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Die Brutalität des russischen Angriffskriegs ist vor allem im Kiewer Vorort Butscha zu sehen.

Foto: Felipe Dana / AP

Moskaus Dementi hin oder her, aus Russlands "Blitzkrieg" gegen die Ukraine wurde nichts, sagt Markus Reisner, Militäranalyst und Oberstleutnant an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, zum STANDARD. Nach 42 Tagen Krieg – oder "militärischer Spezialoperation", wie der Kreml den Überfall auf das Nachbarland zynisch nennt – macht Reisner drei Indikatoren fest, an denen man das bisherige Scheitern der russischen Taktik in der – für den Kreml – überraschend widerspenstigen Ukraine ablesen kann.

"Klare Indikatoren"

Klar sei, dass die Moskauer Militärstrategen mittels Luftlandungen einen schnellen "Enthauptungsschlag" gegen die Regierung von Wolodymyr Selenskyj in Kiew im Schilde führten: "Das war in Prag 1968 so und auch in Kabul 1979." Und auch die vergleichsweise klein dimensionierte Truppengröße von 200.000 Soldaten, mit denen Russlands Armee ab dem 24. Februar in die Ukraine einmarschiert ist, spricht in Reisners Augen dafür, dass Moskau von einer schnellen Entscheidung in Kiew ausgegangen ist. "Der dritte Indikator ist die Art und Weise, wie sie einmarschiert sind, nämlich schmal und tief, um möglichst schnell strategisch wichtige Punkte zu erreichen, womöglich sogar den Dnipr, der das Land teilt."

In der Analyse des Gewesenen finden sich freilich auch Anhaltspunkte für das, was noch kommen könnte – dass der von Russlands Präsident Wladimir Putin angezettelte Krieg im weiteren Verlauf noch brutaler geführt werden dürfte, steht für den ehemaligen Jagdkommando-Soldaten fest.

An vier Fronten gleichzeitig anzugreifen habe Russlands Armee aber überfordert, sagt Reisner, zudem habe man die Ukrainer unterschätzt, die aus der Niederlage von 2014 Lehren gezogen haben. "Diesmal hat man die Russen ins Land einmarschieren lassen und erst dann, als sie schon da waren, damit begonnen, ihre Logistiklinien anzugreifen, mit denen sie Munition, Verpflegung und Ausrüstung nachliefern." Vor allem im Norden und Nordosten gelang es den ukrainischen Verteidigern, die Konvois aus Hinterhalten anzugreifen.

Stichtag 9. Mai

Auch deshalb nun der Strategiewechsel: weg von Kiew, hin zum Donbass. Das Ziel sei nun, dort rasch eine Entscheidung zu erkämpfen, die sich dann auch politisch verkaufen lässt. "Mit zwei Zangenbewegungen von Isjum im Norden und von Mariupol im Süden aus will man die ukrainische Armee östlich des Dnipr einkesseln und zerschlagen", sagt Reisner. Die beiden Hauptstränge der russischen Propaganda könnten so erfüllt werden: einerseits die "Entnazifizierung", indem man Mariupol und das dort stationierte rechtsextreme Asow-Regiment bekämpft, andererseits die "Befreiung" des Donbass. Beides, so glaubt der Bundesheer-Analyst, könnte den Russen bis zum Stichtag 9. Mai gelingen, an dem in Moskau traditionell der Sieg über NS-Deutschland gefeiert wird.

"Wir stehen nun am Übergang vom gescheiterten Blitzkrieg zum Abnutzungskrieg. Die Zivilbevölkerung wird wohl noch mehr zwischen die Fronten geraten", sagt Reisner. Ein solcher Abnutzungskrieg führe unweigerlich zur Entmenschlichung des Gegners. Das Massaker von Butscha, so viel steht fest, wird nicht das letzte bleiben. (Florian Niederndorfer, 7.4.2022)