Foto: David James Swanson

Es ist langsam zum Kotzen, aber dieser Text beginnt wieder einmal mit Corona. Pandemie, Lockdown und Quarantäne haben vielen Menschen zugesetzt, auch Jack White. Was im Falle des US-Musikers dazukommt: Der steht schon unter regulären Bedingungen unter Druck wie ein Kelomat auf Lava. White ist ein Mann auf Mission, ein Kulturträger mit blauen Haaren. Seine Kultur ist, verkürzt beschrieben, die des Rock ’n’ Roll – mit all seinen Vorläufern, Satelliten und einigen akzeptierten Auswüchsen.

Als solcher hat er mit dem Duo The White Stripes rund ums Millennium ein aus dem Garagenrock und Hinterwäldler-Punk kommendes Rock-’n’-Roll-Revival mitgetragen, das ihm eine Weltkarriere beschert hat. Darüber wundert er sich immer noch, obwohl der White-Stripe-Song Seven Nation Army wahrscheinlich gerade jetzt in ein paar Stadien der Welt aus tausenden Kehlen ertönt. Doch sein Schöpfer ist längst woanders. Am Freitag ist sein neues Album Fear of the Dawn erschienen. Es ist das Produkt von Corona-Erschwernissen und des Imperiums, das White in den letzten 20 Jahren errichtet hat.

Analog und haptisch

Der in Nashville und Detroit lebende 46-Jährige hat seit dem Split der White Stripes 2011 vier Soloalben veröffentlicht, daneben Arbeiten mit Bands wie den Raconteurs oder The Dead Weather. Er produzierte Künstlerinnen und Acts, die in sein Weltbild passen wie Loretta Lynn und predigt das Analoge, das Haptische. Zurzeit versucht er die verbliebenen Großverlage der Musikindustrie – Universal Music, Warner und Sony – dazu zu bewegen, wieder Vinylpresswerke zu bauen. So wie er: Seine Welt ist eine Scheibe.

Jack White

White presst in seinem Presswerk in Detroit jeden Tag 5000 LPs. Ans Werk angeschlossen sind ein Lokal mit Live-Bühne, ein Aufnahmestudio sowie ein Shop, der alles bietet, was White wichtig ist: Schallplatten, einschlägige Klamotten, Aufnahmegeräte, Memorabilia. Dazu alte Motorräder, Instrumente und Pop-Insignien aller Art. White besitzt die erste Single von Elvis Presley, die der seiner Mutter Gladys aufgenommen hat, und bezahlt schon einmal 50.000 Dollar auf Ebay für eine Rarität. Er nennt das ein Investment.

Mit Third Man Records betreibt er ein Label, auf dem er seine Musik und die von persönlichen Heldinnen und Helden veröffentlicht: von Jerry Lee Lewis bis zu den Melvins. Damit ist er ein maßgeblicher Player der Detroit-Renaissance geworden, hat über hundert Jobs geschaffen, für Menschen, die seine Visionen teilen. White ist stolz darauf, Leute zu beschäftigen, die eine ähnlich tiefe Hingabe zum Rock ’n’ Roll verspüren wie er.

Gitarre statt Handy

Die Pandemie konnte ihn nicht bremsen. Zwar dachte White, er würde keine eigene Musik veröffentlichen, denn ohne Tour ist das für ihn nur der halbe Spaß. Also entwarf er aus der Distanz eine Filiale seiner Third-Man-Records-Plattenläden in London. Aber das lastete ihn nicht aus.

Jack White

Er, der kein Handy besitzt, griff doch zur Gitarre. Es entstanden an die 35 Songs, ein paar davon veröffentlicht er nun innert vier Monaten auf zwei Alben. Fear of the Dawn ist die Rabiatperle, das im Sommer kommende heißt Entering Heaven Alive und soll entspannter sein. Fear of the Dawn hat er weitgehend allein eingespielt.

Genug Spielzeug

Es ist Solipsismus höchster Güte, der mit wenigen Gastbeiträgen sein Auslangen findet. Der New Yorker Rapper Q-Tip von A Tribe Called Quest steuert einen Rap bei, White sampelte Jazzsänger Cab Calloway, schraubte Loops und Samples in die Songs. Spielzeug hat er ja genug dafür. Die Ergebnisse sind gewaltig, aber das sind Old News.

Jack White

Doch zuletzt war Whites Musik vor allem eines: anstrengend. Der Vorgänger Boarding House Reach toppte ob Whites Popularität zwar die Charts, soll aber für seine Maßstäbe gefloppt sein. Fear of the Dawn zerreißt es nun nicht mehr an allen Ecken und Enden, es hält die Mischung aus Led Zeppelin, Delta-Blues und Wahnwitz stets auf Schiene.

White spielt nicht alles am Anschlag, es gibt ruhigere Momente, Raum, für die Musik zu wirken. Das ergibt immer noch eine wilde Achterbahnfahrt, aber eine, bei der einem nicht nach drei Kurven schlecht ist. Das Format und die Chronologie des Albums hat er dieses Mal deutlich besser berücksichtigt, das Ergebnis ist dementsprechend. (Karl Fluch, 9.4.2022)