Der aktuelle Stand der offiziellen Google-Software für Tablets: Android 12L.

Grafik: Google

2011 war ein wichtiges Jahr für Android-Tablets: Wenige Monate nach der Vorstellung des ersten iPads trat Google mit seinen Plänen in diesem Bereich vor die Weltöffentlichkeit. Unter dem Codenamen "Honeycomb" hatte das Unternehmen eine speziell für solche Geräte angepasste Variante seines mobilen Betriebssystems Android entwickelt.

In der Retrospektive wirkt Android 3 verblüffend zeitgemäß: Während Apples iPad-Software zunächst ganz auf die Konsumation von Inhalten ausgerichtet war und entsprechend ein sehr simples UI nutzte, übernahm Google einige vom Desktop bekannten Konzepte wie ein unten angebrachtes Panel samt Systembereich und Zugriff auf die Benachrichtigungen – all das durchaus mit dem Blick auf anspruchsvollere Aufgaben.

Ein Video aus uralten Zeiten – als Google es zum letzten Mal ernst meinte mit Android-Tablets.
Android Developers

Allein, der Glaube fehlt ...

Doch Googles Glaube an dieses Konzept – sowie das Interesse der Android-Partner – war offensichtlich äußerst gering. Und so wurden die Honeycomb-Konzepte in atemberaubender Geschwindigkeit wieder begraben. Bereits im folgenden Jahr stellte Google mit dem Nexus 7 sein erstes eigenes Tablet vor – und zwar mit einer Oberfläche, die sehr nahe am Smartphone-UI von Android 4 orientiert war.

Das lag nicht zuletzt daran, dass das Nexus 7 mit seinem 7-Zoll-Bildschirm ein vergleichsweise kleines Gerät war, viele der ursprünglich für 10-Zoll-Tablets vorgezeigten Konzepte hier also nur begrenzt Sinn ergaben. Zudem war es mit einem sehr günstigen Preis ganz auf den Unterhaltungsbereich ausgerichtet und nicht für den Produktiveinsatz gedacht. Dass Googles erstes Tablet sich dann auch noch sehr gute verkaufte, besiegelte das Schicksal der im Vorjahr gezeigten Oberfläche endgültig.

Nicht viel passiert

Bei Android 6 – hier auf einem Pixel C – war von einer Tablet-spezifischen Oberfläche nicht mehr viel übrig.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Seitdem hat sich rund um Android-Tablets verblüffend wenig getan – zumindest wenn es um Google selbst geht. Zwar hat das Unternehmen über die Jahre immer wieder versucht, App-Entwickler dazu zu bringen, ihre Programme auch für größere Displays anzupassen. Der Erfolg dieser Bemühungen ist aber mit dem Begriff "überschaubar" noch freundlich umschrieben.

Wirklich in dieses Thema investiert hat im Android-Umfeld eigentlich nur eine Firma: Samsung. Das Unternehmen liefert seit Jahren gute Hardware, die aber unter dem mangelnden App-Support und der fehlenden Unterstützung in der restlichen Android-Welt leidet. Amazon ist ebenfalls noch relativ erfolgreich, benutzt aber eine Google-freie Android-Abspaltung, die vor allem auf den Kauf von Inhalten bei Amazon selbst ausgerichtet ist.

Klare Verhältnisse

Das Ergebnis in Zahlen: Mit einem Marktanteil von 34,2 Prozent für das Jahr 2021 dominiert Apple den Tabletmarkt ganz klar. Zumal diese Zahlen auch noch in Relation zum Preis gesetzt werden müssen. Während Android-Tablets fast zur Gänze im Billigsegment angesiedelt sind, dominiert Apple das mittlere und hohe Preissegment fast im Alleingang – einzig Samsung mit seiner Tab-S-Reihe hält noch dagegen.

So ist es, und so war es schon seit Jahren. Doch nun schickt sich an, was viele bereits für unmöglich gehalten haben: Das Jahr 2022 könnte tatsächlich den großen Umbruch bei Android-Tablets bringen – oder zumindest die Hoffnung darauf. Jedenfalls ist bei Google in den vergangenen Monaten deutliche Bewegung zu erkennen.

Eine eigene Tablet-Abteilung

Das sichtbarste Zeichen dieser Entwicklung wurde Anfang des Jahres publik: Google hat nun eine eigene Tablet-Abteilung. Für deren Leitung hat man mit Rich Miner einen der Mitgründer von Android zurückgeholt. Der ließ zuletzt auch gleich mit starken Aussagen aufhorchen: So ist Miner nicht nur – wenn auch vielleicht etwas spät – der Überzeugung, dass Tablets die Zukunft sind, er prognostiziert gar, dass deren Verkäufe schon bald Laptops abhängen werden.

Eine Aussage, die übrigens weniger gewagt ist, als viele zunächst denken mögen. Im Vorjahr wurden laut den Marktforschern von IDC rund 170 Millionen Tablets verkauft, das spielt zumindest in einer ähnlichen Liga wie die 270 Millionen im selben Zeitraum abgesetzten Laptops. Dieser Vergleich verrät auch, dass Miner das entscheidende Wachstum im Produktivitätsbereich sieht – also genau dort, wo die Defizite von Android-Tablets derzeit am größten sind.

Android 12L ist ein erster Schritt

Das will Google nun aber offenbar ändern. Die ersten sichtbaren Fortschritte sind im vor wenigen Wochen veröffentlichten Android 12L zu sehen. Damit wurden diverse Verbesserungen für Tablets vorgenommen, etwa eine bessere Split-Screen-Ansicht oder auch App-Paare, Drag-&-Drop-Neuerungen sowie die Einführung eines Taskbars und die bessere Nutzung des gebotenen Platzes bei Systemeinstellungen und Benachrichtigungsbereich.

Android 12L brachte den ersten Schwall an Verbesserungen für Tablets.
Grafik: Google

Nun gibt es vieles davon schon jetzt bei Samsung-Geräten, die Relevanz dieser Anpassungen sollte trotzdem nicht unterschätzt werden. Immerhin gibt es damit eine gemeinsame Lösung für sämtliche Hersteller, an der sich dann auch App-Entwickler orientieren können – was für diese natürlich sehr viel interessanter ist, als den Alleingängen jedes einzelnen Anbieters zu folgen.

App-Entwicklern das Leben leichter machen

Mit diesen Entwicklungen gehen auch diverse neue Programmierschnittstellen einher, die es etwa leichter machen, mehrere "Aktivitäten" einer App nebeneinander anzuzeigen. Das ging zwar schon bisher, die Apps mussten dafür aber recht umfassend nach dem Fragments-Modell angepasst werden, was viele Entwickler scheuten.

Android 13 setzt fort

Doch das ist eben erst der Anfang, mit dem kommenden Android 13 dürfte es den nächsten Schwall an für Tablets relevanten Änderungen geben. So finden sich in dessen ersten Testversionen Hinweise auf einen Hub-Modus. Dessen Funktionalität kann man sich in etwa so vorstellen: Wird ein Tablet mit einer speziellen Ladestation verbunden, werden auf dem Gerät allerlei Informationen sowie Schaltflächen zur Steuerung des Smart Home angezeigt.

Wie das schlussendlich optisch aussehen wird, ist noch nicht ganz klar, die smarten Displays der Nest-Hub-Reihe dürften aber eine gute Orientierung darstellen. Das passt gut zu einer anderen Information, die zuletzt durchgesickert ist: Google soll nämlich an einer neuen Generation seines smarten Displays Nest Hub arbeiten, die sich von der Basisstation trennen lässt – und dann als einfaches Tablet fungieren soll. Dieses Gerät soll bereits im Lauf des Jahres vorgestellt werden, meint zumindest die Gerüchteküche zu wissen.

Andere Spuren

Ebenfalls in den Developer Previews zu Android zu finden: Hinweise auf einen speziellen Kindermodus, in dem Apps fix angepinnt werden können, also die Nutzung auf diese begrenzt werden kann. Zudem will Google offenbar zahlreiche Verbesserungen für die Handschrifteneingabe mittels Stift vornehmen und sucht für die Optimierung der eigenen Apps in diesem Bereich sogar nach Entwicklern.

Der "Entertainment Space" von Google ist speziell für Tablets gedacht.
Grafik: Google

Dazu kommt etwas, das bereits im Vorjahr angekündigt wurde, einige aber wohl schon wieder vergessen haben dürften. Unter den Namen Google Entertainment Space und Google Kids Space hat man eigene Oberflächen speziell für günstige Tablets vorgestellt, die quasi das Pendant zu den Angeboten von Amazon auf seinen Fire-Tablets bilden sollen.

Play Store

Eine weitere relevante Änderung betrifft den Play Store: Fortan sollen nämlich nicht nur für Tablets optimierte Apps speziell herausgestrichen werden, auf entsprechenden Devices will Google sogar vor ungeeigneten Programmen warnen. Damit hofft das Unternehmen wohl zusätzlichen Druck auf säumige App-Entwickler auszuüben.

Viele Interessen laufen zusammen

All das wirft natürlich die Frage auf: Warum ausgerechnet jetzt? Ein treibender Faktor dürfte der Bereich der Foldables sein – also faltbare Smartphones/Tablets. Grundlegendes Interesse daran hat Google schon länger bekundet, unter dem Namen "Pixel Notepad" soll angeblich bereits in den nächsten Monaten ein entsprechendes Gerät von Google selbst auf den Markt kommen.

Vom Formfaktor her dürfte man sich dabei an der Galaxy-Fold-Reihe von Samsung orientieren, also einem Smartphone, das sich aufgeklappt in ein kleines Tablet verwandelt. Für dieses ist es natürlich sinnvoll, spezifische Verbesserungen vorzunehmen, die den gebotenen Platz besser nutzen.

Absatzboom bei Tablets und Chromebooks

Doch Foldables sind nicht der einzige Grund für das neu erwachte Interesse. Zuletzt haben die Verkäufe von Tablets im Allgemeinen, aber auch Android-Tablets im Speziellen deutlich angezogen, zudem sind sogar neue Hersteller in diesen Markt eingestiegen. Vergangenen Herbst hat etwa HMD/Nokia sein erstes Tablet vorgestellt.

Ähnlich stark war – nicht zuletzt durch die Pandemie getrieben – in den vergangenen Jahren das Interesse an Chromebooks, die ebenfalls Android-Support bieten und da wiederum von besserer App-Unterstützung für große Bildschirme und anspruchsvollere Aufgaben profitieren.

Android-Games unter Windows

Auch für "Play Games for PC" braucht es besseren Support für große Bildschirme.
Grafik: Google

Und dann wäre da noch eine weitere aktuelle Initiative von Google. Unter dem Namen "Play Games for PC" arbeitet das Unternehmen derzeit an einer eigenen Android-Unterstützung für Windows 11 – wie der Name schon verrät, derzeit ganz mit dem Fokus auf Spielen. Dafür will man Spieleentwickler unter anderem dazu bringen, die Steuerung von Android-Apps via Tastatur, Touchpad und Maus zu verbessern – wovon dann Android-Tablets mit externer Tastatur oder Chromebooks natürlich ebenfalls profitieren würden.

Dazu darf auch ein anderer aktueller Trend nicht vergessen werden, von dem all diese Geräte profitieren. War bisher für grafisch anspruchsvollere Spiele ein Windows-PC – oder eine Spielekonsole – vonnöten, funktioniert Cloud-Gaming auch auf Android-Tablets oder sogar Smartphones tadellos. Das mag derzeit noch nicht das große Massenthema sein, es eröffnet aber durchaus neue Möglichkeiten.

Mangelhafter Support könnte ein Problem werden

So positiv das alles klingt, garantiert ist ein Erfolg damit natürlich nicht. Denn auch wenn der mangelhafte Tablet-Support bei Kernoberfläche und Apps sicher ein entscheidendes Defizit in der Android-Welt ist, das einzige ist es nicht. So sind Tablets üblicherweise erheblich länger im Einsatz als Smartphones, da wird die mangelhafte Update-Versorgung schnell zu einem noch größeren Problem.

Die aktuellen Update-Versprechen von Samsung und Google mit fünf Jahren Sicherheitsaktualisierungen sind zwar fraglos ein Schritt in die richtige Richtung, aber durchaus weiter ausbaufähig. Zumal Apple bei seinen iPads deutlich mehr bietet, und auch Tablets mit Googles eigenem Chrome OS bekommen wesentlich länger Updates – derzeit rund acht Jahre. Dazu kommt, dass ein großer Teil der Android-Welt von diesen Google- und Samsung-Werten noch weit entfernt ist.

Lücken

Samsung hat einen eigenen Desktop-Modus auf seinen aktuellen Tablets. Der ist aber wiederum für die Nutzung ohne Tastatur nur begrenzt geeignet.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Doch auch sonst wird es noch Anpassungen bei Android brauchen, vor allem wenn die Tablets auch für den Produktiveinsatz verwendet werden sollen. Samsung versucht diese Lücke mit einem eigenen Desktop-Modus zu lösen. Dieser ist zwar für solche Aufgaben tatsächlich besser geeignet, hat aber keinen nahtlosen Übergang zur restlichen Tablet-Umgebung.

Eine einheitliche Lösung – noch dazu herstellerübergreifend – wäre auch hier von Vorteil. Aber wer weiß, eventuell bringt Googles im Mai vorgesehene Entwicklerkonferenz I/O in dieser Hinsicht noch Überraschungen. Immerhin stellt der Softwarehersteller üblicherweise erst dort die oberflächlichen Änderungen für kommende Android-Generationen vor – in diesem Fall wäre das also das erwähnte Android 13.

Fazit

Die aktuelle Entwicklung gibt also berechtigten Grund zur Hoffnung, dass Google nach rund zehn Jahren weitgehender Inaktivität das Thema Android-Tablets endlich wieder vernünftig angeht. Technische Neuerungen alleine werden für die Kehrtwende allerdings nicht reichen.

Viel wichtiger wird es werden, Android-App-Entwickler dazu zu bringen, auch endlich Geräte mit großen Bildschirmen vernünftig zu unterstützen. Und natürlich auch Entwickler anzulocken, die ihre Programme bisher dem iPad vorbehalten – was vor allem bei Tablet-Apps oftmals der Fall ist.

Dann, aber wirklich nur dann hätte Android endlich eine echte Chance, auch im High-End-Bereich zu einer ernsthaften Alternative zu den iPads von Apple zu werden. Vorausgesetzt natürlich, Google geht nicht vorher wieder die Luft aus. (Andreas Proschofsky, 8.4.2022)