Verlieren und wiederbegegnen: Shin Seokho (links) und Ye Jiwon in "Introduction".

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Ein guter Aufsatz beginnt mit einer vielversprechenden Einleitung. So wurde das einmal in der Schule gesagt, und viele Standardisierte Erzählformen, darunter auch das Kino, halten sich immer noch daran. Der koreanische Regisseur Hong Sang-soo fällt allerdings nicht in diese Kategorie, er hat mit seinen fein gewobenen, an Éric Rohmer erinnernden Spielfilmen schon eine eigene Form von Dramolett kreiert. In diesen experimentiert er mit Leerstellen, Brüchen und Wiederholungen, ohne dass das Ergebnis prätentiös wirken muss.

Filmgarten

Sein 25. Film, der auf der Berlinale bereits 2021 mit dem Preis für das beste Drehbuch prämiert wurde, ist da keine Ausnahme. Er nennt sich schlicht Introduction – dies übrigens auch im koreanischen Original – und beginnt mit einer Szene, die man üblicherweise kurz vor einem Aktwechsel erwarten würde. Ein offenbar in die Enge getriebener Mann, an seinem weißen Kittel als Arzt erkennbar, betet vor seinem Computerschirm und versucht mit Gott einen Handel zu schließen: ein halbes Vermögen nur für eine weitere Chance, ginge das? Gott antwortet wenig überraschend nicht, seltsamerweise erfährt man aber auch ansonsten nicht mehr, was es mit der Sache auf sich hat.

Täuschend alltäglich

Dennoch legt sich ein Schatten über den in Schwarz-Weiß gedrehten Film. Denn der eigentliche Akzent des Geschehens liegt auf der Chance, also den Zufälligkeiten menschlicher Begegnungen. Man könnte also durchaus sagen, Introduction ist ein Film über Kontingenz – dies aber in dem charakteristisch schwebenden, nur von dezenten Hervorhebungen gekennzeichneten Stil von Hong.

Introduction besteht aus drei Teilen, einer davon ein Intermezzo in Berlin, die um den jungen Youngho (Shin Seokho) und seine Freundin Juwon (Park Miso) herum gebaut sind. Die Alltäglichkeit der Gespräche kann täuschen, man muss schon genau hinhören: Ein Zögern und ein Kompliment als Übersprungshandlung können viel über einen Menschen verraten, wenn es im Dialog gerade darum geht, wie viel Impulsivität das Leben verträgt.

Leichtigkeit und Hintersinn

Auch wenn sich Lauteres und Dramatischeres zuträgt, erzählt wird es indirekt. Einmal redet sich ein Theaterschauspieler (Ki Joobong), von dem ständig betont wird, wie berühmt er sei, bei einem der gängigen Trinkgelage in Hongs Werk in Rage. Der Grund liegt in Younghos fehlender Bereitschaft, sich zum Schauspiel zu bekennen. Die Ironie liegt auch hier in der Doppelbödigkeit des Dialogs, denn die Schauspielerlegende spricht ein gutes Stück zu sich selbst.

Am Ende werden Youngho und Juwon Entscheidungen getroffen haben, die möglicherweise nicht zwingend waren. Aber man denkt unweigerlich an den betenden Arzt zurück. Es gibt nicht viele Regisseure im gegenwärtigen Weltkino, die mit einer vergleichbaren Mischung aus Leichtigkeit und Hintersinn davon erzählen, dass wir mit jeder ergriffenen Möglichkeit eine andere verpassen. (Dominik Kamalzadeh, 8.4.2022)