Wien – Nach dem 17. Mai 2019 war in Österreich nichts mehr so, wie es gewesen war, zumindest nicht in der politischen Landschaft. Um 18 Uhr stellten die "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" Ausschnitte des Ibiza-Videos online, am nächsten Tag gab Vizekanzler Heinz-Christian Strache seinen Rücktritt bekannt, die türkis-blaue Regierung war Geschichte, Neuwahlen wurden angekündigt. In der neuen ORF-Doku "Der talentierte Herr Strache – Wie man (s)eine Karriere zerstört" – zu sehen am Mittwoch um 21.09 in ORF 1 – rollen Marlies Faulend, Elisabeth Pfneisl und Hubertus Schwarz das politische Leben von Heinz-Christian Strache auf und sprechen mit Gegnern, Weggefährten und Strache selbst über seinen Aufstieg und Fall. Zu Wort kommen auch "Ibiza-Detektiv" Julian Hessenthaler, Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus und auch Straches ehemaliger Sicherheitschef Oliver Ribarich, der seinen Ex-Chef schwer belastet.

"Das Leben ist eine Hochschaubahn, einmal ist man oben, einmal unten. Wichtig ist, dass man nicht unten liegen bleibt, wenn man fällt. Sondern immer wieder aufsteht", sagt Strache über sich. Freunde und Weggefährten haben sich von ihm abgewandt, die Ermittlungen gegen ihn gehen weiter. Allein in der Causa Spesenaffäre drohen ihm im Fall einer Verurteilung wegen Untreue bis zu zehn Jahre Haft.

"Das Leben ist eine Hochschaubahn, einmal ist man oben, einmal unten", sagt Heinz-Christian Strache in der ORF-Doku "Der talentierte Herr Strache – Wie man (s)eine Karriere zerstört".
Foto: ORF/HolyScreen Media

In verschiedenen Kapiteln erzählen die Macherinnen und Macher der Doku Straches politisches, aber auch privates Leben, beginnen mit der Beziehung zu seiner Mutter, seiner Internatszeit, der Mitgliedschaft bei der Vandalia, seiner Ausbildung zum Zahntechniker (Strache: "künstlerische Arbeit", die "Technik war für mich faszinierend"). Mit 19 Jahren wird er FPÖ-Mitglied, mit 21 Bezirksrat in seinem Heimatbezirk Wien-Landstraße. Sein politisches Vorbild war Jörg Haider, für Strache eine "faszinierende Persönlichkeit". "Der Haider war persönlich in hohem Maße illoyal, bei Strache hat man sich menschlich verlassen können", sagt Andreas Mölzer in der Doku. "Er war einer, der mit Menschen sehr gut sprechen und umgehen konnte, Leute auch überzeugen konnte, auch wenn sie vor dem Gespräch 180 Grad anders gedacht haben", sagt Gudenus über Strache.

Der Film erzählt Straches Aufstieg nach Knittelfeld (2002), zeichnet nach, wie die FPÖ unter ihm immer größere Erfolge einfuhr und schließlich 2017 in die Regierung kam. "Er war in der Regierung ein glattes Versagen", urteilt die Publizistin Anneliese Rohrer. Zu Wort kommt auch sein ehemaliger Bodyguard Ribarich, "das Mädchen für alles", wie er über sich selbst sagt. 2013 entdeckte er nach eigenen Angaben größere Geldbündel im Kofferraum von Straches Wagen, er begann, verschiedene Vorgänge zu dokumentieren, und hat so die Spendenaffäre ins Rollen gebracht und den Anlass für das Ibiza-Video gegeben. "Er hat nicht dokumentiert, er hat konstruiert", sagt dazu Strache. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Hessenthaler: "Leute in gehobenen Positionen tragen zu 99 Prozent gewisse Komplexe mit sich herum und sind es gewohnt, dass sie angehimmelt werden."
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Was folgte, war die verhängnisvolle Nacht auf Ibiza. Die Doku erzählt detailliert die Vorgeschichte, über "Ibiza-Detektiv" Hessenthaler – er wurde vor kurzem nicht rechtskräftig zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt –, über die Nacht und verschiedene Treffen zuvor. Und auch darüber, was in der Parteizentrale am 17. Mai 2019 kurz nach Veröffentlichung der Videoausschnitte los war. Ribarich: "Der Einzige, der das richtig analysiert hat, war Herbert Kickl, der sagte: So, das war es." Gudenus musste zurücktreten, die Freundschaft mit Strache zerbrach.

Der Ibiza-Fall umfasse mittlerweile 110 Aktenvorgänge, der zentrale Akt bestehe aus 2.300 Ordnungsnummern, insgesamt umfasse der Ibiza-Akt mittlerweile 60.000 Seiten, rechnet eine Sprecherin der Oberstaatsanwaltschaft vor. (red, 6.4.2022)