und die EU gern betonen, schlägt sich die russische Wirtschaft in vielen Bereichen besser als gedacht.

· Deutlichstes Anzeichen für diese Resilienz ist der Rubel-Kurs. Vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine kostete ein Euro um die 91 Rubel. Mit Kriegsbeginn folgte ein Absturz, der Rubel verlor 60 Prozent seines Werts, ein Euro kostete zwischenzeitlich mehr als 14o Rubel. Aus Furcht vor einer dramatischen Inflation – die Rubel-Schwäche bedeutet, dass importierte Waren teurer werden – stürmten Russen die Geschäfte und deckten sich mit Elektronikgeräten und anderen Waren ein. Doch der Rubel hat sich inzwischen wieder fast vollständig erholt und seinen Vorkriegswert erreicht.

· Bemerkenswert ist die Entwicklung an der Börse. Der russische Leitindex MOEX hat nach Kriegsbeginn 42 Prozent an Wert verloren. Danach war der Handel wochenlang ausgesetzt worden. Seit Wiedereröffnung hat der Index wieder gut 30 Prozent zugelegt.

· Konsumdaten aus Russland deuten darauf hin, dass die Kauflaune der Bürger aufrecht ist. Die russische Sberbank misst mit einem Tracker, wie sich die Kauflaune der Bürger entwickelt. Demnach lagen die Konsumausgaben Ende März um 7,3 Prozent über dem Vorjahresniveau. Aus den Daten lässt sich ablesen, dass die erwähnten Panikkäufe wieder vorbei sind.

· Zu Ende ist auch der Banken-Run. In den ersten Kriegstagen haben Russen ihre Konten geleert. Doch laut der Ökonomin Elina Ribakova vom Institute of International Finance, einer Vereinigung globaler Finanzinstitute, hat sich das Bankensystem stabilisiert. Die Russen legen ihr Geld wieder auf die Bank.

Hohe Öleinnahmen

Verantwortlich für diese Entwicklungen ist laut Ökonomen zunächst die Tatsache, dass die wichtigste Einnahmequelle für den Staat, der Energiesektor, nicht sanktioniert ist. Dabei geht es nicht so sehr um Gas: Dieser Rohstoff macht weniger als sechs Prozent der russischen Ausfuhren aus. Es ist das Öl. Auf Öl entfallen 37 Prozent der Ausfuhren und damit mehr als ein Drittel der Staatseinnahmen. Der Wert stammt aus der Zeit vor dem Krieg und dürfte wegen der gestiegenen Ölpreise aktuell sogar noch höher liegen.

Russlands wichtige Exportgüter. Öl ist enorm wichtig, der Anteil von Gas überschaubar

Russland erwirtschaftet dank der Energieverkäufe wie vor dem Krieg einen großen Überschuss beim Handel mit dem Ausland. Mit diesem Überschuss kann das Land im Ausland direkt Waren einkaufen. Die Nationalbank hat damit wohl auch einen Teil ihrer Interventionen finanziert: Sie kaufte am Markt Rubel, um damit den Wert der Währung zu stützen. Mit Erfolg.

Dazu kommt, wie der Ökonom Wassili Astrow vom Wiener Osteuropainstitut Wiiw sagt, dass die russische Wirtschaft zahlreichen Einschränkungen unterworfen wurde.

Es gelten strikte Kapitalverkehrskontrollen, Bürger dürfen ihr Geld nicht ins Ausland schaffen. Unternehmen müssen ihre Deviseneinnahmen großteils an den Staat abliefern. Für ausländische Unternehmen galt bis 1. April ein Verbot, an der Moskauer Börse Wertpapiere russischer Unternehmen zu verkaufen. Erfolgreich gewirkt haben dürfte auch die Anhebung der Leitzinsen durch die Zentralbank von 9,5 auf 20 Prozent. Damit ist es für Unternehmen und Bürger über Nacht interessanter geworden, Rubel zu halten.

Der bleibende Schaden

Doch die Maßnahmen zeigen, dass die Kosten des Krieges sich nicht kaschieren lassen werden. "Russlands Wirtschaft wird 2022 ohne Zweifel in eine Rezession fallen", sagt Ökonom Astrow. Ein Zinssatz von 20 Prozent bedeutet, dass Unternehmen sich neue Kredite kaum leisten können. Investitionen werden zurückgehen. Dazu kommt, dass die Stabilisierung des Rubels zwar dafür sorgt, dass die Inflation nicht so dramatisch ausfallen wird, wie Experten vorhergesagt haben.

Doch die Preise steigen allein schon deshalb, weil viele Produkte durch die Sanktionen und den freiwilligen Rückzug westlicher Unternehmen knapp werden. Konzerne wie Apple oder Samsung liefern keine Smartphones und Computer mehr. Die Inflation lag in Russland laut Zahlen vom 25. März bei etwas über 15 Prozent. Fehlende Ersatzteile belasten auch die Industrie.

Sanktionen treffen zudem den Lebensstil der Mittelschicht: Durch Flugverbote für russische Airlines sowie die Aufkündigung der Leasingverträge für Flugzeuge aus dem Westen sind selbst noch erreichbare Destinationen für viele Russen de facto nicht erreichbar. Der Preis für Flüge in die Türkei, die liebsten Urlaubsdestination der Russen, hat sich verdoppelt. Dazu kommt, dass westliche Firmen wie McDonald’s ihre Pforten geschlossen haben. (András Szigetvari, 2.4.2022)