Bild vom "March for Women's Liberation" im Jahr 1971 in New York. Birgit Buchinger: "Feministinnen sind dazu aufgerufen, ihre Geschichten zu erzählen."

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Die Feministinnen der Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahren genießen derzeit nicht den besten Ruf. Zu weiß, zu wenig antirassistisch, zu wenig queer – so könnte man die Stimmung gegen den Feminismus der zweiten Welle umreißen. Dass sich Akteur:innen einer politischen Bewegung von vorangehenden Generationen distanzieren, gehört wohl dazu – trotzdem müsste gerade im Feminismus nicht jedes Rad neu erfunden werden, denn es gibt viel Erfahrung und eine dichte Geschichte der Frauenbewegung, aus der Jüngere lernen könnten. Für das Buch "Kämpferinnen" haben jüngere Feministinnen ältere Wegbereiterinnen ab 75 porträtiert – um den aktivistischen Faden weiterzuspinnen.

STANDARD: Für "Kämpferinnen" haben jüngere mit älteren Feministinnen gesprochen. Sind diese Generationen zu wenig im Gespräch?

Buchinger: Es scheint oft so, dass wir bei der Frauenbewegung immer wieder von vorne anfangen müssen, dass der Faden zu bereits existierender politischer Arbeit und Erfahrungen zu reißen droht – das schwächt unsere gesamte Gesellschaft, und das zu verhindern war unser Anliegen.

STANDARD: Wie steht es um diesen Faden derzeit?

Braschel: Ich denke, die Bedrohungslage für politische Kämpfe ändert sich ständig, trotzdem sind diese Kämpfe immer da, und deswegen ist es so wichtig, diese Fäden zu stärken. Die Kommerzialisierung von feministischen Kämpfen ist auf jeden Fall etwas, was auf sehr vielen Ebenen stattfindet, und dadurch wird feministischer Aktivismus zwar oft zugänglicher, gerade für Jüngere. Aber es passiert dabei natürlich eine inhaltliche Aushöhlung.

STANDARD: Frau Buchinger, Sie schreiben, dass viele der jüngeren Frauen die politische Arbeit älterer Feministinnen gar nicht kennen. Ist es ein Versäumnis des Feminismus, dass viele das Gefühl haben, immer von vorne beginnen zu müssen?

Buchinger: Ich glaube, dass wir als Feministinnen dazu aufgerufen sind, unsere Geschichten zu erzählen. In einem Seminar meinte eine Studentin mal, wie toll nicht eine Frauendemo in Salzburg wäre – und ich erinnerte mich daran, dass wir am Beginn der 1980er-Jahre Frauendemos hatten, mit über 1.000 Frauen. Doch woher sollten Jüngere das auch wissen, wenn diese Geschichten nicht aufgeschrieben wurden? Einerseits sind wir verantwortlich für das Erzählen dieser Geschichten, zum anderen glaube ich, dass viele jüngere Frauen Angst vor einem Old-School-Touch haben, dass sie Frauen begegnen könnten, die nur einen Feminismus vertreten, der nicht intersektional ist. Da gibt es einfach viel zu klären. Wir haben versucht, mit dem Buch und den verschiedensten Zugängen genau dazu etwas beizutragen.

Birgit Buchinger lebt und arbeitet als Sozialforscherin und Organisationsentwicklerin in Salzburg. Sie ist Mitherausgeberin von "Kämpferinnen".
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STANDARD: Frau Braschel, Sie sind eine der jungen Generation. Wie ging es Ihnen? Hatten Sie Angst vor einem schlechten Image?

Braschel: Es gibt viel notwendige Kritik an und zwischen feministischen Bewegungen, die reift und wächst. Dass Transpersonen exkludierende Räume oder ein paternalistischer Blick auf Sexarbeit kritisch thematisiert werden – das ist mir zum Beispiel sehr wichtig, denn das ist nicht mein Feminismus. Da gab es bei mir tatsächlich vorab Befürchtungen. Es war für mich aber letztlich auch dahingehend lehrreich, meinen eigenen Ageismus, was feministische Positionen angeht, zu reflektieren. Also warum presse ich ältere Feministinnen schneller in bestimmte Kategorien und denke mir, eine Zusammenarbeit könnte mühsam werden? Von Erica Fischer, die ich porträtiert habe, habe ich viel über die Bereitschaft gelernt, sich beständig auf etwas Neues und die eigenen Lernprozesse einzulassen. Das finde ich sehr wertvoll, und daran fehlt es oft. Wir müssen uns klarmachen, dass wir auf Schultern von anderen stehen und dass unser Wissen und die Errungenschaften, mit denen wir aufgewachsen sind, nicht von irgendwo kommen. Es sind die Errungenschaften vieler feministischer Frauen.

STANDARD: Geht es also auch um den vielzitierten Generationenkonflikt im Feminismus?

Braschel: Es geht darum anzuerkennen, was Feministinnen vor uns geleistet haben, und nichtsdestotrotz produktive Kritik an überholten Positionen zu üben. Wenn wir auf die lange Geschichte des Feminismus schauen, sehen wir viele schöne und auch sehr bittere Dinge: dass Kämpfe schon lange gefochten werden und sich teils trotzdem kaum etwas bewegt. Aber eben auch, dass es eine Verbundenheit gibt – auch entlang von Wut. Die ist ein wichtiger Motor, das zieht sich auch durch alle Porträts.

Birgit Bucheringer, Renate Böhm, Ela Großmann (Hg.), "Kämpferinnen". 22 Euro / 264 Seiten. Mandelbaum, 2022
Foto: Mandelbaum Verlag

STANDARD: Was ist für die jüngere Generation von Feministinnen schwieriger?

Buchinger: Der Bologna-Prozess hat zum Beispiel sicher nicht die Kritik-, Analyse- und Denkfähigkeit an Unis europaweit gestärkt. Ich habe mein Studium etwa mit der Besetzung des Rektorats wegen der damaligen Studiennovelle begonnen, ich hatte im ersten Semester kaum Lehrveranstaltungen, weil die alle bestreikt wurden. Ich kam aber mit verschiedensten Gruppen in Kontakt – das war für mich als Tochter aus behütetem Hause unglaublich spannend. Es war ein Gefühl von Aufbruch, und es gab unzählige Aktivitäten, Aktionen und Kollektive – all das hat uns sehr gestärkt.

STANDARD: Über die Geschichte der Frauenbewegung Bescheid zu wissen gehört ja noch nicht zum Verständnis von Allgemeinbildung – obwohl sie für unseren Alltag eine enorme Bedeutung hat.

Braschel: Politische Bildung ist noch immer sehr dünn gesät, und feministische Bildung noch viel dünner. Es liegt einfach oft am Glück, ob man in ein politisches Umfeld kommt, und an strukturellen Bedingungen, ob man Zugänge und Ressourcen für politische Arbeit bekommt. An der Uni haben es Menschen, die aus einem Arbeiter:innen-Umfeld kommen, die neben der Uni lohnarbeiten müssen oder Betreuungspflichten haben, enorm schwer – abseits von Lohnarbeit und/oder Studium noch politisch zu arbeiten ist oft kaum möglich.

Katharina Braschel ist Schriftstellerin und lebt in Wien. Ihr Debüt "es fehlt viel" erschien 2020 in der Edition Mosaik.
Foto: Mark Daniel Prohaska

STANDARD: Beide Generationen aus Ihrem Buch haben in vielen Fällen mehr Zeit für Aktivismus: Ältere, weil sie schon im Ruhestand sind, Jüngere, weil sie noch kein Kinder und/oder Vollzeitjobs haben und vielleicht noch in der Ausbildung sind. Wie erreicht der Feminismus aber auch alle anderen, die auf so vielen Ebenen von den Errungenschaften des Feminismus profitieren und die noch offenen Probleme gleichzeitig sehr stark spüren – Stichwort Kinderbetreuung, die man als Fortschritt und gleichzeitig als sehr ausbaufähig betrachten kann?

Buchinger: Also wenn wir jetzt an die Frauen in der Rushhour ihres Lebens denken, dann wäre es genau das Falsche, von ihnen noch mehr zu verlangen, sie sind schon genug gefordert. Es braucht andere Gesellschaftsentwürfe, eine andere Art von Arbeitswelt. Ein Modell wäre etwa die "Vier-in-einem-Perspektive", wie sie Frigga Haug vorschlägt: Wir sollten den Tag auf bezahlte Erwerbsarbeit, unbezahlte Sorgearbeit, Selbstarbeit und politisches zivilgesellschaftliches Engagement aufteilen – jeweils vier Stunden. Das klingt revolutionär, ist aber denkbar. Es würde dazu beitragen, dass diese ständige Überforderung verhindert wird. Wir müssen das Leben in den Mittelpunkt stellen. Wirtschaften für das Leben und nicht Leben für die Wirtschaft.

Braschel: In der allerersten Ausgabe der feministischen Zeitschrift "AUF" wurde schon über WGs als ideale Wohnform geschrieben. Angesichts der Wohnungspreise und der steigenden Mieten müssen wir uns darüber sowieso verstärkt Gedanken machen. Zum Beispiel entscheiden sich jetzt gerade in meinem Alter viele dazu, mit ihrem Partner zusammenzuziehen – oft aufgrund dessen, dass es scheinbar einfacher ist. Doch für Frauen ist das oft eine Falle. Wir müssen Wohnen also anders denken, das ist eine der Aufgaben, denen wir uns widmen müssen.

Buchinger: Das Private ist nicht nur politisch, es ist auch ökonomisch, wie Elisabeth Stiefel in unserem "Kämpferinnen"-Buch konkretisiert. Die Armutsgefährdung von Frauen hat durch Covid nochmals zugenommen – das ist eine Katastrophe. Interessant ist, dass verschiedenste Umfragen im Rahmen des Arbeitsklimaindex seit Beginn der 1990er eine Zufriedenheit der Frauen mit ihrem Verdienst abbildeten. Jetzt zeigen diese Umfragen aber, dass Frauen sehr klar sehen, dass sie Verliererinnen dieser Krise sind und die Maßnahmen keine Abfederung für sie brachten. Dieses klare Bewusstsein in ein politisches Bewusstsein umzuwandeln – das wäre jetzt zentral. (Beate Hausbichler, 5.4.2022)