"Alles dauernd auszuprobieren ist kein Wert an sich, das ist nicht nur lässig", sagt Verhaltensökonom Matthias Sutter.

Foto: Marc Thürbach

Wie ticken Menschen? Eigentlich wollen das alle wissen, aus verschiedenen Motiven heraus. Die Verhaltensökonomie hat darauf viele Antworten. Matthias Sutter hat nun ein Buch herausgebracht, das erklärt, worauf es aus verhaltensökonomischer Sicht im Job ankommt.

STANDARD: Was sollten wir jetzt von der Verhaltensökonomie wissen, wenn wir ratlos vor Tausenden stehen, die ihren Job hinschmeißen oder zumindest ihre Arbeitszeit reduzieren wollen?

Sutter: Die elementaren, menschlichen Dinge geben den Ausschlag. Erwartungen klar kommunizieren. Ziele offenlegen. Karrieren fördern. Mitarbeitende einbeziehen in Entscheidungen. Für positive Stimmung sorgen. Vertrauensvoll agieren.

STANDARD: Wissen wir das nicht schon längst aus allen Umfragen, die die Wünsche der Belegschaften abfragen?

Sutter: Klar wissen wir das. Aber es sind weder Meinungen noch Soft Facts oder irgendein Blabla, das lässt sich quantitativ messen: Führungskräfte, die dem entsprechen, haben einen messbar verringerten Abgang von den Leuten, die man eigentlich halten will.

STANDARD: Ratlosigkeit herrscht ja oft ja auch diesbezüglich: Warum geht die oder der jetzt, was ist da passiert? Was könnte helfen?

Sutter: Exit-Gespräche beispielsweise. Die sind noch nicht überall State of the Art. Wir sind da noch nicht so weit, wie wir wollten. Tatsächlich geht es um basale Dinge. Es ist uns ja auch klar, dass wir Maschinen warten, bevor sie kaputt werden. Kurze Wege zwischen den Arbeitsstationen und sichere Arbeitsbedingungen, das scheint alles sonnenklar. Es wird aber noch nicht überall umgesetzt. Wer es nicht umsetzt, verliert Produktivität.

STANDARD: Führung hat keine Zeit für Führung?

Sutter: Wir machen aktuell eine Studie in Unternehmen in der Türkei. Mitarbeiter sagen, sie fühlen sich nicht wertgeschätzt. Führungskräfte sagen, die Mitarbeiter verstehen mich nicht, haben keine Ahnung, wie sehr ich unter Druck stehe, ich habe keine Zeit. Das ist eigentlich recht prototypisch.

STANDARD: Und wie sieht die verhaltensökonomische Lösung aus?

Sutter: Wir fragen die Leute, wen sie bei beruflichen Problemen kontaktieren, mit wem sie bei privaten Schwierigkeiten sprechen. Rund 15 Prozent können auf die erste Frage nichts antworten. Dann machen wir Rollenspiele mit Perspektivwechsel, um Verständnis füreinander zu erzeugen. Nach dieser Intervention kommen die verschiedenen Ebenen im Unternehmen miteinander ins Gespräch, Kommunikation entsteht, Zusammenhalt erwächst. Die Rate der Ratlosen halbiert sich nach dieser Intervention.

STANDARD: Sie werfen Altgewohntes spielerisch über den Haufen?

Sutter: Viele glauben immer noch, alles geht nach Blaupause. Ich versuche, Kochrezepte zu ändern.

STANDARD: Sehen Sie also eine Wirkung Ihrer Arbeit?

Sutter: Es ist mittlerweile nicht mehr nur die letzte Zeile der Bilanz wichtig. Die demografische Kurve – also weniger Nachwuchs – und die veränderten Ansprüche der Mitarbeiter helfen beim Gesinnungswandel.

STANDARD: Manchmal hat man schon das Gefühl, dass die Wirklichkeiten nicht gut zusammenpassen. Einerseits die Ansprüche der Unternehmen, andererseits jene der Kandidatinnen und Kandidaten, dann noch die permanenten Vorgaben andauernder Optimierung und Anpassungsleistung ...

Sutter: Wenn ich mit Studierenden bei uns am Institut spreche, habe ich immer wieder den Eindruck, dass sie sich enorm unter Druck fühlen, alles machen zu müssen, überall gewesen zu sein, alles Mögliche absolvieren zu müssen und dauernd Neues zu tun. Da gibt es auch eine Reihe von Missverständnissen. Tatsächlich hat das auch unangenehme Nebeneffekte. Wir haben etwa herausgefunden, dass Arbeitgeber kontinuierliche Lebensläufe, die nicht viele verschiedene Jobstationen aufweisen, besser bewerten. Alles dauernd auszuprobieren ist kein Wert an sich, das ist nicht nur lässig. (Karin Bauer, 7.4.2022)