Nach dem Massenmord in Butscha sollen die Sanktionen erstmals den Energiesektor treffen. Bald dürfte aus Russland keine Steinkohle, kein Holz und kein Wodka mehr kommen.

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Mit den Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha hat der Krieg in der Ukraine einen neuen Negativhöhepunkt erreicht. Der Massenmord an mehreren Hundert Menschen wird Russland zugeschrieben, deswegen hat die EU am Mittwoch neue Sanktionen vorgeschlagen. "Was Wladimir Putin Befreiung nennt, bezeichnen wir als Kriegsverbrechen", hieß es im Vorabtext der Rede von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das fünfte Sanktionspaket umfasst unter anderen einen Einfuhrstopp für Kohle aus Russland. Und auch die USA legten nach: Geplant sind unter anderem Sanktionen gegen die Kinder von Präsident Putin.

Kohle

Erstmals wird nun Energie Teil des Embargos. Der Verzicht auf Kohle ist für Europa noch am leichtesten verkraftbar, etwa ein Fünftel der in der EU-27 benötigten Kohle kam zuletzt aus Russland. Zum Vergleich: Bei Erdgas ist die Abhängigkeit mit rund 40 Prozent deutlich höher, bei Erdöl mit gut 25 Prozent ebenfalls.

Bereits vor Bekanntwerden der Details zum fünften EU-Sanktionspaket am Mittwoch hat der Preis für Kohle auf den Terminmärkten einen Satz nach oben gemacht und die Future-Notierungen bei Strom gleich mitgerissen. Russland verliert durch den Kohleboykott rund vier Milliarden Euro pro Jahr. Österreichische Abnehmer haben laut Zahlen der Statistik Austria im Vorjahr 28 Prozent Steinkohle aus Russland bezogen, in Summe 942.000 Tonnen.

Einer der größten Kohleverbraucher in Österreich ist die Voest Linz. Dort wird für die Stahlerzeugung Kokskohle benötigt, die zum Teil aus Russland kam. In den vergangenen Wochen seien bereits "Maßnahmen getroffen worden, um zusätzliche Kohlemengen zu beschaffen", teilte das Unternehmen mit.

Am Mittwoch konnten sich laut Berichten die EU-Diplomaten aber nicht auf den Kohleboykott einigen, da unklar war, ob davon auch bestehende Verträge betroffen wären. Am Donnerstag soll weiterverhandelt werden.

Banken

Gegen vier wichtige russische Banken, unter anderem die zweitgrößte Bank VTB, wird ein vollständiges Transaktionsverbot verhängt. Diese vier Geldinstitute haben einen Marktanteil von 23 Prozent am russischen Bankensektor. Man erhofft sich dadurch, das Finanzsystem weiter zu schwächen. Die Staatspleite rückt aber ohnedies näher. Erstmals wurden am Mittwoch Zahlungen für zwei Fremdwährungsanleihen nicht in Dollar, sondern in Rubel geleistet. Wegen der westlichen Blockade seiner Devisenreserven will Moskau dies auch künftig so handhaben. In einem nächsten Schritt könnte auch Russlands größte Bank, die Sberbank, sanktioniert werden, meinen Analystinnen und Analysten. Bisher sei sie von schärfsten Sanktionen verschont geblieben, um die russische Bevölkerung etwas zu schonen.

Transport

Gewissermaßen trockenlegen will die Kommissionspräsidentin auch den russischen Transportsektor. Russisch betriebene Schiffe dürfen demnach keine Häfen der EU mehr anlaufen. Zudem sollen auch alle russischen und belarussischen Frächter von den Straßen der Union verbannt werden. "Mit diesem Verbot soll die russische Wirtschaft weiter eingeschränkt werden, Güter zu beziehen", erklärt von der Leyen.

Aus- und Einfuhren

Zudem soll es gezielte Ausfuhrverbote im Umfang von zehn Milliarden Euro geben. Konkret soll im Technologiesektor der Export von einfachen Halbleitern bis zu fortgeschrittenen Entwicklungen wie Quantencomputern nach Russland untersagt werden. Davon betroffen sind auch sensible Maschinen und Transportausrüstungen. Verboten sollen zudem auch Einfuhren von Holz über Zement und Meeresfrüchte bis hin zu alkoholischen Getränken wie Wodka werden, was ein Geschäftsvolumen von etwa 5,5 Milliarden Euro betrifft.

Gas

Noch nicht einig sind sich die EU-27, wenn es um einen Boykott von russischem Gas geht. Ratspräsident Charles Michel hatte im Straßburger EU-Parlament aber bereits angekündigt, dass er glaube, dass ein solcher "früher oder später notwendig" sein wird. Doch vor allem Deutschland und Österreich legen sich quer, da sie besonders stark von den russischen Gasimporten abhängig sind.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hat bis zuletzt ein Einfuhrverbot ausgeschlossen: "Wir müssen der Realität ins Auge sehen", sagte er etwa Anfang der Woche in Berlin: Man könne das russische Gas nicht über Nacht ersetzen. Am Mittwoch sagte auch Ungarns Außenminister Péter Szijjártó, dass die EU keine Rolle bei den bilateral geschlossenen Gaslieferverträgen spiele. Ungarn würde seine Gasrechnung auch in Rubel bezahlen, sagte Premierminister Viktor Orbán.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte am Mittwoch ein Übereinkommen mit den USA an, wonach noch heuer 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas aus den Vereinigten Staaten nach Europa geliefert werden und in den kommenden Jahren 50 Milliarden Kubikmeter jährlich hinzukommen. Damit soll die Abhängigkeit von Russland minimiert werden.

Oligarchen

Bis jetzt ist er verschont geblieben, doch laut Informationen der Financial Times und Bloomberg soll Oleg Deripaska nun auf der Sanktionsliste der EU gelandet sein. Der russische Oligarch ist in Österreich vor allem durch sein Engagement bei der Strabag bekannt, die hat sich aber Mitte März von ihm distanziert – damals ließ Chef Hans Peter Haselsteiner verkünden, dass der Syndikatsvertrag mit Deripaskas Rasperia Holding gekündigt wurde. Die Dividende des Milliardärs wird ebenso einbehalten.

Auf der EU-Sanktionsliste soll ebenso Said Kerimow stehen, der Russlands größten Goldproduzenten kontrolliert. Gegen seinen Vater, Suleiman Kerimow, wurden bereits Maßnahmen erlassen. Vor allem symbolischen Wert hat, dass Putins Töchter Katerina und Maria sanktioniert werden sollen – die USA wollen sie ebenfalls mit Strafmaßnahmen belegen. (Bianca Blei, Andreas Danzer, Alexander Hahn, Günther Strobl, 6.4.2022)