Im Bezirksgericht Wels bestreitet das angeklagte Paar, Unterschriften gefälscht zu haben. Im Burgenland wurde ein Agenturbesitzer bereits rechtskräftig verurteilt.

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Er habe die Probleme der 24-Stunden-Betreuerinnen gekannt und stets ein offenes Ohr für sie gehabt. Er sei ein guter, seriöser und loyaler Chef. Fast 400 Frauen waren bei seiner Firma unter Vertrag. Sie, Frau D., habe deswegen gar nicht erst die Werbetrommel rühren müssen. "Die Betreuerinnen hatten die Hoffnung, dass es besser wird, wenn er gewählt wird", sagt D.s Frau und Zweitangeklagte am 6. April im Bezirksgericht Wels.

Im Zuge der Wirtschaftskammerwahl 2020 zog D. als Funktionär in die Fachgruppe Personenberatung und Betreuung ein – mit vielen Vorzugsstimmen. Diese Stimmen hängen dem Agenturbetreiberpaar nun in einem Gerichtsprozess nach.

"Auf Wunsch" Namen geschrieben

Denn diese Unterschriften sollen – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – gar nicht aus der Feder der 24-Stunden-Betreuerinnen stammen, sondern manipuliert worden sein. Die beiden Angeklagten sollen 2020 nicht nur den Namen von D. in das Vorzugsstimmenfeld geschrieben haben – auch hätten sie behauptet, dass man für einen Verein, der für bessere Arbeitsbedingungen eintritt, unterschreibe. Zwar habe Frau D. "auf Wunsch der Betreuerinnen in 20 bis 30 Fällen" und in deren Präsenz den Namen von D. hineingeschrieben, sagt sie vor Gericht. Dass sie Unterschriften manipuliert oder gar gefälscht haben, bestreiten beide vehement.

Der Grund, warum die in Summe 60.000 24-Stunden-Betreuerinnen aus dem EU-Ausland zur WKO-Wahl aufgerufen sind, liegt daran, dass sie offiziell selbstständig sind. Und dieser Umstand macht sie zu Mitgliedern der WKO, bei der sie jährlich eine Grundumlage von 70 bis 96 Euro – je nach Bundesland – zahlen müssen.

Interessenkonflikt

Abhängig sind die Frauen trotzdem von den Agenturen: Diese vermitteln Klienten, machen Verträge, heben Honorare für ihre Dienstleistungen ein – auch Vollmachten sind keine Seltenheit. Außerdem ist ihr Gewerbesitz gewöhnlich der Agenturstandort. Alle behördlichen Dokumente, wie etwa Wahlkarten, werden also an die Agenturadresse zugestellt. So fungieren die Agenturen praktisch als deren Arbeitgeber. Und diese Agenturchefs sind es, die hauptsächlich in den Fachgruppen der WKO sitzen – sie sind ihre offiziellen Interessenvertreter.

Das und die Tatsache, dass Betreuerinnen an Klienten, Arbeitsort und Arbeitszeiten gebunden sind, kritisieren Arbeitsrechtsexpertinnen und informelle Interessenvertreter seit langem unter einem Namen: Scheinselbstständigkeit.

Weil – vielleicht auch deshalb – die Wahlmotivation der 24-Stunden-Betreuerinnen eher mau ist, habe die Kammer Herrn D. gebeten, "proaktiv auf Betreuerinnen zuzugehen", um eine höhere Wahlbeteiligung zu kriegen, sagte der Angeklagte vor Gericht. Er habe sie dann über den Wahlkartenantrag informiert und seine Frau gebeten, für ihn "in die Bresche" zu springen.

Auffallend beliebt

Während die Wahlbeteiligung in der Branche in Oberösterreich bei 7,11 Prozent versickerte, machte sich die Werbung für D. bezahlt: Er erhielt 133 Vorzugsstimmen – weitaus mehr als andere Kandidaten.

Das machte einen Vertreter der Grüne Wirtschaft (GW) stutzig: In der Wahlkommission fiel ihm auf, dass sich das Schriftbild viele Wahlkarten ähnelte. Diese Beobachtung brachte den Stein der Ermittlungen ins Rollen. Auch die WK schloss sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte an. So kann sie sich im Falle einer – und wie von den Grünen geforderten – Wahlwiederholung finanziell schadlos halten.

Manipulation hat System

Und ebendiese könnte nicht nur in Oberösterreich drohen. Denn die Manipulation von Stimmzetteln hat offenbar System: In Tirol, in Kärnten und vor allem im Burgenland waren ebenfalls Unregelmäßigkeiten bekannt geworden. Gegen fünf Agenturchefs wird im Burgenland derzeit ermittelt, einer wurde schon zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt. Der Funktionär sitzt immer noch in der Fachgruppe.

In der WKO verweist man auf STANDARD-Nachfrage auf die laufenden Verfahren, ehe die Hauptwahlkommission über die Abberufung und Wahlanfechtung entscheide. Derartige Fälle habe es jedenfalls vor der Wahl 2020 noch nie gegeben, betont der WK-Anwalt, Peter Scheinecker.

Wahlrechtsreform

Für Bernhard Seeber, Sprecher der Grünen Wirtschaft, sind sie Ausdruck eines "Systemfehlers" in jenen Branchen, "wo Menschen in Abhängigkeit zu ihrem Arbeitgeber stehen". Und: Während die WKO kein Problem darin sieht, Wahlkarten gesammelt abgeben zu können, ist für Seeber die "Packerlpraxis" nicht nur gesetzeswidrig – sie öffne auch "Tür und Tor für Wahlmanipulation". Die Grüne Wirtschaft fordert aus diesem Grund eine umfassende Wahlrechtsreform.

In Wels will nun die Staatsanwaltschaft den Strafantrag auf Urkundenfälschung ausweiten. Ob sich die Unterschriften der 24-Stunden-Betreuerinnen auf Wahlkartenanträgen und Wahlkarten ähnelten, daran schieden sich wenig überraschend im Gerichtssaal die Geister. Das soll nun eine Grafologin klären. (Elisa Tomaselli, 11.4.2022)