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Präsident Putin ist international isoliert – und auch im Inneren des Kreml spricht er sich mit kaum noch jemandem ab.

Foto: Sputnik/Mikhail Klimentyev/Kremlin via REUTERS/File Photo

Die Stimmung ist schlecht in Russland. Die Folgen der nun schon fast sechs Wochen andauernden "Spezialoperation", wie der Einmarsch in die Ukraine in Russland genannt werden muss, die Folgen der Sanktionen – viele Russen spüren sie bereits. Von einer Versorgungskrise kann keine Rede sein, doch die Preise im Supermarkt steigen, und vereinzelt gibt es, vor allem in der Provinz, Lücken in den Regalen. Viele Läden westlicher Modeketten sind geschlossen, McDonald's war gestern. Tausende, überwiegend jüngere Menschen denken ans Auswandern oder haben dies bereits getan.

Laut einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada glaubten im Oktober vergangenen Jahres noch 44 Prozent der Kleinanleger, dass es ihnen in diesem Jahr finanziell besser gehen würde. Jetzt sind es nur noch 13 Prozent. Ein dramatischer Vertrauensverlust. Hinzu kommt die Angst vieler junger Wehrpflichtiger, in den Krieg ziehen zu müssen. Am 1. April begann die Frühjahrsrekrutierung, über 130.000 Männer werden in diesem Jahr zum Wehrdienst eingezogen. Sie würden allerdings nicht an die "Brennpunkte", gemeint ist die Ukraine, geschickt, so die Nachrichtenagentur Interfax.

Militärstratege Philipp Eder über die Szenarien im Ukraine-Krieg.
DER STANDARD

Putin angeblich weiter beliebt

Ängste, Verunsicherung. Der Beliebtheit von Präsident Wladimir Putin scheint dies alles nicht zu schaden, so zeigen es die Umfragewerte. Doch die sind wenig aussagekräftig. Schuld seien die Amerikaner, der Westen, die Sanktionen seien ungerechtfertigt, Russland gehe seinen Weg, die "Spezialoperation" garantiere Sicherheit. So berichten es die Staatsmedien, und unabhängigen Journalismus gibt es fast nicht mehr in Russland.

Doch warum veranlasst Putin eine "Spezialoperation" mit unkalkulierbarem Risiko, auch für das eigene Land? Der Politologe Vladimir Gel'man, Professor für russische Politik an der Universität Helsinki, erforscht seit langem russische Machtstrukturen. Dem STANDARD sagt er, dass die "Operation lange geplant war, dass die diplomatischen Anstrengungen zuvor keine Rolle gespielt haben". Die Entscheidung für die Invasion in die Ukraine habe wohl Putin allein getroffen, beraten von seinen engsten Mitarbeitern. Außen vor waren viele, wohl auch Sergej Schoigu, der Verteidigungsminister und sein Generalstab. Was erklären könnte, warum die russische Armee schlechter vorankommt als geplant.

"Russischer Autoritarismus" als Ursache

Vladimir Gel'man kommt in seiner jüngsten Analyse, "Why the Kremlin invaded Ukraine", veröffentlicht im Online-Medium "Riddle", zum Schluss: "Es scheint, dass der wichtigste Faktor dieser fatalen Entscheidung im personalisierten Charakter des russischen Autoritarismus besteht. Autoritäre Regime leiden unter der fehlenden Meinungsfreiheit nicht weniger, sondern sogar mehr als die unter den autoritären Bedingungen lebende Bevölkerung. Der Mangel an alternativen Informationsquellen, die Unmöglichkeit, verschiedene Sichtweisen zu vergleichen und auf Basis ihrer Konkurrenz zu entscheiden, all das wirkt sich unheilvoll auf die Entscheidungsfindungen aus."

Am Grundprinzip der Entscheidungsfindung habe sich seit den Sowjetzeiten nur wenig geändert, so der Wissenschafter. "Solche Defekte bemängelten die sowjetischen Dissidenten schon vor mehr als einem halben Jahrhundert. Zudem werden in vielen Autokratien Expertenposten nach dem Prinzip "Nicht die Klugen brauchen wir, sondern die Treuen", besetzt: "Bei der Vorbereitung von Entscheidungen tritt die Kompetenz der Beamten hinter ihrer Loyalität zurück."

Bericht aus Butscha und Borodianka in der Nähe von Kiew.
DER STANDARD

Warum also hat Putin diese Entscheidung getroffen? "Man versucht die Ergebnisse des Kalten Krieges zu revidieren und die Macht Russlands als globaler und europäischer Gegenspieler wiederherzustellen", erklärt Gel'man. Aber es gebe auch eine innenpolitische Motivation. Die Vorstellung sei wohl gewesen, die Invasion würde ablaufen wie seinerzeit bei der Annexion der Halbinsel Krim, nur eben größer – aber genauso erfolgreich. Gel'man: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Militäroperation in der Ukraine von der russischen Regierung als Extrapolation ihrer bisherigen Erfahrung mit die Annexion der Krim 2014 verstanden wurde, die Putin laut eigenen Angaben im Alleingang beschlossen hatte. Man darf nicht vergessen, dass die Krim in den Augen der russischen Regierung eine Erfolgsgeschichte war: Die innenpolitische Unterstützung dieser Aktion fiel sehr stark aus, während die Ukraine nicht in der Lage war, sich dem Vorgehen des Kreml zu widersetzen, und die vom Westen verursachten Kosten schienen nicht hoch."

Keine Erfolgsgeschichte

Doch diesmal ist es, zumindest bisher, keine Erfolgsgeschichte. Der schnelle militärische Sieg ist ausgeblieben. Tausende Tote auf beiden Seiten. Die Sanktionen wirken, darunter leiden aber wohl weniger die Oligarchen und die Machtelite, sondern die eigene Bevölkerung. Gel'man: "Es ist noch nicht klar, welche Lehren die russische Führung aus dieser Erfahrung ziehen wird und ob ihre zukünftigen Entscheidungen sich als noch schädlicher herausstellen werden." (red, 6.4.2022)