Zehn Monate ist die israelische Regierung alt, und sie hat somit immerhin schon doppelt so lang überlebt, wie ihr viele Beobachter vorausgesagt hatten. Wenn das Kabinett unter dem rechten Premierminister Naftali Bennett schon bisher am seidenen Faden hing, so bekam dieser Faden in den Morgenstunden des Mittwochs einen gehörigen Einriss: Idit Silman, eine Abgeordnete von Bennetts Yamina-Partei und Vorsitzende der Koalition im Parlament, erklärte ihren Abschied aus der Koalition.

Da die Regierung nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügte, hat der Rückzug der rechten Parlamentariern ernste Folgen: Die Regierung hat nun keine Mehrheit mehr, jeder Beschluss wird zum mühevollen Tauziehen mit den Abgeordneten der Opposition.

Bild nicht mehr verfügbar.

Oppositionschef Benjamin Netanjahu wittert eine Chance.
Foto: AP

Bemerkenswert ist, dass es nicht die Palästinenserfrage und nicht die horrenden Terroranschläge der vergangenen Woche waren, woran die Acht-Parteien-Koalition zerbrechen könnte. Ausgerechnet an der Frage der jüdischen Speisegesetze schieden sich die Geister.

Brisante Pessach-Feiertage

In einer Woche beginnen die Pessach-Feiertage, an denen es besonders strenge Regeln für koschere Küche gibt. Vor Pessach entledigen sich alle jüdischen Haushalte ihrer Vorräte an Brot, Kuchen, Bier und an allem anderen, was Hefe oder Sauerteig enthält. Nicht einmal ein Krümel Brot darf im Haushalt sein, und strenggenommen gilt das auch für Krankenhäuser. Da aber immerhin ein Viertel der in Israel lebenden Menschen nicht jüdischen Glaubens ist, hat das Höchstgericht vor zwei Jahren entschieden, dass man diesen Patientinnen und Patienten ihr Brot nicht verbieten darf.

Das ist zwei Jahre her. In der Pandemie hatte das Land andere Sorgen, aber jetzt, kurz vor Pessach, wurde die Frage wieder akut. Gesundheitsminister Nitzan Horowitz teilte den Spitälern mit, sie mögen das Mitbringen von Brot und Kuchen aufs Spitalsareal nicht unterbinden.

Silman nahm das zum Anlass für ihren Rücktritt. "Ich werde nicht Beihilfe leisten, wenn der jüdische Charakter des Staates Israel beschädigt wird", erklärte sie in einem Schreiben, das selbst für Silmans Parteivorsitzenden Bennett überraschend gekommen sei, wie es heißt. Aus dem Brief geht aber hervor, dass die Frage des Hefegebäcks eher nur ein willkommener Anlass war, um eine Entscheidung zu verkünden, die schon länger gereift war: Sie werde versuchen, weitere Gleichgesinnte davon zu überzeugen, eine neue Regierung zu bilden, erklärte Silman: "Eine andere Mehrheit ist möglich in diesem Parlament."

Lob von Netanjahu

Oppositionsführer Benjamin Netanjahu lobte Silmans Schritt als ein "Nachhausekommen". Er forderte weitere Koalitionspolitiker auf, sich seinem Lager anzuschließen. Dem Vernehmen nach hatte Netanjahu Silman zuvor das Amt der Gesundheitsministerin zugesagt, sollte er die Macht übernehmen.

Ob es so weit kommt, ist aber fraglich. Israels Parlament steht vor derselben Pattsituation wie nach den vier Wahlgängen, die das Land seit 2019 erlebt hat.

Die Koalition ist zu schwach, um zu überleben, aber die Opposition nicht stark genug, um die Macht zu übernehmen. Denn an der Tatsache, dass fast niemand mit Oppositionschef Netanjahu regieren will, hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Es müsste also erst zu einem Machtwechsel in Netanjahus Likud-Partei kommen, bevor es zu einem fliegenden Regierungswechsel kommen kann – und das ist eher unwahrscheinlich.

Am wahrscheinlichsten ist, dass die Koalition jetzt so lange durchwurstelt, bis die Opposition es auf eine Mehrheit für einen Neuwahlbeschluss bringt. In diesem Fall wäre Bennett nicht nur die Mehrheit los, sondern auch sein Amt: Laut Koalitionsvertrag geht im Fall vorgezogener Neuwahlen das Amt des Ministerpräsidenten sofort an Außenminister Jair Lapid. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 6.4.2022)