In den Tagen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine waren die meisten Beobachter überzeugt, dass Wladimir Putins Armee im Eiltempo das Nachbarland erobern würde, aber dass die westlichen Sanktionen seine Macht erschüttern würden.

Mehr als einen Monat später ist alles anders: Die Ukraine hat sich nicht nur effektiv gegen die russische Übermacht gewehrt, sondern sie aus dem Gebiet der Hauptstadt Kiew vertrieben. Dafür sitzt Putin in Moskau offenbar fest im Sattel.

Die Maßnahmen der USA und der EU haben die russische Wirtschaft zwar hart getroffen, aber nicht zum Kollaps geführt. Und nachdem ein guter Teil der Russinnen und Russen, die sich offen gegen den Krieg aussprechen, vertrieben oder verhaftet wurde, scheint der Kreml die Bevölkerung mit seiner Propagandamaschine auf Linie gebracht zu haben. Sie glauben die Lügen vom Angriff des Westens auf Russland und der begrenzten Spezialoperation gegen die "Nazis" in der Ukraine.

Sanktionen können Putin nicht stoppen; die ukrainische Armee kann es sehr wohl.
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Sanktionen waren noch nie ein mächtiges Instrument der Außenpolitik, und sie sind es auch diesmal nicht. Sie machen betroffene Staaten zwar langfristig ärmer, aber treffen vornehmlich die Schwächsten und können kurzfristig keine politische Wende erzwingen. Auch eine weitere Verschärfung der Maßnahmen gegen Russland würde derzeit wenig bringen. Selbst bei einem totalen Öl- und Gasboykott des Westens würde Russland das Geld für die Kriegsführung nicht sofort ausgehen, und ein solcher Schritt ist in der EU angesichts der Abhängigkeit vom russischen Gas ohnehin nicht durchzusetzen.

Militärischer Widerstand

Sanktionen können Putin nicht stoppen; die ukrainische Armee kann es sehr wohl, wenn sie vom Westen die dafür nötigen Waffen erhält. Das hat sie mit ihrem Sieg in der Schlacht um Kiew eindrucksvoll bewiesen.

Nun muss die Ukraine in die Lage versetzt werden, nicht nur neue russische Vorstöße im Osten und Süden abzuwehren, sondern bereits besetzte Gebiete zurückzuerobern, um die dortige Zivilbevölkerung vor Kriegsverbrechen zu schützen. Dafür werden auch schwere Waffen wie Panzer und Artilleriegeschütze, vielleicht auch Jets, benötigt. Die Massaker an ukrainischen Männern im Kiewer Vorort Butscha zeigen die Dringlichkeit solcher Lieferungen. Hingegen werden Drohungen der EU mit internationalen Gerichten das russische Morden nicht stoppen.

Weitere militärische Zugewinne der Ukraine könnten auch ein Ende des Krieges näher bringen. Wenn Putin, wie es scheint, um seine Macht nicht fürchten muss, kann er selbst minimale Erfolge als Sieg verkaufen und den Krieg beenden – vielleicht bis zum 9. Mai, dem Jahrestags des sowjetischen Sieges über das NS-Regime. Niemand wird Putin laut fragen, ob sich das alles ausgezahlt hat.

Der Verhandlungsspielraum des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist im Vergleich dazu eingeschränkt. Gerade wegen der Stärke seiner Truppen kann er kaum territoriale Zugeständnisse machen, die über den Status quo vor dem 24. Februar hinausgehen. Je barbarischer die russischen Angreifer vorgehen, desto weniger Kompromissbereitschaft wird man in Kiew finden.

Die Nato kann nicht direkt eingreifen, um diese Verbrechen zu beenden. Das Risiko wäre zu groß. Aber sie kann den Ukrainern alles geben, was diese brauchen, um ihr Land zu befreien. (Eric Frey, 3.4.2022)