Die Corona-Wellen sorgten für Hochbetrieb in den Intensivstationen – was in letzter Konsequenz auch mehr Sterbefälle unter Menschen verursachte, die sich nicht mit Covid angesteckt hatten.

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Wichtiger Hinweis vorab: Am Freitag, dem 8. April 2022, war folgender Artikel erschienen, in dem besonders eine Aussage für Aufsehen sorgte. "Der Großteil der Übersterblichkeit ist auf Menschen zurückzuführen, die zum Zeitpunkt des Todes gar nicht an Covid erkrankt waren", sagte die Gesundheitsökonomin Maria M. Hofmarcher unter Berufung auf eine von ihr mit verfassten Studie der Austrian Health Academy. Die Aussage stieß auf Einwände, am Montag hat die Austrian Health Academy korrigiert. Dass der überwiegende Anteil der Übersterblichkeit in Österreich in den Jahren 2020 und 2021 auf Nicht-Covid-Erkrankte zurückzuführen ist, lasse sich aus der erstellten Studie nicht ableiten, hält das Institut fest. Aufgrund missverständlicher Interpretation mancher Detailergebnisse habe dieser faktenwidrige Eindruck entstehen können. Die Austrian Health Academy bedauere die inhaltlichen Missverständnisse.

Nicht zurückzuführen sind diese "Missverständnisse" auf die Berichterstattung des STANDARD. Um inhaltliche Fehler auszuschließen, wurde der Text vor Veröffentlichung den Studienautoren zur Durchsicht vorgelegt, sämtliche Aussagen waren somit autorisiert Der Originalartikel ist hier zu lesen:

Geht es allein nach den Todeszahlen, dann hat Österreich im Pandemiemanagement wenig Fortschritte gemacht. Im ersten Corona-Jahr 2020 starben hierzulande deutlich mehr Menschen als in gewöhnlichen Zeiten, und auch im Jahr darauf war das – wiewohl auf niedrigerem Niveau – nicht anders. Im Vergleich zur Prä-Covid-Periode 2016 bis 2019 betrug die Übersterblichkeit 2021 laut Berechnung der Austrian Health Academy 6,8 Prozent.

Besonders bemerkenswert ist dabei aber: Der hohe Todeszoll lässt sich keinesfalls allein mit jenen Infizierten erklären, die das Virus dahingerafft hat – im Gegenteil. "Der Großteil der Übersterblichkeit ist auf Menschen zurückzuführen, die zum Zeitpunkt des Todes gar nicht an Covid erkrankt waren", sagt Maria M. Hofmarcher, Co-Autorin der Studie: "Die Pandemie hat das Sterberisiko für alle erhöht." Gerade einmal acht Prozent der Todesfälle über das gewöhnliche Maß hinaus entfielen auf Corona-Kranke.

Warum das so ist? Hieb- und stichfeste Erklärungen sind schwierig, zumal den Forschern der Einblick in die Diagnosen der Non-Covid-Toten fehlt. Doch manche Annahmen liegen nahe.

Möglichst nicht ins Spital

Für das erste Jahr der Pandemie sei es logisch, dass viele Nichtinfizierte starben, sagt der ebenfalls an der Studie beteiligte Arzt Ludwig Kaspar. Möglichst nicht ins Spital fahren, habe die Botschaft im ersten strengen Lockdown gelautet, wenn jemand die Gesundheitshotline 1450 anrief. Das hätten manche zu sehr beherzigt – und seien zu Hause an Herzinfarkten oder anderen Komplikationen gestorben.

Doch erschreckend findet der Arzt, dass das Phänomen auch im zweiten Jahr nicht verpufft ist. Obwohl die Lockdowns allgemein immer lockerer genommen wurden, habe an den Spitälern offenbar weiterhin ein restriktives Klima geherrscht: "Die Menschen fühlten sich eher abgelehnt als empfangen."

Die Verschiebung vermeintlich nicht lebensnotwendiger Operationen, etwa von Eingriffen am Herzen, ist eine andere Erklärung. Hofmarcher verweist überdies darauf, dass die Personalausstattung der Spitäler schon vor der Pandemie nicht mit dem wachsenden Patientenandrang Schritt gehalten habe: Die zusätzliche Überlastung durch Corona könnte die Qualität der Versorgung beeinträchtigt haben.

Zu wenig Alternative für Kranke

Wenn die Spitäler keine adäquate Versorgung mehr bieten, müssten andere Ambulanzen oder niedergelassene Ärzten einspringen, sagt die Expertin – doch genau das sei ungenügend passiert. Einmal mehr habe es im kompetenzmäßig zwischen Bund und Ländern zersplitterten Gesundheitssystem an Kooperation gefehlt. Unverständlich sei es, dass die nun zentralisierte Gesundheitskasse keine tragende Rolle gespielt habe. Kaspar fügt an: "Dass Föderalismus für eine Pandemie schlecht ist, haben wir alle gesehen."

Ebenfalls kein erfreuliches Zeugnis stellt ein internationaler Vergleich mit weiteren neun EU-Staaten aus. In puncto Übersterblichkeit liegt Österreich 2021 weiter vorn als noch im Jahr davor. Länder wie Belgien mögen mittlerweile nicht zuletzt deshalb weniger Tote verzeichnen, weil die Situation im ersten Jahr umso dramatischer war – angeschlagene, ältere Menschen sind sozusagen früher weggestorben als hierzulande. Doch die Forscher lesen aus den Daten auch spezielle heimische Probleme heraus.

Das Hin und Her bei den Corona-Maßnahmen sei in anderen Ländern weniger ausgeprägt als in Österreich, sagt Hofmarcher: Der schwer verständliche Zickzackkurs habe die Moral bei der Einhaltung der Regeln untergraben – und in der Folge zu mehr Infektionen, Spitalpatienten und Todesfällen geführt.

Gamechanger nicht genutzt

Vor allem aber sei es nicht gelungen, die Impfung ausreichend als "Gamechanger" zu nutzen. Der statistische Vergleich zeige klar: je höher die Immunisierungsrate, desto geringer die Belegung der Intensivstationen mit Covid-Kranken – was auch zu weniger Todesfällen bei den Nichtinfizierten führe.

Jüngste Daten weisen auch für die Gegenwart keinen erfreulichen Trend aus: Laut Mortalitätsmonitoring der Stadt Wien zeigte sich bei den über 65-Jährigen in der letzten Woche erstmals im laufenden Jahr wieder eine eindeutige Übersterblichkeit in Österreich. (Gerald John, 8.4.2022)