"Sie ist wunderschön", schwärmt der Arzt über Emily Ratajkowski nach ihrer Geburt. "Du warst so ein schönes Baby", sagt rückblickend auch die Mutter Kathleen Balgley. Schon im ersten Kapitel ihres Buchs "My Body" wird klar: Die in London geborene US-Amerikanerin Emily Ratajkowski wächst mit der Gewissheit auf, gut auszusehen: "Schönheit war für mich ein Weg, etwas Besonderes zu sein." Was lag da näher als Model zu werden? Mit 14 ist Ratajkowski bei der Agentur Ford Models unter Vertrag, nach ihrem Highschool-Abschluss studiert sie ein Jahr lang an der University of California in Los Angeles Kunstwissenschaft.

Ihren Durchbruch aber erlebt sie ausgerechnet mit einem Auftritt als Tänzerin in einem so sexistischen wie erfolgreichen Musikvideo. 2013 tritt sie in Robin Thickes, Pharrel Williams und T.I.’s Allerweltshit "Blurred Lines" mit zwei anderen schönen Frauen in nichts als einen nudefarbenen String gekleidet auf. Emily Ratajkowski wird von Thicke am Set belästigt, hält aber erst einmal still. Das Video hat sie schließlich berühmt gemacht. Die sexy Vermarktung ihres Körpers sei ein selbstbestimmter Akt, glaubt Ratajkowski damals: Sie verdient gutes Geld, wird eine wohlhabende Geschäftsfrau mit einem eigenen Bademodenlabel, dann auch Schauspielerin, 29 Millionen Menschen folgen ihr heute auf Instagram.

Das Model Emily Ratajkowski hat 2021 mit dem Buch "My Body" einen "New York Times"-Bestseller geschrieben. Jetzt erschien es auf Deutsch.
Foto: Penguin-Verlag

Den Spieß umdrehen

Heute kommentiert die US-Amerikanerin ihren folgenschweren Auftritt völlig anders: "Als nackte Tänzerin in seinem (Robin Thickes, Anm.) Video hatte ich keine echte Macht. Ich war nichts als ein gemietetes Mannequin." Ihre Kursänderung hatte sich angekündigt. Bereits im Herbst 2020 veröffentlichte Ratajkowski im Web-Magazin "The Cut des New York Magazine" einen Essay über den Versuch einer Selbstermächtigung, der viral Wellen schlug. Ein Anlass für den Text: Der bekannte US-Künstler Richard Prince hatte ein Insta-Foto des Models von einem Bademodenshooting einfach so für ein Kunstwerk verwendet und für je rund 80.000 Dollar verkauft. Das Model war 2014 für den Job mit 150 Dollar abgefertigt worden. Jetzt will Ratajkowski den Spieß umdrehen – und zwar auf smarte Weise. Sie kauft zwei von Princes Bildern, macht Fotos davon, die sie selbst bei Sotheby’s vermarktet. Der Essay wird zum Anlass für das Buch "The Body", das Ende vergangenen Jahres in den USA erschien, zum Bestseller wurde und nun in deutscher Übersetzung vorliegt.

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"Schönheit war für mich ein Weg, etwas Besonderes zu sein", sagt Emily Ratajkowski.
Foto: Andy Kropa /Invision /AP

Als roter Faden zieht sich durch die zwölf Kapitel die obsessive, unendliche Beschäftigung mit dem eigenen Äußeren: Die Autorin schildert sie so unverstellt und ehrlich, dass es wehtut: "Online betrachte ich Fotos von mir auf dem roten Teppich oder Bilder, die Paparazzi von mir gemacht haben. (...) Ich zoome auf mein Gesicht und versuche zu ergründen, ob ich tatsächlich schön bin."

Es dreht sich alles um den schmalen Grat zwischen Kontrolle und Machtlosigkeit. "Hatte Kim (Kardashian) mehr Macht, als sie im Anzug das Weiße Haus besuchte oder als sie mit der Veröffentlichung ihres berüchtigten Sextapes Geld verdiente und zur meistgegoogelten Frau der Welt wurde?" Wer sich allerdings Antworten erwartet, ist bei "My Body" an der falschen Adresse. (Anne Feldkamp, 12.4.2022)