"Cheerleading" ist ähnlich wie die Skandaldoku "Tiger King" für die Augen von Europäern erst einmal verwirrend anzuschauen

Foto: Netflix

Hollywood/Wien – Einmal pro Jahr, Anfang April schlägt für Amerikas beste Cheerleader die Stunde von Ruhm oder Untergang. Bei den "NCA & NDA College Nationals" in Daytona Beach im US-Staat Florida treffen sich die Elite-Mannschaften der USA. Sie zeigen, zu welchen halsbrecherischen akrobatischen Leistungen ein Mensch fähig ist. Und die neue Netflix-Dokuserie "Cheerleading" zeigt genau das.

Manche der Mädchen werden mehrere Meter hoch in die Luft geworfen und drehen sich wie eine Bohrmaschine, bevor sie auf dem ausgestreckten Unterarm eines Mitschülers landen. Cheerleader hüpfen so gekonnt auf die Schultern von Teamgenossen, dass sie in drei Sekunden eine menschliche Pyramide bauen. Bodenturner jagen in einem Affenzahn von einem Flickflack zum nächsten.

Erst einmal verwirrend anzuschauen

All das wäre zwar bezaubernd anzuschauen, aber nach fünf Minuten öde, wenn nicht hinter jedem dieser Akrobaten ein Schicksal stünde. "Cheerleading" ist ähnlich wie die Skandaldoku "Tiger King" für die Augen von Europäern erst einmal verwirrend anzuschauen, weil die Kamera so extrem nah an den Menschen bleibt und ihnen auch in den finstersten und eigenartigsten Momenten nicht von der Seite weicht.

Wie eine Feenkönigin wacht Trainerin Monica Aldama über Wohl und Wehe ihrer Schützlinge. Die strenge, attraktive Blondine um die 50 ist in der Sportart eine lebende Legende. 14 Jahre in Folge hat ihr Team in Daytona Beach für das Navarro College im texanischen Corsicana den Riesenpokal mit dem Megafon gewonnen. Cheerleading ist ihr Leben, der Stress der Jahre ist ihr ins Gesicht geschrieben. Sie kennt alle Kniffe und Tricks und weiß, welche Trikotfarben Unglück bringen.

Viel dramatisches Potenzial

Regisseur Greg Whiteley drehte gerade eine Dokumentation über Footballspieler, als ihm auffiel, wie viel dramatisches Potenzial in diesen Leuten am Spielfeldrand steckt. Whiteley begleitet die jungen Frauen und Männer in Aldamas Team in ihren Höhen und Tiefen. Viele von ihnen haben in diesem Sport die Chance ihres Lebens ergriffen, sind zerbrochenen Elternhäusern, Alkohol und Gewalt entkommen. In ihrer Szene werden sie verehrt wie Rockstars. Vor Eingängen warten Fans mit Autogrammblöcken, oft in bauchfreien Cheerleaderkostümen.

Doch nicht nur die Vergangenheit war bei vielen von Krisen geprägt, die Gegenwart ist es auch. Beschäftigt sich die erste Staffel, die 2019 spielt, noch mit gebrochenen Herzen und verstauchten Knöcheln und lässt die Protagonisten den Zuschauer immer mehr ans Herz wachsen, so bricht in der zweite Staffel die weltweite Krise aus.

Plötzlich ein starker Konkurrent

Nichts könnte einen Kontaktsport wie Cheerleading so hart treffen wie das Coronavirus. Zeitgleich wächst dem Navarro College plötzlich ein starker Konkurrent aus der Nachbarschaft heran. Doch damit nicht genug: Plötzlich stehen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen einen der Mitwirkenden im Raum. Zerbricht das Team an all dem?

Dieser Tage schlägt in Daytona Beach wieder die Stunde der Wahrheit. Und vieles deutet darauf, dass Greg Whiteley auch diesmal neben der Bühne steht und gerade das Finale einer dritten Staffel dreht. (APA, 8.4.2022)