Die Parlamentswahl in Ungarn am Sonntag entscheidet darüber, ob Ministerpräsident und Rechtspopulist Viktor Orbán seine zunehmend autoritäre Herrschaft über das Land fortsetzen kann.

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Rund acht Millionen Ungarn sind am Sonntag dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Sie entscheiden, ob der Rechtspopulist Viktor Orbán seine zunehmend autoritäre Herrschaft über das Land fortsetzen kann.

In den vergangenen zwölf Jahren hat er die Demokratie und den Rechtsstaat ausgehöhlt, die reichweitenstärksten Medien unter seine Kontrolle gebracht und den Spielraum konkurrierender politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte massiv eingeschränkt. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine wirkt aber auch Orbáns enges Verhältnis zum Kremlherrn Wladimir Putin mehr als prekär.

Dabei geht es nicht nur um Erdgas, sondern auch um handfeste Politik und Ideologie. Von Orbán geschaffene Gesetze zur Unterdrückung von Zivilorganisationen oder zur Marginalisierung sexueller Minderheiten folgen in Inhalt und Diktion auf verblüffende Weise russischen Vorbildern.

Ungleichgewichtigkeiten im Wahlsystem

Letzte Meinungsumfragen neigen dazu, Orbáns Fidesz-Partei einen Vorsprung von zwei bis fünf Prozentpunkten einzuräumen. Angesichts der Ungleichgewichtigkeiten des Wahlsystems, das Orbán auf seine Bedürfnisse zugeschnitten hat, würde ein derartiger Ausgang der Regierungspartei eine komfortable Mehrheit im nächsten Parlament bescheren – wenn auch keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit wie nach den Wahlen von 2010, 2014 und 2018. Bei der letzten Wahl reichten sogar 48 Prozent der abgegebenen Stimmen dafür. Weil die Opposition damals gespalten war, wirkten sich die mehrheitswahlrechtlichen Elemente des Wahlsystems ausschließlich zugunsten der Fidesz-Partei aus.

Die Opposition hat daraus gelernt und sich zusammengeschlossen. Sie tritt nun mit einer gemeinsamen Parteiliste, gemeinsamen Direktkandidaten und einem gemeinsamen Spitzenkandidaten an, dem parteilosen Konservativen Péter Márki-Zay. Das Bündnis umfasst sechs sehr unterschiedliche Parteien: die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP), die sozialdemokratische Demokratische Konvention (DK), die grün-linke Dialog-Partei, die grüne Formation "Politik kann anders sein" (LMP), die liberale Momentum-Partei und die ehemals rechtsradikale, heute rechtsnationale Jobbik ("Die Besseren").

Diese Gruppierungen einigten sich auch auf ein gemeinsames Programm. Unter anderem sieht es die Wiederherstellung der Demokratie und die Erneuerung der Partnerschaft mit der EU und den USA vor.

Doch Orbán zeigt keine Anstalten, sich die Macht aus der Hand nehmen zu lassen. Er nutzt alle staatlichen Ressourcen, um seine Botschaften durchzudrücken und die der Opposition zu verdrängen.

Orbáns Übergewicht

Bei der Präsenz in den Medien und auf Plakatflächen haben Wahlforscher ein Übergewicht von acht bis zehn zu eins zugunsten Orbáns ermittelt. Dabei erscheint es fast schon als ein Wunder, dass das Oppositionsbündnis in die Nähe der 50-Prozent-Marke gelangte.

Anlass zur Besorgnis geben auch Anzeichen von Wahlbetrug. Unter anderen sind mehrere Hunderttausend Doppelstaatsbürger in den Nachbarländern ohne Wohnsitz in Ungarn wahlberechtigt. Da es keine aktualisierten Register für diese Menschen gibt, dürften tausende Tote die Unterlagen für die Briefwahl zugesandt bekommen haben. Wer ihre Stimmzettel eventuell ausfüllt, kontrolliert niemand.

Im Inland könnte organisierter Betrug das Ergebnis in unentschiedenen Direktwahlkreisen zugunsten der Fidesz-Partei wenden. So hat die Orbán-Regierung schon vor der Wahl die Anmeldung von Scheinadressen und das Abfotografieren des Stimmzettels in der Wahlkabine legalisiert. Beobachter befürchten deshalb "Abstimmungstourismus" und Stimmkauf im großen Stil. Es bleibt abzuwarten, ob eine solche Wahl am Ende als frei wird bezeichnet werden können. (Gregor Mayer aus Budapest, 3.4.2022)