Die Wiener Innenstadt ist für Konsumierende und Wohnende ein teures Pflaster. Was sie umgekehrt für Kriminelle zum lohnenden Ziel macht.

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Wien – Der Fall von Sebastian H., den ein Schöffensenat unter Andreas Hautz verhandelt, ist eine in mehreren Aspekten faszinierende Geschichte. Dem 21-jährigen Deutschen werden von der Staatsanwältin gewerbsmäßiger schwerer Einbruch sowie schwerer Betrug an seiner damaligen Freundin vorgeworfen, außerdem soll er Arbeitskollegen bestohlen haben. Der adrette junge Mann ist eloquent und großteils geständig, bei den ihm vorgeworfenen Delikten fallen aber auch bizarre Details auf.

Eine Vorstrafe in seiner Heimat hat H., auf diese Verurteilung führt er seine gesamten Probleme zurück. Er gab bei einem Unternehmen Nachhilfe via Internet, sei sehr erfolgreich gewesen, beteuert er. 2.500 bis 3.000 Euro habe er Ende 2019, Anfang 2020 damit verdient, er habe zu den drei besten seines Fachs gezählt, behauptet der Angeklagte. Bis er sich irgendwann ärgerte, dass er ein versprochenes "Goodie-Bag" im Wert von 50 Euro nicht erhielt. Also brach er ein, stahl die Tasche und ein Feuerzeug und ruinierte die Kaffeemaschine im Büro, indem er Salz hineinschüttete. Dafür wurde er in Deutschland zu einer Geldstrafe verurteilt.

Angebliches Vermögen in der Schweiz

2020 zog H. nach Wien. "Dann fing, ja, einen Monat das Problem an, dass ich kein Geld mehr hatte", gibt er zu. Er kam mit seiner Partnerin, einer Jus-Studentin, zusammen, behauptet er, ab Ende des Jahres ließ er sich quasi von ihr aushalten. Er erzählte, dass er soliden finanziellen Background in der Schweiz habe, aber leider an einer Krankheit leide und arbeitsunfähig sei. Im Dezember 2020 überwies er der Freundin noch einmal 85 Euro auf ihr Konto, insgesamt soll er sie aber in einem guten halben Jahr um über 5.000 Euro geprellt haben.

Im März 2021 zog er zu ihr in die WG, "als bei ihr auch Misstrauen aufkam", habe er bei einem "Finanzservice" als Berater begonnen. Dort stahl er Kolleginnen und Kollegen Geld aus ihren herumliegenden Geldbörsen, eine zufällige Beobachtung habe ihn dann erst richtig auf die schiefe Bahn gebracht, behauptet der Angeklagte.

"Ich bin durch die Innenstadt spaziert, als ich einen Einbruch beobachtete. Ein Mann hat sich von einer Regenrinne heruntergelassen, auf der Straße standen drei Polizeiautos, aber keine Polizisten. Ich habe dann an die Tür geklopft und die Beamten auf den Mann aufmerksam gemacht", schildert er. Das Erlebnis ließ ihn offenbar nicht mehr los, die offenbar gute Fluchtmöglichkeit brachte ihn auf die Idee, seine Geldprobleme so zu lösen.

Über Nachbarhaus auf die Dachterrasse

"Ich bin in einen Baumarkt gefahren und habe mir ein Brecheisen gekauft", erinnert H. sich. In der noblen Wiener Innenstadt ging er im Mai 2021 durch eine unversperrte Haustür nach oben und kletterte über ein Gangfenster auf das Nachbardach und von dort auf eine Dachterrasse. "Das war die erstbeste Wohnung, um die finanzielle Not zu stillen", begründet er, warum er die Terrassentür aufbrach und aus der Wohnung eine Geldbörse und Goldmünzen mitgehen ließ. Der Angeklagte sagt, es seien zwei Stück gewesen, die Besitzerin, es seien vier Exemplare einer Sammlung gewesen, zusätzlich sei auch die vergoldete Uhr ihrer verstorbenen Mutter verschwunden gewesen.

Im Akt finden sich tatsächlich Rechnungen über von H. getätigte Goldverkäufe – die stammen allerdings aus dem Jänner 2021, also vier Monate vor dem Einbruch. "Was haben Sie da verkauft?", interessiert den Vorsitzenden. "Das war Beute von einem Einbruchsdiebstahl in der Schweiz", entgegnet der Angeklagte ruhig. Hautz ist verwirrt, da sich darüber nichts in seinen Unterlagen befindet. "Damals bekam ich eine Geldstrafe von 2.500 Schweizer Franken. Aber im deutschen Urteil steht das drinnen", ist H. sich sicher. Auch damals habe er unter eklatanten finanziellen Problemen gelitten, nachdem er eine Ausbildung abgebrochen hatte, entschuldigt der Angeklagte sich.

Richter ist nur bedingt beeindruckt

"Herr H., Sie reden mir ein bissl zu viel von finanzieller Not. Wenn man aus seiner Heimat flüchten muss, ist man in finanzieller Not. In ihrem Fall hätte man auch einfach sparsamer leben können", ist der Vorsitzende überzeugt. Denn wie sich beim angeklagten schweren Betrug der Ex-Freundin zeigt, lebte der Angeklagte auf fremde Kosten nicht schlecht – die Kreditkartenrechnung der Studentin betrug zum Erstaunen des Vorsitzenden monatlich mehrere hundert Euro für Restaurantbesuche und Konsum.

Nachdem der erste Einbruch so gut geklappt hatte, versuchte H. es an derselben Adresse noch zwei Mal, scheiterte allerdings an den Wohnungstüren. Interessanterweise kontaktierte er acht Tage nach dem ersten Coup telefonisch sein Opfer und behauptete, er habe ihre Brieftasche gefunden, stehe vor ihrer Tür und würde sie gerne zurückgeben. Die Consulterin war damals im Ausland und bat ihn, das Fundstück bei ihrer Nachbarin – eines der Opfer eines späteren Einbruchsversuchs – abzugeben.

Opfer schenkte vermeintlichem Finder Gutschein

Aus Freude über den vermeintlich ehrlichen Finder organisierte die Unternehmerin für H. auch einen Gutschein für ein Frühstück für zwei, der im Traditionslokal Zum Schwarzen Kameel hinterlegt wurde. Sie informierte den Angeklagten via Whatsapp darüber, er bedankte sich artig. Ein paar Tage später sei H. dann mit einer Flasche Wein vor ihrer Tür gestanden und habe sich erkundigt, ob es ihr gut gehe und sie bereits eine Alarmanlage installiert habe. "Das ist mir dann schon seltsam vorgekommen, aber er hat nur die Flasche dagelassen und ist wieder gegangen. Und mein Mann hat gesagt, dass es sich um einen exzellenten Rotwein gehandelt hat", verrät die Zeugin. H. behauptet, die Aktion sei Ausdruck seines schlechten Gewissens gewesen.

Dass er seine frühere Freundin – die übrigens sagt, es sei keine Beziehung, sondern eine "Freundschaft plus" gewesen – um exakt 5.487,20 Euro geschädigt habe, wie aus einer von deren Anwalt vorgelegten minutiösen Auszeichnung hervorgeht, sieht der Angeklagte nicht so. Es seien vielleicht 3.500 bis knapp unter 5.000 gewesen, so genau wisse er das nicht. Als Hintergrund: Ab 5.000 Euro wird die Strafdrohung höher.

Als Nachhilfelehrer gescheitert

"Sie haben gesagt, Sie waren als Nachhilfelehrer so erfolgreich. Haben Sie nicht daran gedacht, das alleine weiterzumachen?", will die Schöffin vom Angeklagten wissen. Das habe nicht funktioniert, bedauert H., er habe zwar Altkunden mitgenommen, aber über Annoncen keine neuen gewonnen. Ein zweiter Komplex beunruhigt die Laienrichterin: "Haben Sie gewusst, ob die Wohnungen leer waren?" – "Nein." – "Und was hätten Sie gemacht, wenn im ersten Fall das Opfer aufgewacht wäre?" – "Ich habe das nie überlegt. Wahrscheinlich wäre ich einfach weggerannt."

Auch von der Ex-Freundin hört man Erstaunliches. Sie kannte H.s Mutter von Videochats, als sie im Sommer 2021 einmal darauf hinwies, dass ihr Sohn einige Schulden habe, versprach die Mutter, sich darum zu kümmern, und war fortan fernmündlich und -bildlich nicht mehr erreichbar.

DNA-Treffer und Standortauswertung

DNA-Spuren vom Tatort und die Auswertung des Handystandorts brachten die Exekutive auf H.s Fährte, am 17. November wurde er in Deutschland, wo er mittlerweile als Angestellter 1.800 Euro verdient, festgenommen und im Dezember nach Österreich überstellt. "Warum haben Sie bei der Haft- und Rechtsschutzrichterin die Vorwürfe nicht zugegeben?", will Hautz wissen. "Das kann ich nicht sagen, vielleicht weil ich mich vor der Richterin geschämt habe", bleibt der Angeklagte vage.

Bei einem Strafrahmen bis zu zehn Jahren Haft entscheidet sich der Senat nach 15 Minuten Beratung rechtskräftig für zwei Jahre unbedingt. "Dass Sie sich nicht einmal überzeugt haben, ob die Wohnungen leer sind, lässt schon auf eine gewisse Kaltblütigkeit schließen", begründet der Vorsitzende. Außerdem empfiehlt Hautz dem Angeklagten dringend, sich um psychologische Hilfe zu kümmern.

"Dass Sie die Geldbörse zurückgeben, sich für den Frühstücksgutschein bedanken und dann sogar noch mit einer Flasche Wein vorbeischauen, ist ein eigenartiges Verhalten", mahnt er. "Auf mich macht das nicht den Eindruck von Reue, sondern einer gewissen Freude an Manipulation", stellt Hautz kritisch fest. Die abschließende Frage, ob er die Haft lieber in seiner Heimat verbüßen möchte, verneint H. dann, er möchte in ein österreichisches Gefängnis. (Michael Möseneder, 7.4.2022)