Die Proteste gegen Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen sind in den vergangenen Jahren lauter und sichtbarer geworden. Das Buch "Transsexualität" sieht viele Probleme an dieser Entwicklung.

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Angst bis Panik. Diese Gefühle können bei der Lektüre des Buches "Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?" durchaus hochkommen. Diesmal sind es Transaktivistinnen, vor denen die Publizistin Alice Schwarzer gemeinsam mit der langjährigen "Emma" -Redakteurin Chantal Louis mit viel Alarmismus warnt. Das erinnert an Bücher von Schwarzer, auf deren Cover gänzlich verhüllte Frauen zu sehen waren, auf einem wurde der düster Dargestellten noch ein fetter Dornenkranz über den verschleierten Kopf gedrückt. Auf den Titeln war von "falscher Toleranz" und "der großen Verschleierung" die Rede. Es waren die vielen Jahre, in denen Schwarzer unaufhörlich das muslimische Kopftuch als Symbol für den politischen Islam markierte – und somit Frauen mit Kopftuch auf fremdgesteuerte Symbolträgerinnen reduzierte. Heute sehen wir vereinzelt Frauen mit Kopftuch in den Medien, die endlich auch einmal über etwas anderes als ihr Kopftuch reden dürfen. Es ist also ruhiger darum geworden – was kein Schaden ist.

Alice Schwarzer und "Emma"- Redakteurin Chantal Louis.
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Jetzt befasst sich Schwarzer damit, dass immer mehr transgender werden. Vor allem Mädchen würden überstürzt lieber als Buben leben wollen, weil sie keine Lust mehr hätten, den Anforderungen an sie als Mädchen zu folgen. Jede pubertäre Unsicherheit würde durch die Aktivitäten der Translobby heute dazu führen, dass Jugendliche die Lösung ihrer Probleme im Wechsel in ein anderes Geschlecht sähen, so Schwarzer. Das erinnert an die falsche Vorstellung, die zunehmende Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen würde jungen Leuten Homosexualität aufzwingen.

Geschlechterpolitischer Umbruch

Der Anlass für das Buch ist die in Deutschland geplante Änderung des 40 Jahre alten Transsexuellen-Gesetzes. Die Ampelparteien sind sich einig, dass die von vielen transgeschlechtlichen Menschen als demütigend empfundenen Gutachten, ob ihr Wunsch nach einer Änderung ihres Geschlechts anerkannt werden kann, abgeschafft werden sollen. Stattdessen soll eine Selbstauskunft reichen, also die Einschätzung der Betroffenen selbst. Grüne und FDP wollen zudem, dass das auch schon für Jugendliche ab 14 Jahren gelten soll. Es ist ohne Frage eine wichtige Debatte, wie mit Wünschen von so jungen Menschen, ihre gefühlte Geschlechtsidentität auch physisch anzupassen, umgegangen werden soll.

Alice Schwarzer, Chantal Louis (Hg.), "Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift". € 15,– / 224 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2022
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Fest steht, dass unsere Gesellschaft einen geschlechterpolitischen Umbruch durchlebt. Wie dieser Umbruch durch Gesetzesreformen begleitet werden soll, ist eine komplizierte Debatte. Fest steht aber auch, dass wir sie so, wie sie Alice Schwarzer und Chantal Louis mit ihrem Buch führen wollen, nicht führen können. Weil das keine Debatte ist. Denn die Beiträge in ihrem Buch sorgen nicht für ein vielfältiges Bild, vielmehr bestätigen sie alles, was Schwarzer in ihrem einleitenden Text schreibt und in ihrem Magazin Emma steht – viele Texte aus dem Buch sind auch schon dort erschienen. Dort machte man bereits mit anderen feministischen Themen kurzen Prozess: Freiwillige Sexarbeit existiert nicht und das freiwillige Tragen eines Kopftuchs ebenso wenig. Wenn die Frauen selbst etwas anderes sagen, wissen sie es eben nicht besser. So einfach ist es aber nicht.

Lieber trans als schwul?

Und einfach ist das Thema Geschlechtsidentität sicher auch nicht. Deshalb gibt es spannende Fragen her, etwa was Geschlechtsidentität eigentlich ist – sie werden im Buch auch angeschnitten, aber meist schnell von einem herablassenden Ton gegenüber Betroffenen unterbrochen. Nachvollziehbar ist auch nicht die These, viele würden aus Angst davor, als lesbischer oder schwuler Mensch durchs Leben gehen zu müssen, ihr Geschlecht wechseln wollen – um heterosexuell leben zu können. Ist Homosexualität heute weniger akzeptiert, als trans zu sein? Dem würden wohl viele angesichts der vielen erfolgreichen Kämpfe von Lesben und Schwulen für ihre Rechte nicht zustimmen. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband widerspricht dem in Transsexualität beschriebenen Szenario auch dahingehend, junge Menschen würden in schwindelerregendem Tempo auf den OP-Tisch verfrachtet. Es gebe sehr wohl medizinische Leitlinien, und Operationen vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgten "nur sehr selten".

Schließlich finden sich in dem Buch Ferndiagnosen wie die, dass heute nichtbinäre Menschen, die sich also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, oder auch Transpersonen wohl oft einfach nur narzisstisch seien. Ein solcher Ton ist unverständlich. Zumal sich der Verlag am Ende des Buches praktisch dafür rechtfertigt, das Buch verlegt zu haben – aufgrund heftiger Debatten im Vorfeld. Ja, auch manche Aktivistinnen agieren unfair und verhindern damit eine gute Diskussion. Diese muss aber stattfinden, und der Verlag soll sich nicht dafür rechtfertigen müssen, diese fördern zu wollen. Das passiert aber nicht, wenn eine Autorin mit einer derart großen Reichweite wie Alice Schwarzer mit Bedrohungsszenarien und Einstimmigkeit arbeitet. (Beate Hausbichler, 11.4.2022)