Europapolitiker Hannes Swoboda fordert im Gastblog, dass der Kontakt zu den Russen nicht abgebrochen, sondern eher verstärkt werden soll.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine bringt unermessliches Leid für die Menschen in der Ukraine. Die russische Intervention ist durch nichts gerechtfertigt. Sie entspringt der irrationalen und imperialen Fantasie des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seit Jahren fantasiert er schon von der Einheit des russischen Volkes mit dem ukrainischen. Gleichzeitig aber will er über das Schicksal und die Rechte der Ukrainerinnen und Ukrainer bestimmen.

Dabei wird Putin durch eine Schar von Ideologen unterstützt und bekräftigt. Sie alle stehen in der Tradition eines imperialen und expansiven Russland, das immer wieder Gebiete annektiert hat und sich als Vertreter und sogar als Rächer des "Christentums" gesehen hat. Und auch heute noch gibt es diese rückwärts gewandte Verbindung zwischen Staat und orthodoxer Kirche. Deren Oberhaupt und Putin verstehen sich sehr gut – auch in Bezug auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Krieg gegen die Ukraine hat also nichts mit Angst vor der Nato-Expansion zu tun oder mit der Bedrohung durch die "Nazis in Kiew". Wenn man von "Nazis" reden kann, dann eher im Zusammenhang mit den selbsternannten Herrschern im Donbass, die sich mithilfe Russlands von der Ukraine abgespalten haben. Der Krieg ist eindeutig ein revanchistischer. Putin möchte an den "undankbaren" Ukrainern und Ukrainerinnen Rache nehmen, da sie sich eher am Westen orientieren als an Russland. Und er möchte an jene Zaren anschließen, die Russland durch Eroberungen groß gemacht haben.

Russland braucht einen demokratischen Staat

Wie alle Kriege erzeugt er unbändigen Hass gegen den Zerstörer und Eroberer. Die massive Bombardierung ziviler Ziele muss dazu führen. Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow, der selbst in russischer Sprache schreibt, meint dazu: "Der totale Krieg, den Putin der Ukraine erklärt hat, impliziert letztlich, dass die Ukraine mitsamt ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ihrer Sprache aufhören soll zu existieren."

Dennoch muss man auch heute schon überlegen, wie man die letztendlich "gemeinsame" Zukunft auf dem gemeinsamen Kontinent, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft, gestalten kann. Heute werden nicht nur viele wirtschaftliche Beziehungen gekappt, sondern auch kulturelle. So meinte der ukrainische Literaturwissenschafter Petro Rychlo unlängst in der "FAZ": "Bevor wir überhaupt wieder über Beziehungen reden können, müssen die Russen einen demokratischen Staat aufbauen." Und an einer anderen Stelle in diesem Interview meinte er: "Alle russischsprachigen Menschen in der Ukraine werden sich fragen müssen, ob sie noch ein moralisches Recht haben, Russisch zu sprechen", und zuletzt: "Ich werde den Russen nie verzeihen, was sie diesem Land angetan haben."

Petro Rychlo, Andrej Kurkow und viele andere schieben die Schuld an diesem Krieg nicht nur Putin zu, sie machen Russland als solches für den Krieg verantwortlich. Bedenkt man die lange russische Geschichte, die immer wieder die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine – neben vielen anderen Nachbarn – unterdrückt hat, so ist das durchaus nachvollziehbar. Im Fall der Ukraine kommt noch das Aushungern der Bevölkerung durch Stalin hinzu, der sogenannte Holodomor. Und auch die starke, aber keineswegs einhellige Unterstützung des aktuellen Krieges durch die russische Bevölkerung wird durch die ukrainischen Kulturschaffenden erwähnt und kritisiert.

Kontakt nicht abbrechen lassen

Aber die Unterstützung ist eben nicht einheitlich. Es gibt Stimmen des Protests, und das ist angesichts der medialen Dominanz durch Putin und der drakonischen Strafen durchaus anzuerkennen. Wir dürfen nicht vergessen, wie Putin systematisch die Medienfreiheit unterdrückt und den Staat und die Gesellschaft entpolitisiert. Wir alle wünschen uns eine große Welle des Protests und eine radikale politische Änderung. Dabei geht es bei einer solchen "Revolution" sicherlich – das unterstreichen die ukrainischen Kulturschaffenden mit Recht – nicht nur um Putin. Die gerade auch in der russischen – jedenfalls der klassischen – Literatur weitverbreitete Überheblichkeit gegenüber dem ukrainischen Volk und dessen Sprache, die oft als Bauernsprache abgetan wurde, müsste überwunden werden. Aber das ist ein langer und schwieriger Prozess. Der kann sicher nicht von außen her in Gang gesetzt werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Demonstranten protestierten Ende Februar in St. Petersburg gegen den Ukraine-Krieg. Offene Kritik am Krieg ist in Russland mittlerweile verboten und wird mit drakonischen Strafen sanktioniert.
Foto: AP/Dmitri Lovetsky

Dazu brauchen wir die aufgeklärten und kritischen Menschen in Russland selbst, vor allem die Kulturschaffenden. Schon aus diesem Grund dürfen wir den Kontakt zu "den Russen" nicht abbrechen, sondern müssen ihn sogar verstärken. Im gemeinsamen Europa dürfen wir nicht einen neuen Nationalismus aufkommen lassen. Der russischen Überheblichkeit, die von manchen als spezielle Form des Rassismus bezeichnet wird, darf nicht ein ukrainischer oder europäischer Rassismus gegenübergestellt werden. So verständlich und wichtig ein erstarktes Nationalbewusstsein in der Ukraine ist, so muss Europa darauf beharren, dass Hass, Rassismus und Nationalismus immer wieder zu Unfrieden und Krieg führen. Es ist auch die Verantwortung der Europäischen Union, zum Abbau von Spannungen und zur Aussöhnung zwischen den Völkern beizutragen. Und je mehr Menschen in Russland dafür gewonnen werden können, desto mehr wird nicht nur Europa insgesamt, sondern vor allem die Ukraine davon profitieren. Ja, wir sollen und müssen mit Russen reden, mit denen, die Putin gegenüber kritisch eingestellt sind, aber auch mit jenen, die offen sind und auf Argumente hören. (Hannes Swoboda, 7.4.2022)