Der Autor Christian Kreil stellt sich im Gastblog die Frage, wie die Ärztekammer mit dem wissenschaftsfeindlichen Mindset in der Standesvertretung umgehen wird.

"Ärztlich-Homöopathische Therapie und Bauchatmung in Zeiten von Covid-19" – das empfiehlt der Wiener Allgemeinmediziner Felix Badelt auf seiner Webseite. Unter den homöopathischen Medizinen, die der Arzt empfiehlt, findet man unter anderem Arsen und Phosphor. Das klingt nach Gift und strengen Dämpfen, vermag aber nur den mit der Praxis des homöopathischen "Potenzierens" Unkundigen zu beunruhigen. 

Arsen und Phosphor sind in Badelts Empfehlungen so stark verdünnt, als würde man einen Fingerhut davon in den Weltmeeren auflösen. Mit anderen Worten: Hier propagiert ein Arzt im Kampf gegen einen Virus wirkstoff- und wirkungslose Mittel. Genauer gesagt: Ein Arzt, der die Linie der künftigen Standesvertretung mitbestimmt. Badelt ist einer der Initiatoren der "Liste Integrative Medizin" (LIM), die im März 2022 erstmals bei den Ärztekammerwahlen in Wien antrat – und ein Mandat erreichte. Dieses Mandat könnte bei der Wahl zum neuen Wiener Ärztekammerpräsidenten am 3. Mai mehr als nur eine homöopathische Rolle spielen.

Hauchdünne Mehrheit gegen Präsident Thomas Szekeres

Johannes Steinhart - der bisherige Vizepräsident der Kammer und Anführer der stimmenstärksten Liste - hat für die Ärztekammer Wien eine Koalition aus sieben Listen gezimmert. Die verfügt im 90-köpfigen Plenum über eine hauchdünne Mehrheit von einer einzigen Stimme. Die Liste Badelts ist dabei. Diese Koalition könnte den amtierenden Präsidenten Thomas Szekeres am 3. Mai von der Spitze der Ärztekammer Wien vertreiben - das wäre auch dessen Aus in der bundesweiten Standesvertretung. 

Thomas Szekeres könnte das Amt des Ärztekammerpräsidenten verlieren.
Foto: APA/HANS PUNZ

Die auf der Liste LIM kandidierenden Ärzte unter die Lupe zu nehmen, das lohnt sich. Man darf danach Zweifel an dem auf der Webseite verkündeten Credo einer "modernen, pluralistischen und evidenzbasierten Medizin" anmelden. 

Das schwingt mit bei "Bioresonanz": die SS und Scientology 

Badelt bietet auf seiner Webseite auch "Bioresonanztherapie" nach Franz Morell (1921–1990) an. Morell war Oberscharführer der SS, danach Mitglied der Scientology-Sekte und einer der Begründer der angeblichen Bioresonanztherapie. Bioresonanz klingt gut und schlüssig, wenn der Arzt sie im Wort führt. Die Geräte strahlen ob ihres Designs zumeist eine technologische Relevanz aus.

Die Geräte geben vor – in der Regel über bloßen Hautkontakt via Sonden –, vom Menschen ausgesendete Frequenzen zu messen und daraus essenzielle Vitalwerte feststellen und den Gesundheitszustand des Patienten diagnostizieren zu können. Und das Schöne daran: Man kann die Geräte in den Inversmodus schalten, dann brummen sie heilsame Frequenzen in den Körper. Aus der Sicht der Wissenschaft können die Geräte nicht mehr und nicht weniger als der Trafo einer Modelleisenbahn, den man einem Patienten auf den Bauch legt. Der Mensch und seine Organe senden schlichtweg keine Frequenzen aus. 

Bioresonanz ist en vogue bei den Ärzten der LIM 

Das Erfolgsrezept "Bioresonanz" hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Anbietern hervorgerufen, die sich allesamt und unter verschiedensten Bezeichnungen auf die Mär von körpereigenen Schwingungen berufen.   

Unter den Kandidaten der LIM findet man auch Fürsprecher der "Scenartherapie": "Der Scenar ist ein Gerät, welches durch variable Stromimpulse Schmerzmuster durchbrechen bzw. blockierte Funktionen wieder herstellen kann." Scenar steht für "Selbstkontrollierter Ergo-Neuro Adaptiv Regulator". Das klingt für Laien beeindruckend.

Es wird suggeriert, mit einer Art "Elektroakupunktur" heilsame Impulse in den Körper senden zu können. Auf einer Vermarktungs-Website für Scenar-Geräte findet sich der Hinweis: "Die Scenar-Therapie ist schulmedizinisch nicht anerkannt, sondern gehört zu den Naturheilverfahren. Alle Angaben sind erfahrungsmedizinische Angaben." Das ist eine noble Umschreibung des Sachverhalts: Niemanden hilft es, aber es steigen täglich genügend Narren aus dem Bett, denen man derlei als Arzt andrehen kann.

Auch der Leiter eines umstrittenen FH-Lehrgangs kandidierte

Ebenfalls für die LIM kandidierte Georg Hubmann. Der Allgemeinarzt leitet am FH Campus Wien den Lehrgang "Ganzheitliche Therapie und Salutogenese". Nach Medienberichten über das Curriculum stoppte die FH die Bewerbung des Master-Lehrgangs. Das Vorlesungsverzeichnis versprach eine Auseinandersetzung mit Themen von Aromatherapie über Homöopathie und Orthomolekulare Medizin bis zu Klostermedizin. 

Hubmann ist auch Vizepräsident der Gamed (Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin). Im Blog des Vereins verteidigt Hubmann in einer Stellungnahme seinen Lehrgang. "Wir legen den Hauptfokus auf Wissenschaftlichkeit und Evidenzbasierung komplementärmedizinischer Methoden. Ganz klar hingegen distanzieren wir uns von jeglicher kommerzieller Esoterik".

Orthomolekulare Medizin: kommerzieller geht es kaum

Einen Blogbeitrag weiter hinten finden wir einen euphemistischen Beitrag zum Einsatz von "Orthomolekularer Medizin gegen Covid-19". Beworben werden Vitamin C, Zink und Selen zur "Stärkung des Immunsystems". Ein kommerzielleres und verkaufsorientierteres Fach als die Orthomolekulare Medizin findet man in der sogenannten Alternativmedizin kaum. Die Orthomolekulare Medizin geht davon aus, dass Krankheiten auf einem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen beruhen und mit – zumeist hochdosierten – Vitaminen und Mineralstoffen geheilt werden können. Das freut die Nahrungsmittelergänzungs- und Pharmaindustrie. Gibt es wissenschaftliche Evidenz für eine positive Wirkung von hochdosierten Vitaminen und ähnlichem?

Edzard Ernst: Plausibilität fehlt

Ein profunder Kenner der Datenlage ist der britische Mediziner Edzard Ernst. Der pensionierte Mediziner und Buchautor hat viele Jahre zu Alternativmedizin geforscht - unter anderem als Professor für Alternativmedizin an der Universität von Exeter. Sein nüchternes Fazit: "Die Annahmen der Orthomolekularen Medizin lassen jede biologische Plausibilität missen." Was es jedenfalls gibt: Wissenschaftliche Abhandlungen über gesundheitsschädliche Überdosierung von Vitaminen.

MFG-Ärzte erreichten sechs Mandate

Gleich sechs Mandate erreichte bei den Wahlen in Wien die Ärztefraktion der impffeindlichen Partei MFG. Im Gegensatz zur LIM sind die MFG-Ärzte nicht in Steinharts Koalition vertreten. Eine Parteinahme für den bei Impfgegnern verhassten Szekeres ist allerdings auch ausgeschlossen. 

Das Aushängeschild der Liste ist der illustre Mediziner Christian Fiala. Er hat sich nicht nur in den beiden letzten Jahren rund um die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen einen Namen gemacht. Als Leiter einer Abtreibungsklinik war er Zielscheibe rechtskatholischer Kreise. Er bestreitet die hohen Zahlen von HIV-Infektionen in Afrika und beriet den südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki in seiner Amtszeit 1999–2008. Mbeki leugnete den Zusammenhang zwischen dem HIV-Virus und der Krankheit Aids. in seiner Amtszeit propagierte man in Südafrika von höchsten Stellen Olivenöl, Knoblauch, Rote Rüben und Vitamine als Medizin für Aids-Kranke.

MFG-Arzt Fiala mit kruden Thesen zur Impfung

Fiala trat als Opponent der HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs auf. Die aktuellen Impfungen gegen Covid-19 bezeichnete Fiala als "programmierte Autoimmunerkrankung der Zellen".

Dass diese Haltung dem wissenschaftlichen Konsens zu den Vakzinen diametral widerspricht, lässt Fiala kalt. Eine Anfrage beantwortet der Arzt sehr grundlegend: "Wissenschaft ist ja nicht eine Frage der Mehrheit, sondern ein Austausch von Argumenten, wobei das beste Argument als vorläufig richtig angesehen wird." Die Behauptung der "programmierten Autoimmunerkrankungen" sei durch viele Impfkomplikationen und Obduktionen längst belegt. Falsche Bescheidenheit ist Fialas Sache nicht: "Ärzte sind primär dafür ausgebildet, medizinische Behandlungen richtig durchzuführen. Nur die wenigsten Ärzte haben eine zusätzliche Ausbildung in wissenschaftlichem Arbeiten, unter anderem ich."  

Wissenschaftsfeinde: von der Straße in die Kammer

Was die Wahlen jedenfalls schonungslos zeigen: 8,5 Prozent der Ärzte stimmten bei der Wahl in Wien für die LIM oder die MFG-Ärzte. Bei den Wahlen in Niederösterreich kamen die beiden Listen gemeinsam sogar auf mehr als elf Prozent der Stimmen. Die intellektuelle Kakophonie des postfaktischen Wutbürgertums, das sich in unseren Städten seit zwei Jahren medioker, laut- und halbstark die Gasse bahnt, zieht nun auch in das noble Plenum der Ärzte ein. Wer auch immer am 3. Mai in Wien und bei der Vollversammlung danach zum Ärztekammerpräsidenten Österreichs gewählt wird, muss sich der Frage stellen: Wie geht man mit dem wissenschaftsfeindlichen Mindset in einer Standesvertretung um, die der Wissenschaft verpflichtet ist? (Christian Kreil, 22.4.2022)

Christian Kreil bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Im Vorjahr erschien sein Buch "Fakemedizin".

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