Ein eher ungewöhnlicher Anblick: Samuel Bankman-Fried mit Anzug und Hemd.

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Samuel Bankman-Fried könnte ein recht normaler Student sein – mit seinen langen gelockten Haaren, die ihm in alle Richtungen wegstehen, den T-Shirts und Sweatern, die er beinahe zu jedem Anlass trägt, seinem etwas unaufgeräumten Zimmer, in dem Hosen und anderes Gewand quer über den Raum verteilt liegen, und seinem Gamer-Stuhl und Headset, das er zum Computerspielen und auch für die Arbeit benutzt.

Doch von "normal" ist sein Leben weit entfernt: Bankman-Fried ist erst 30 und schon Milliardär, hat Kontakt mit Jeff Bezos, David Solomon, Katy Perry, Leonardo DiCaprio, Premierministern und Senatoren, will nebenbei die Welt retten – und das alles von seinem Schreibtisch aus, neben dem er laut eigenen Angaben sogar schläft – nicht auf einem Bett, sondern auf einem Sitzsack, meist weniger als fünf Stunden pro Nacht. Trotz seines Vermögens, das mittlerweile 26 Milliarden US-Dollar übersteigt, verzichtet Bankman-Fried auf teure Anzüge, Autos, Uhren oder Yachten, fährt stattdessen einen Toyota Corolla über die Straßen der Bahamas und will laut eigenen Angaben 99 Prozent seines Vermögens "möglichst effektiv" spenden. Wer ist dieser Mann?

Begabung, Glück und Timing

Zumindest Enthusiasten der Kryptobranche ist Bankman-Fried seit einigen Jahren ein geläufiger Name. Er ist Geschäftsführer der auf den Bahamas ansässigen Kryptowährungsbörse FTX, an der täglich Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum oder Tether und andere Währungen mit einem Wert von durchschnittlich zehn Milliarden US-Dollar gekauft, verkauft oder getauscht werden. Für die Vermittlung von Käufern und Verkäufern behält sich FTX einen bestimmten Prozentsatz an Gebühren ein – womit das Unternehmen jedes Jahr gut und gerne mehrere hundert Millionen US-Dollar verdient.

Dass Bankman-Fried selbst zum Hauptprofiteur des Bitcoin-Booms wurde, war wohl einer Kombination aus Begabung, Glück und gutem Timing geschuldet. Der Sohn zweier Stanford-Eltern fiel laut Angaben seines Umkreises früh mit seinem mathematischen Talent auf und studierte später Mathematik und Physik am MIT. Währenddessen beschäftigte sich Bankman-Fried laut eigenen Aussagen mit der Arbeit des Moralphilosophen Peter Singer und anderen Philosophen, darunter William MacAskill, Toby Ord und Thomas Pogge, die Teil der aufkeimenden Bewegung des sogenannten "effektiven Altruismus" waren und sind.

"Verdienen, um zu geben"

Die Idee: Mithilfe von rationalen und wissenschaftlichen Argumenten soll Geld so gespendet werden, dass es einen möglichst großen Nutzen für möglichst viele Menschen hat – eine effiziente Kosten-Nutzen-Rechnung sozusagen, um die Welt zu verbessern. Singer stellte das Argument für effektiven Altruismus einmal so dar: Würden Sie ein ertrinkendes Kind aus einem Teich retten, wenn sie gerade daran vorbeigehen? Da wohl jeder die Frage bejahen würde, zog Singer in weiterer Konsequenz den Schluss, dass wir auch die Verpflichtung hätten, Kinder in anderen Ländern etwa vor dem Verhungern zu retten, beispielsweise, indem wir für eine Hilfsorganisation spenden. Die "Effektivität" der Spenden beruht laut Singer dann etwa darauf, wie viel Geld eine bestimmte Organisation benötigt, um ein Leben zu retten.

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Der Philosoph Peter Singer (re.), hier mit dem Singer-Songwriter Paul Simon, gilt als Befürworter des effektiven Altruismus.
Foto: AP Photo/Richard Drew

Bankman-Fried war von der Idee des effektiven Altruismus begeistert und beschloss, dass er den größten Beitrag leisten könne, indem er zuerst möglichst viel Geld verdient: "Verdienen, um zu geben", lautet das Motto, das Altruisten wie MacAskill vertreten. Drei Jahre lang arbeitete Bankman-Fried deshalb an der Wall Street und spendete laut eigenen Angaben die Hälfte seines Gehalts jedes Jahr an Tierschutzorganisationen – bis sich bald darauf eine weitaus schnellere und einfachere Möglichkeit bot, an möglichst viel Geld zu kommen.

Von Krypto profitiert

2017, mitten im ersten Boom der Kryptowährung Bitcoin, stellte Bankman-Fried, der später zugab, zu diesem Zeitpunkt noch kaum etwas von der Kryptowährung verstanden zu haben, fest, dass Bitcoin in Japan im Vergleich zu den USA um zehn Prozent höher gehandelt wurde. Würde jemand einfach Bitcoin in den USA kaufen, um sie anschließend in Japan wieder zu verkaufen, ließen sich jeden Tag zehn Prozent Gewinn einfahren, so seine Überlegung.

Gemeinsam mit Kollegen gründete Bankman-Fried das Handelsunternehmen Alameda Research, und nachdem sie einige Hürden überwunden hatten, gelang das einfache Tauschgeschäft tatsächlich. Bis sich Anfang 2018 die Bitcoinpreise in beiden Ländern anpassten, hatten Bankman-Fried und sein Team bereits rund 20 Millionen US-Dollar eingenommen. Sie hatten von einer Kryptowelt profitiert, die bis dahin wenig reguliert war und durch den Zustrom vieler unerfahrener Käufer wie eine gewaltige Blase immer weiter anschwoll.

Effektivität steigern

Anstatt das Geld sofort für wohltätige Zwecke zu spenden, investierte es Bankman-Fried in den Aufbau von FTX, das sich vor allem auf das Geschäft mit großen Handelsunternehmen spezialisiert hat. Um den strengeren Regulierungen des Kryptohandels in den USA zu entgehen, verlegte er den Sitz des Unternehmen zuerst nach Hongkong und von dort dann auf die Bahamas und registrierte es in Antigua und Barbuda, wo es ihm seither Milliarden Dollar in die Taschen gespielt hat.

99 Prozent seines Vermögens will Bankman-Fried spenden, sagt er zu Bloomberg – an Organisationen, die in seinen Augen am "effektivsten" sind und die sich etwa gegen die Verbreitung des Coronavirus, das Ausbrechen zukünftiger Pandemien oder den Klimawandel einsetzen. Lediglich ein Prozent seines Vermögens, ungefähr 100.000 Dollar im Jahr, wolle er behalten, um ein komfortables Leben führen zu können. Als "Krypto-Robin-Hood" bezeichnen Bankman-Fried daher bereits einige: einen der sich die Geldmach-Mechanismen des Kapitalismus zunutze macht, um ärmeren Menschen zu helfen.

Lobbying in Washington

Die Realität sieht etwas anders aus. Bis jetzt hat Bankman-Fried lediglich 0,2 Prozent seines Geldes gespendet – was trotzdem immerhin rund 50 Millionen Dollar ausmacht. Stattdessen investiert er mit FTX 135 Millionen Dollar über die nächsten 19 Jahre, um sich die Sponsoringrechte an der Basketballarena der Miami Heat zu sichern, buttert hunderte Millionen Dollar in ein E-Sports- und in das Formel-1-Team von Mercedes, um das FTX-Logo mehr in die Öffentlichkeit zu bringen, und investiert Millionen Dollar in Lobbying in Washington, um strengere Regulierungen für Kryptowährungen zu unterbinden, wie ihm Kritiker vorwerfen.

Für Bankman-Fried stehen die Investitionen jedenfalls nicht im Widerspruch zum Ansatz des effektiven Altruismus. Er betreibe eine langfristige Strategie, um eines Tages ein Maximum an Geld spenden zu können, sagt er. Doch selbst wenn die Ziele der Spenden effektiver Altruisten wie Bankman-Fried hehr sein mögen (viele Kritiker bezweifeln jedoch schon die Annahmen der Altruisten, wonach sich Effektivität objektiv messen lasst), stellt sich für einige die Frage, ob der Zweck tatsächlich die Mittel heiligt. Denn die Finanzindustrie treibe selbst die Ungleichheit voran, die Kryptobranche wiederum die Kriminalität, den finanziellen Ruin einiger Menschen und durch ihren hohen Energieverbrauch auch den Klimawandel, so die Kritik.

Emissionen ausgleichen

Laut Bankman-Fried gleicht FTX einen Teil der Emissionen durch CO2-Zertifikate aus. Zudem würden viele Kryptowährungen in Zukunft einen niedrigeren Energieverbrauch haben. Viele Menschen, die bisher mit Krypto zu tun hatten, hätten gute Erfahrungen gemacht – kaum vergleichbar mit den Erfahrungen, die Menschen im Casino machen würden, sagt Bankman-Fried in einem Interview.

Am Ende scheint es schwer zu bestimmen, wie konsequent Bankman-Fried und andere effektive Altruisten ihre eigens gesteckten Ziele zur "Reduzierung des Leids auf der Welt" tatsächlich umsetzen – oder schon selbst Teil einer politischen und wirtschaftlichen Machtstruktur geworden sind, die ebenjenes Leid verstärkt.

Allein um die Etablierung von Kryptowährungen per se scheint es Bankman-Fried jedenfalls nicht zu gehen: Mehrmals betonte er bereits, dass er aufhören würde, in Kryptowährungen zu investieren, sobald er andere, "passendere" Optionen gefunden habe. Zu eilig hat er es jedenfalls nicht: Denn mit jedem Tag, an dem über sein Unternehmen Milliarden Dollar unterschiedlichster Kryptowährungen fließen, sackt auch Bankman-Fried viele tausende Dollar ein. Und währenddessen? Spielt er lieber Computerspiele. (Jakob Pallinger, 7.4.2022)