Nach Kohle rückt ein mögliches Aus für Importe von russischem Erdöl in den Fokus. Dieses am Weltmarkt zu ersetzen ist leichter – im Bild eine Ölpumpe der OMV in Niederösterreich – als Erdgas.

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Der Boykott von russischer Kohle, Kernstück des jüngsten Sanktionspakets der EU, wird wohl erst ab Mitte August greifen. Denn die von der Kommission zunächst angedachte Übergangsphase von drei Monaten zur Abwicklung laufender Verträge dürfte um einen Monat verlängert werden. Einem EU-Diplomat zufolge sind die meisten Lieferverträge kurzfristiger Natur, nur wenige würden länger als ein Jahr laufen.

Ein Aus für russische Kohle dürfte der EU keine allzu großen Probleme bereiten. Im österreichischen Energiemix macht Kohle bloß acht Prozent aus. Energieagentur-Chef Franz Angerer hält es daher für "relativ einfach, andere Versorgungswege zu nehmen", sagte er im ORF-Morgenjournal. Viele energieintensive Industrien hatten schon in der Vergangenheit von Kohle auf Gas umgestellt. Bleibt der Stahlkonzern Voestalpine als einziger Großverbraucher, dem zufolge bereits Maßnahmen getroffen wurden, um zusätzliche Kohle aus anderen Quellen zu beschaffen. Neben dem Kohle-Embargo sind auch weitere Einschränkungen für russische Banken, den Transportsektor und Exportverbote für bestimmte Technologien Teil des fünften Sanktionspakets.

Weitere Sanktionen

Noch bevor dieses endgültig verabschiedet wurde – passieren soll dies laut dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell spätestens am Freitag –, wurden bereits weitere Maßnahmen gegen Russland angekündigt. "Diese Sanktionen werden nicht unsere letzten Sanktionen sein", sagte Kommissionspräsidentin Ursula Van der Leyen. "Jetzt müssen wir uns Öl anschauen und die Einnahmen, die Russland aus fossilen Brennstoffen bezieht." Nach Kohle, die jeden Tag laut der Denkfabrik Bruegel 15 Millionen Euro aus der EU in russische Kassen spielt, dürfte es wohl als Nächstes um russisches Erdöl gehen, für das die EU mit 450 Millionen Euro täglich wesentlich mehr ausgibt.

Bisher entwickeln sich die Öleinnahmen Russlands, die etwa 30 Prozent des Staatshaushalts einspielen, ziemlich robust – obwohl die USA bereits ein Ölembargo ausgesprochen haben und die meisten westlichen Importeure am Spotmarkt, wo Öl zur sofortigen Lieferung gehandelt wird, kein Erdöl und Ölprodukte mehr aus dem Land beziehen. Angelockt durch hohe Preisabschläge sprangen China und Indien ein, was täglich wohl einen dreistelligen Millionenbetrag an Petrodollars nach Moskau fließen lässt.

Insgesamt nimmt Westeuropa Russland derzeit etwa die Hälfte der Ölexporte von insgesamt 3,7 Millionen Barrel pro Tag ab. Ersatz zu finden dürfte den Russen aber schwerfallen, meint Bruegel-Experte Simone Tagliapietra – etwa, da die Ölfelder unzureichend mit Abnehmern im Osten verbunden seien. Dazu kommt ein weiteres Problem, wie Tagliapietra im Handelsblatt erklärt, denn Erdöl ist nicht gleich Erdöl: "Europäische Raffinerien können russisches Rohöl verarbeiten, aber Chinas Raffinerien sind auf das leichtere Öl aus dem Nahen Osten ausgerichtet."

Erdöl eignet sich auch deshalb als nächste Stufe der Sanktionen, da es am Weltmarkt leichter zu ersetzen ist als Erdgas. Die grüne Energieministerin Leonore Gewessler hat am Mittwoch bekräftigt, dass Österreich derzeit nicht auf russisches Gas verzichten könne.

Ölembargo unumgänglich

Dementsprechend hat Von der Leyen bereits am Mittwoch angekündigt, dass ihre Behörde auch Sanktionen gegen Öleinfuhren vorbereite. Aus der Sicht von EU-Ratspräsident Charles Michel ist nicht nur ein Ölembargo unumgänglich, sondern "früher oder später" auch eines für russisches Erdgas. Am Donnerstag fand sich auch im Europaparlament eine Mehrheit für einen Lieferstopp für alle fossilen Energieträger aus Russland.

Wie kurz die Halbwertszeiten umwelt- und energiepolitischer Beschlüsse durch den Ukraine-Krieg geworden sind, zeigt der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP), der nun offen für eine Gasförderung in der Nordsee eintritt. Den deutschen Koalitionsvertrag von November des Vorjahrs, der dies eigentlich ausschließt, hält er inzwischen für "aus der Zeit gefallen". Vielmehr müsse man nun gemeinsam mit den Niederländern diese Möglichkeit evaluieren. (Alexander Hahn, 8.4.2022)