Der 69-jährige Khan sieht sich in Pakistan wachsender Kritik wegen der wirtschaftlichen Lage ausgesetzt.

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Islamabad – In Pakistan spitzt sich der Machtkampf zwischen Regierung und Opposition zu: Für Sonntag war die Abhaltung eines Misstrauensvotums gegen Premierminister Imran Khan angesetzt, Beobachter waren davon ausgegangen, dass Khan dieses verlieren wird. Der stellvertretende Parlamentspräsident jedoch hielt die Abstimmung wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit nicht ab. Nur wenig später löste Präsident des Landes, Arif Alvi, nach Anraten von Premier Khan das Parlament auf. Die Opposition will nun den Obersten Gerichtshof anrufen.

Der Staatssekretär im Ministerium für Rundfunk und Informationen, Farrukh Habib, kündigte Neuwahlen innerhalb von 90 Tagen an. Entscheiden muss dies allerdings Präsident Alvi. Informationsminister Fawad Chaudhry erklärte, Khans Kabinett sei aufgelöst worden, Khan selber bleibe aber Regierungschef.

Der Chef der oppositionellen Pakistanischen Volkspartei, Bilawal Bhutto Zardari, kündigte umgehend einen Sitzstreik der Opposition im Parlament an. Außerdem soll die Absetzung des Misstrauensvotums vor dem Verfassungsgericht angefochten werden.

Khan sieht Verschwörung

Parlamentsvize Qasim Suri hatte sich mit folgender Begründung geweigert, die mit Spannung erwartete Misstrauensabstimmung gegen Khan abzuhalten: Die Opposition habe mit einer ausländischen Macht den Plan ausgeheckt, Khan zu Fall zu bringen. Er wiederholte damit jüngste Anschuldigungen von Khan in Richtung Washington. Seit sich abzeichnete, dass er das Misstrauensvotum verlieren könnte, setzte Khan auf anti-westliche Rhetorik, um für sich Stimmung zu machen. Am Freitag hatte er den USA offen vorgeworfen, sich mit seinen politischen Gegnern verschworen zu haben, um seine Regierung zu stürzen. Er begründete dies damit, dass er eine unabhängige Außenpolitik führe und nannte auch einen kürzlich abgehaltenen Besuch in der russischen Hauptstadt Moskau, wo er Präsident Wladimir Putin traf, als Grund.

Die Allianz an Oppositionspolitikern, die das Misstrauensvotum vorantrieb, hatte Khan in den vergangenen Monaten vor allem schlechte Regierungsführung und Inkompetenz in Wirtschaftsfragen vorgeworfen. Zuletzt waren die Preise für Lebensmittel, Benzin oder Gas in dem Land mit rund 220 Millionen Einwohnern massiv gestiegen. Die Inflation erreichte im Jänner 13 Prozent.

Oberster Gerichtshof möglicherweise am Zug

Mehrere Beobachter und Experten halten das Urteil des Parlamentssprechers und die anschließende Auflösung des Parlaments für verfassungswidrig und sehen die Möglichkeit einer Aufhebung durch den Obersten Gerichtshof. Der pakistanische Oberste Richter, Umar Atta Bandial, berief noch am Sonntag ein Treffen mit Richterkollegen ein, um zu erörtern, ob und wie der Oberste Gerichtshof über die Pattsituation entscheiden könne.

Khan war seinen Posten als Ministerpräsident 2018 mit dem Versprechen angetreten, das Land in einen "islamischen Wohlfahrtsstaat" zu verwandeln, die Armut und Korruption zu bekämpfen und gleichzeitig den Einfluss der zwei Parteien Muslimliga (PLM-N) und Volkspartei (PPP) aufzubrechen, die sich lange an der Macht abgewechselt hatten.

Dann kam die Corona-Pandemie

Einen Strich durch die Rechnung machte ihm die Corona-Pandemie, die dem Land eine massive Wirtschaftskrise bescherte. Statt das Land aus der Misere zu führen, musste Khan zuletzt erneut strenge Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit neuen Steuern und Steuererhöhungen erfüllen, um wieder an Gelder zu kommen. Auch die Unterstützungen mit Geldern aus befreundeten Staaten wie Saudi-Arabien reichten nicht aus. Im Dezember landete seine Partei Tehreek-e Insaf (PTI) bei lokalen Wahlen in der PTI-Hochburg nur auf dem zweiten Platz, eine demütigende Niederlage für Khan. Zuletzt wurden politische Gegner immer stärker verfolgt und die Medienfreiheit eingeschränkt.

Zudem mehrten sich die Anzeichen, dass Khan die Unterstützung des in Pakistan mächtigen Militärs verloren hat. Dem Militär war immer zugeschrieben worden, Khan mit an die Macht gebracht zu haben. Insgesamt verliefen die Beziehungen zwischen Militär und der zivilen Führung unter Khan vergleichsweise reibungslos. Allerdings erwähnen Beobachter immer wieder einen Streit Khans im Vorjahr mit dem Armeechef Qamar Javed Bajwa über die Ernennung des nächsten Geheimdienstchefs, der zu einem Bruch geführt haben könnte.

Beobachter waren sich uneinig, wie das Militär auf die Krise reagieren wird. Manche äußerten Befürchtungen, dass eine anhaltende Pattsituation es zum Eingreifen zwingen könnte. Andere hielten dies für unwahrscheinlich. Die Armee würde es vielmehr vorziehen, wenn die Zivilisten für die aktuelle wirtschaftliche Misere den Kopf hinhalten, schrieb etwa der Pakistan-Experte Michael Kugelman in "Foreign Policy". Die Atommacht mit mehr als 220 Millionen Einwohnern war mehr als die Hälfte ihres Bestehens vom Militär regiert worden, das sich vier Mal an die Macht geputscht hatte. (APA,3.4.2022)